# taz.de -- Drei Anti-Atom-Akteure im Porträt: Auch wir sind im Wendland dabei!
       
       > Monika Tietke ist eine Art Pressesprecherin der Landwirte, Tadzio Müller
       > ist so etwas wie der Eventmanager von "Castor schottern" und dann ist da
       > noch Jürgen Trittin.
       
 (IMG) Bild: Viel Protest, viele Menschen, viel gute Laune.
       
       WENDLAND taz | Die Anti-Atom-Bewegung ist groß wie schon lange nicht mehr.
       Wer sind die Leute, die das ganze Wochenende im Wendland unterwegs waren?
       Drei von ihnen möchten wir hier vorstellen.
       
       ## Monika Tietke
       
       Monika Tietke mag an den Bauern im Wendland die Entschlossenheit. "Früher
       in der Uni haben wir viel diskutiert und wenig gemacht", sagt Tietke. Als
       sie dann Ende der 1970er erstmals von Berlin ins Wendland fuhr, um gegen
       Atomkraft zu demonstrieren, merkte sie schnell, dass es hier umgekehrt war:
       Die Bauern redeten nicht lange, sondern machten.
       
       Sie, die Mathematikstudentin aus der Hauptstadt, verliebte sich in einen
       Wendländer und blieb. Heute ist sie Biobäuerin in Breese, dem Ort am
       Castor-Verladekran, und aktiv bei der Bäuerlichen Notgemeinschaft. Dieser
       Zusammenschluss von Landwirten ist Herz und Seele des antiatomaren
       Widerstands im Wendland. Und Tietke ist so etwas wie die Pressesprecherin
       der Bauern. Sie hat viel zu tun an diesem Wochenende.
       
       Mit über 600 Traktoren sind die Landwirte zur Kundgebung auf den Acker
       zwischen Dannenberg und Splietau gefahren. So viele waren es noch nie. Doch
       nicht nur deshalb bekommen die Bauern dieses Mal noch mehr Beachtung als
       sonst. Am Samstagmorgen, wenige Stunden vor der Kundgebung, drängen sich
       Fotografen und Kameraleute um die hundert Maschinen, die sich beim
       Kreuzfeld in Klein Gusborn eingefunden haben. Die Journalisten stapfen
       durch den Matsch, suchen nach Motiven.
       
       "Bitte nicht drängeln", ruft ein Bauer. Sie drängeln trotzdem, denn die
       Bauern haben Besuch. Politiker und Politikerinnen wie Gregor Gysi und
       Claudia Roth sind gekommen, auch Prominente wie die Buchautorin und
       Moderatorin Charlotte Roche; Bela B. von den Ärzten steckt im Stau fest und
       lässt sich entschuldigen.
       
       In Gummistiefeln wartet der Besuch darauf, auf einen der Traktoren zu
       steigen und zur Kundgebung chauffiert zu werden. Es gilt das
       Patenschaftsprinzip: Jeder Promi bekommt einen Landwirt. Bevor sie auf den
       Trecker steigen, reichen sie sich vor den Fotografen noch mal die Hände.
       "Ich verspreche, an dem Thema dranzubleiben", sagt da etwa Grünen-Chef Cem
       Özdemir. "Die Aufmerksamkeit ist gut für uns", sagt Tietke. Das mit den
       Promis habe sie das erste Mal gemacht.
       
       Am Samstagabend, nach der Kundgebung, blockieren die Bauern eine der zwei
       Transportstrecken, auf denen der Castor rollen soll. Sechzig Trecker stehen
       quer, die Polizei filmt die Nummernschilder. Da ist der Besuch aus Berlin
       schon längst wieder zu Hause.
       
       Ob die Bauern nicht Angst haben, von Gysi und Trittin benutzt zu werden?
       "Wir werden sehr genau hinsehen und prüfen, ob sie es besser machen", sagt
       Tietke.
       
       * * * 
       
       ## Tadzio Müller
       
       "Castor schottern": Der Slogan wurde zum Modewort des Antiatomprotestes -
       und zu einer großen Unbekannten. Denn dass, wie an diesem Sonntag, 4.000
       Menschen an die Schienenstrecken wollen, um dort kollektiv das Gleisbett zu
       "entschottern", das hat es im Wendland noch nicht gegeben. Innerhalb von
       zwei Monaten schaffte es die Kampagne bis ins Kanzleramt: Ende August hatte
       die taz über die Pläne der linken Szene berichtet.
       
       An diesem Wochenende nun verurteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel die
       Pläne höchstselbst: "Was so harmlos daherkommt, entschottern, das ist keine
       friedliche Demonstration, sondern ein Straftatbestand", sagte die
       CDU-Vorsitzende. Wer sich am Sonntag im Wendland der Schienenstrecke
       näherte, bekam in den verlassenen Wäldern daher die die Staatsgewalt in
       voller Entfaltung zu spüren.
       
       Auch Tadzio Müller. Der 34-jährige Vollzeitaktivist hat eine olivgrüne
       Jacke an und behält die Übersicht im unübersichtlichen Göhrdewald, einige
       Dutzend Meter entfernt von der Schienenstrecke. Tausende Menschen rings um
       ihn her haben versucht, die Schienen zu stürmen. Immer wieder. Jetzt redet
       Müller in knackigen Sätzen, seine Sprache ist pointiert. Er verfügt über
       das gewisse Dutschke-Pathos, wirkt sympathisch, undogmatisch, sexy.
       
       Tadzio Müller ist so etwas wie der Eventmanager einer ernst zu nehmenden
       Angelegenheit. Und diese Angelegenheit war der Test dafür, ob es wohl
       möglich ist, tatsächlich tausende Menschen zu neuen Formen zivilen
       Ungehorsams zu bewegen. Die Mobilisierung: geglückt. Die Pläne: zum Teil
       umgesetzt.
       
       So einfach ist das nicht, denn mit aller Härte geht die Polizei gegen die
       Menschen vor, die sich westlich von Dannenberg der Schienenstrecke nähern.
       Sie stürmt mit Schlagstöcken auf die friedlich entgegenkommenden
       Atomkraftgegner zu, spritzt ihnen Pfefferspray ins Gesicht, setzt ohne
       Vorwarnungen Tränengas und Wasserwerfer ein, treibt auf Pferden die
       Menschen auseinander. Die Linie der Polizei: volle Eskalation. Die Antwort
       der Demonstranten: erstaunlich friedlich.
       
       Auch Aktivist Tadzio Müller hat diese Härte zu spüren bekommen. Sein Knie
       ist taub vom Schlagstock, er humpelt jetzt. Es sieht so aus, als sei dieses
       Event vorbei. Es ist ein Event, das kein Event ist, sondern ein politisches
       Novum: "Mit dieser Kampagne ist es der radikalen Linken erstmals gelungen,
       eine ja durchaus auch militante Aktion massentauglich zu machen und doch
       gleichzeitig durchgängig friedlich zu halten", sagt er zufrieden.
       
       * * * 
       
       ## Jürgen Trittin
       
       Keine Frage, die Oppositionsparteien im Bund möchten am Aufschwung der
       Anti-Atom-Bewegung teilhaben. Die Grünen müssen dazu allerdings ihr
       zwischenzeitlich angespanntes Verhältnis zu den Bürgerinitiativen wieder
       kitten. In der Elbe-Jeetzel-Zeitung, dem regionalen Blatt im Wendland,
       haben Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und andere Parteigranden dies
       ganz öffentlich versucht: Sie haben eine Anzeige geschaltet: "Stopp Castor
       - Atomkraft Nein danke - Gorleben ist überall!"
       
       Trittin erscheint zum Castor-Protest. Er war nicht immer erwünscht, wäre
       früher ausgepfiffen und beschimpft worden: In seiner Zeit als
       Bundesumweltminister musste Trittin selbst mehrere Castor-Transporte
       verantworten. 2001 warnte er vor Blockaden des Zuges, erklärte sie für
       "überflüssig". Jetzt, so sagte er, gebe es gute Gründe, zu demonstrieren:
       Die schwarz-gelbe Regierung verlängere die Atomlaufzeiten und reiße damit
       den Konflikt wieder auf, "den wir mit unserem Atomausstieg weitgehend
       beigelegt hatten".
       
       Allerorten versuchten die Grünen, sich der Bewegung anzunähern. Die
       niedersächsische Landtagsfraktion der Grünen hält in Sichtweite der
       Castorstrecke eine öffentliche Sitzung ab. Fraktionschef Stefan Wenzel und
       die im Wendland beheimatete Europaabgeordnete Rebecca Harms eilen im Kreis
       Lüchow-Dannenberg von Termin zu Termin. Die eher linke Grüne Jugend
       sympathisiert mit den Castor-Schotterern.
       
       Die Harmonie zwischen Grünen und der Bewegung ist neu. Als im Jahr 2000 die
       damalige rot-grüne Bundesregierung unter Trittins Federführung den
       Atomkompromiss mit den Energiekonzernen aushandelte, kritisierten dies die
       AKW-Gegner rund um Gorleben scharf. Sie fühlten sich verraten. Viele
       Lüchow-Dannenberger traten in der Folge aus der Grünen-Partei aus. Und
       Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz
       Lüchow-Dannenberg, bekräftigte noch vor Kurzem: "Dieser Vertrag mit den
       Konzernvertretern ist uns ein Dorn im Auge". Denn er stoppe die Castoren
       nicht, sondern garantiere den störungsfreien Betrieb der Atomkraftwerke.
       
       Bei der Kundgebung am Samstag legten Redner den Finger in die noch nicht
       ganz verheilte Wunde. Martin Lemke vom Republikanischen Anwaltsverein
       erinnerte nicht nur an Trittins Meinungswechsel zu Castortransporten. Er
       wies auch darauf hin, dass die Hamburger GAL im Frühjahr dagegen stimmte,
       dass die Bürgerschaft zur großen Menschenkette von Brunsbüttel nach Krümmel
       aufrief.
       
       8 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) F. Dachsel
 (DIR) M. Kaul
 (DIR) R. Paul
       
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       Anti-Atom-Politik authentisch.