# taz.de -- Neue Gesichter in Karlsruhe: Das Verfassungsgericht wird bunter
       
       > Drei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht werden am Donnerstag
       > bestimmt. Die Nachfolge wird zwischen den Parteien verhandelt.
       
 (IMG) Bild: "Mützen auf!" heißt es ab dem 12.11.2010 für drei neue Verfassungsrichter.
       
       Am Donnerstag wählt der Bundestag drei neue Richter für das
       Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Die Grünen haben die bekannte Feministin
       Susanne Baer vorgeschlagen, die CSU den umtriebigen Thüringer Innenminister
       Peter Michael Huber. Nur die SPD hat mit der Richterin Monika Hermanns eine
       unbekannte Kandidatin aufgeboten (siehe Porträts unten).
       Höchstwahrscheinlich werden alle drei gewählt.
       
       Das Bundesverfassungsgericht besteht aus 16 Richtern in zwei Senaten.
       Gewählt werden meist Rechtsprofessoren, Bundesrichter, manchmal aber auch
       Politiker. Innenminister Huber ist aber eigentlich noch kein richtiger
       Politiker. Bis vor einem Jahr war er ausschließlich als Wissenschaftler
       tätig. Die Hälfte der Richter wird im Bundestag gewählt, die andere Hälfte
       im Bundesrat.
       
       SPD braucht grüne Hilfe 
       
       Entscheidend für die Richterwahl ist aber, dass alle Richter eine
       Zweidrittelmehrheit brauchen. Früher hieß das, dass sich Union und SPD
       jeweils auf Personalpakete einigen mussten. Inzwischen ist die SPD aber so
       schwach, dass sie allein nicht mehr das Sperrdrittel zusammenbekommt. Sie
       braucht deshalb die Hilfe der Grünen.
       
       SPD-Richtermacherin Brigitte Zypries, die ehemalige Justizministerin, traf
       sich daher mehrfach mit Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, um mehr oder
       weniger gemeinsame Vorschläge auszuhandeln. So kommt es, dass die Grünen
       auch in der Opposition ein Vorschlagsrecht behalten. Normalerweise bekamen
       die kleinen Parteien nur ein Vorschlagsrecht abgetreten, wenn sie gerade in
       der Regierung sind. So konnte etwa die FDP Anfang des Jahres den jungen
       Völkerrechtler Andreas Paulus vorschlagen.
       
       Nur die Linke bleibt bei den Personalpaketen bisher außen vor. Sie ist
       empört. "Der Pluralismus des Parlaments muss sich auch im
       Bundesverfassungsgericht widerspiegeln", fordert Fraktionsjustiziar
       Wolfgang Neskovic. Immerhin entwickeln sich die Richter nach ihrer Wahl
       meist sehr eigenständig. So erwies sich der einst von der CSU benannte
       Siegfried Broß als fast schon linker Globalisierungskritiker und
       Privatisierungsgegner.
       
       Einen Erfolg kann Neskovic aber verbuchen. In seiner einjährigen Amtszeit
       als Leiter des Bundestagswahlgremiums hat sich das Wahlverfahren verändert,
       weil sich die Kandidaten nun vorab persönlich bei den Fraktionen
       vorstellen. Früher wurden nur - oft unbekannte - Namen angekreuzt. Neskovic
       wurde Vorsitzender des Wahlgremiums, schlicht weil er mit 62 Jahren der
       Älteste in der zwölfköpfigen Runde ist. Ausgehandelt werden die
       Verfassungsrichter aber nach wie vor vorab im kleinen Kreis der
       Richtermacher. Für die CDU/CSU hat diese einflussreiche Position derzeit
       Peter Altmaier inne, der Fraktionsgeschäftsführer.
       
       Mit der Wahl von Herrmanns und Baer steigt der Frauenanteil am
       Bundesverfassungsgericht nur leicht an, da Herrmanns die Richterin Lerke
       Osterloh ersetzt. Derzeit sind 3 von 16 RichterInnen Frauen. Auch die
       nächste abzusehende Wahl wird eine Frau befördern, die Gießener Professorin
       Gabriele Britz. Sie wird im Bundesrat gewählt und die frühere hessische
       Justiz- und Wissenschaftsministerin Christine Hohmann-Dennhardt ersetzen.
       
       Wann die von der SPD vorgeschlagene Britz (bisherige Schwerpunkte
       Energierecht und Kultur) im Bundesrat gewählt wird, hängt von der Union ab.
       Diese würde gern wieder ein Paket schnüren. Doch der nächste ihr zustehende
       Posten ist erst Ende 2011 zu besetzen. Dann scheidet Udo Di Fabio aus, der
       auch als konservativer Autor bekannt wurde. Gute Aussichten als Nachfolger
       hat der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), ein gelernter
       Richter.
       
       Kollektiv ohne Stars 
       
       Die Paketbildung könnte aber einfacher werden, falls Richter Rudolf
       Mellinghoff, auch er ein Unions-Vorschlag, schon im März in Karlsruhe
       ausscheidet. Er könnte (und will) Präsident des Bundesfinanzhofs werden.
       Die Winkelzüge hinter den Kulissen sind also halbwegs nachvollziehbar,
       dennoch ist die Transparenz der Verfassungsrichterwahlen in Deutschland
       viel geringer als in den USA. Dort werden die Anhörungen der Kandidaten im
       Fernsehen übertragen, die Richter sind bekannter als viele Minister. Aber
       vielleicht nützt es sogar der Akzeptanz der Karlsruher Urteile, dass das
       Gericht vor allem als Kollektiv ("die Macht der acht") ohne große Stars
       auftritt.
       
       ***
       
       Susanne Baer 
       
       Sie ist nicht die erste Feministin am Bundesverfassungsgericht, aber wohl
       die erste, die nicht aus der SPD, sondern aus der autonomen Frauenbewegung
       kommt. Sie kämpfte gegen die Hierarchisierung von Geschlechterrollen, unter
       anderem als Redaktionsmitglied der feministischen Rechtszeitschrift Streit.
       Seit 2002 ist sie Professorin für Öffentliches Recht und
       Geschlechterstudien an der Berliner Humboldt-Universität.
       
       Baer ist ambitioniert. Gleich ihre zweite Veröffentlichung war 1988 ein
       Gesetzentwurf "gegen Pornografie". Frauenverbände sollten gegen die
       Darstellung von Frauen als Sexobjekte auf Schadenersatz und Unterlassung
       klagen können. Seit 2003 beriet sie mit ihrem Gender-Kompetenzzentrum die
       Bundesregierung, zuletzt Ursula von der Leyen und Kristina Schröder.
       Interessant wird sein, wie sich Baer am liberalen Ersten Senat
       positioniert. 2003 schrieb sie: "Schlichte Wahlfreiheit führt dazu, dass
       Geschlechterhierarchien nicht abgebaut, sondern reproduziert werden",
       ergänzende Regeln seien erforderlich.
       
       Baer hat sich inzwischen auch außerhalb der Genderszene einen Namen
       gemacht. 2005/06 war sie Vizepräsidentin der Humboldt-Uni.
       Forschungsaufenthalte in den USA brachten ihr Renommee. Sie ist Mitautorin
       der "Grundlagen des Verwaltungsrechts", die von Andreas Voßkuhle, dem
       Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, herausgegeben werden.
       
       Die 46-Jährige schlugen die Grünen vor. Für die Heinrich Böll Stiftung
       wirkt sie schon seit Längerem als Vertrauensdozentin. Privat ist sie mit
       einer Ärztin verpartnert und wäre wohl der/die erste offen homosexuell
       lebende Verfassungsrichter/in.
       
       ***
       
       Monika Hermanns 
       
       Monika Hermanns ist die große Unbekannte im Dreiertableau. Die 51-jährige
       Richterin am Bundesgerichtshof kannte kaum jemand, und mit ihr gerechnet
       hat erst recht niemand. Jetzt wurde sie von der SPD für den Zweiten Senat
       des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen.
       
       Die im Emsland Geborene hat Justizkarriere gemacht. Nach dem Studium in
       Saarbrücken wurde sie dort Richterin, zunächst am Landgericht, später am
       Oberlandesgericht. 2004 kam sie an den Bundesgerichtshof (BGH). 2009 machte
       sie BGH-Präsident Klaus Tolksdorf zur Präsidialrichterin, also zu seiner
       rechten Hand bei der Leitung des Gerichtshofs. Bald hätte sie wohl den
       Vorsitz eines Zivilsenats übernommen - wenn man sie jetzt nicht ans
       Bundesverfassungsgericht berufen würde.
       
       Wofür Hermanns rechtspolitisch steht, ist kaum zu ergründen. Sie hat wenig
       veröffentlicht, und sie war auch nicht sichtbar politisch aktiv. Eine reine
       Fachrichterin ist sie nicht. Zeitweise war sie persönliche Referentin des
       saarländischen Justizministers Arno Walter (SPD). Später leitete sie eine
       Abteilung im Staatsministerium des Saarlands. Auch mit Verfassungsrecht
       kennt sie sich aus. Seit 2001 ist sie Richterin am saarländischen
       Verfassungsgericht. 2007 wurde sie dort wiedergewählt. Kollegen am BGH
       beschreiben sie als freundlich und sehr zurückhaltend, sie argumentiere
       abgewogen und unemotional. Hermanns ist verheiratet und kinderlos.
       
       ***
       
       Peter M. Huber 
       
       Er war nicht lange Thüringens Innenminister. Nach nur einem Jahr im Amt hat
       die CSU Peter Michael Huber als Bundesverfassungsrichter für den Zweiten
       Senat vorgeschlagen. Huber, Absolvent der Klosterschule Ettal, die jüngst
       durch Missbrauchsfälle unrühmlich bekannt wurde, studierte Jura in München
       und Genf und war mit 32 Jahren Professor für Öffentliches Recht, zunächst
       in Augsburg, dann in Jena, Bayreuth und München. In dieser Zeit war er
       Gutachter in 51 Anhörungen vor Parlamentsausschüssen und Behörden.
       
       Huber ist EU-Skeptiker. 1992 fragte er, ob der Vertrag von Maastricht ein
       "Staatsstreich" sei. Er verneinte, betonte aber, dass weitere
       Integrationsschritte vom Grundgesetz nicht mehr gedeckt seien. Doch Huber
       ist flexibel. Auch nach dem Vertrag von Lissabon schrieb er 2009, dass
       weitere Integrationsschritte kaum noch möglich seien. Er ist wegen seiner
       Umzüge sowohl Mitglied der CDU als auch der CSU. Thüringer Innenminister
       wurde er in einer schwarz-roten Koalition unter Ministerpräsidenten
       Christine Lieberknecht (CDU). In einem Gerichtsverfahren um
       Kommunalfinanzen hat er auch schon die SPD vertreten.
       
       Huber ist kein Hardliner. Er befürwortet zwar die Vorratsdatenspeicherung,
       in einem Gutachten für die Thüringer Rechtsanwaltskammer kritisierte er
       2005 aber die Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz.
       Als Befürworter von direkter Demokratie sitzt er im Kuratorium des Vereins
       Mehr Demokratie und gibt das "Jahrbuch für direkte Demokratie" mit heraus.
       Huber ist mit einer Patentrichterin verheiratet und hat zwei Töchter.
       
       10 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
 (DIR) Christian Rath
       
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 (DIR) Meinungsfreiheit
       
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