# taz.de -- Terrorwarnung in Deutschland: Mitten im "Gefahrenraum"
       
       > Ein Land in Aufregung: Was hinter der Anschlagswarnung von
       > Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) steckt - und was sie
       > bewirken soll.
       
 (IMG) Bild: Schwer bewaffnete Beamte der Bundespolizei am Mittwoch im Hamburger Hauptbahnhof.
       
       BERLIN taz | Für eine offene Gesellschaft ist das schwer auszuhalten: Der
       Innenminister warnt vor Anschlägen in Deutschland, möglicherweise noch im
       November. Doch welche Hinweise welcher Geheimdienste und Polizeien seiner
       Warnung vorausgingen, und auf welche Quellen die wiederum ihre
       Einschätzungen begründen, bleibt nebulös.
       
       Anders als in den USA oder Großbritannien gibt es in Deutschland auch kein
       Warnsystem. Keine Skala von niedrig bis kritisch, von grün bis rot.
       Hierzulande muss man versuchen, die Sätze des Innenministers zu
       entschlüsseln. [1]["Es gibt Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur
       Hysterie"], sagt der.
       
       Deutschland, so hieß es lange, sei Teil eines "weltweiten Gefahrenraums".
       Immer wieder gab es Drohungen, etwa im vergangenen Jahr vor der
       Bundestagswahl, als al-Qaida in mehreren Videos die Deutschen erpressen
       wollte. Passiert ist damals nichts, und es ist sehr gut möglich, dass
       wieder nichts passiert. Aber nach allem, was man aus den
       Sicherheitsbehörden hört, konnte Innenminister Thomas de Maizière (CDU)
       kaum anders handeln, als mit seiner Warnung an die Öffentlichkeit zu gehen
       - schon zum Selbstschutz.
       
       Die Hinweise verdichteten sich in den vergangenen Wochen, das Rauschen nahm
       zu, wie das in der Sprache der Sicherheitsbehörden heißt. Es kamen
       Reisehinweise aus den USA. Dann die Paketbomben aus dem Jemen, umgeladen am
       Flughafen Köln/Bonn. "Das Fass war so langsam voll", sagt ein hochrangiger
       Beamter.
       
       Zuletzt soll es nun noch einen US-Hinweis gegeben haben, dass eine
       Terrorgruppe versuchen wolle, mit Schengenvisa nach Deutschland
       einzureisen, um einen Anschlag zu verüben. Man könne nicht ausschließen,
       dass sich Einzelne schon hier aufhielten, hieß es in Sicherheitskreisen am
       Donnerstag. Das ist nicht mehr nur "abstrakt", wie die terroristische
       Gefahr lange bewertet wurde. "Die Lage ist schwer durchschaubar",
       formulierte es ein anderer hochrangiger Beamter vorsichtiger. "Aber es
       scheint etwas im Gange zu sein."
       
       Doch was genau, darüber scheint sich selbst der Koalitionspartner der
       Union, die FDP, nicht ausreichend informiert zu fühlen. Nach Informationen
       der taz haben die Liberalen nun eine Sondersitzung des Parlamentarischen
       Kontrollgremiums (PKG) beantragt. "Grottenolmgremium" wird die Runde in
       Berlin manchmal spöttisch genannt - weil sie geheim in einem abhörsicheren
       Raum tagt. Die Bundestagsabgeordneten hören sich dort die Informationen der
       Geheimdienste an - und sind zum Schweigen verpflichtet.
       
       Noch so eine Veranstaltung, mit der sich eine offene Gesellschaft schwer
       tut.
       
       Vor den aktuellen Terrorwarnungen war in den vergangenen Wochen immer
       wieder von [2][drei Anschlagsszenarien die Rede gewesen.] Da sind erstens
       die Aussagen von im Gefängnis sitzenden Hamburger Islamisten, ein
       hochrangiger al-Qaida-Kader habe sie in Pakistan für Anschläge anwerben
       wollen, die das Finanz- und Wirtschaftssystem in Europa treffen sollten.
       Zum Zweiten ist die Rede von angeblichen "Schläferzellen" an Isar und
       Rhein, was aber zum Teil in Sicherheitskreisen als wenig plausibel bewertet
       wird.
       
       Drittens gab es immer wieder Hinweise auf einen möglichen Anschlag wie im
       indischen Mumbai im Jahr 2008, als Terroristen Hotels stürmten und ein
       Massaker anrichteten. Von den bis zu 25 Personen, die hinter einem solchen
       Anschlagsplan in Europa vermutet werden, sollen laut New York Times jedoch
       inzwischen [3][10 in Pakistan getötet oder verhaftet worden sein].Und der
       Rest? Das bleibt unklar.
       
       Ebenso unklar bleibt, mit welchem dieser Stränge die aktuellen
       Terrorwarnungen in Deutschland zusammenhängen. Einiges, das nun in manchen
       Medien berichtet wird, scheint jedenfalls nicht zuzutreffen. So wird in
       Sicherheitskreisen bestritten, dass Anschläge auf Weihnachtsmärkte geplant
       seien. Ebenso hieß es, der aktuelle Anlass für die Terrorwarnung de
       Maizières hänge nicht mit dem Pakistaner Mohammad Ilyas Kashmiri zusammen,
       der immer wieder als Drahtzieher für mögliche Anschläge in Europa genannt
       wurde.
       
       Von den Warnungen erhoffen sich die Sicherheitsbehörden nun auch, die
       islamistische Szene aufzuscheuchen und unter Druck zu setzen. Möglich, dass
       potenzielle Attentäter dann verstärkt kommunizieren und sich dadurch
       verraten. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist inzwischen zur
       Live-Telekommunikationsüberwachung übergegangen, Abgehörtes und
       Abgefangenes wird sofort übersetzt. Dazu kommen Besuche bei den rund 130
       sogenannten islamistischen "Gefährdern" in Deutschland und ihrem Umfeld,
       Hausdurchsuchungen könnten Folgen. "Wir wollen Verunsicherung auslösen",
       heißt es.
       
       Die Maßnahmen dienten auch der "Abschreckung" hatte de Maizière am Mittwoch
       gesagt. Und tatsächlich ist es zumindest denkbar, dass sich potenzielle
       Attentäter durch die massive Präsenz von Polizisten an Bahnhöfen, Flughäfen
       und öffentlichen Orten von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Als Beleg wird
       von den Behörden auf das Beispiel der gescheiterten Kofferbomben-Anschläge
       auf Regionalzüge Ende Juli 2006 verwiesen - die Attentäter hatten
       ursoprünglich erwogen einige Wochen früher zuzuschlagen: zur Fußball-WM.
       
       In Sicherheitskreisen sieht man aber auch die Gefahr von Trittbrettfahrern
       durch die massive Öffentlichkeit, die das Thema nun erfährt.
       [4][Einzelgänger, die sich hier radikalisiert haben, möglicherweise nur
       über das Internet, könnten nun auf dumme Ideen kommen] - weil plötzlich
       alle von Anschlägen sprechen.
       
       18 Nov 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/innenminister-warnt-vor-anschlaegen/
 (DIR) [2] /1/politik/deutschland/artikel/1/minister-alarmiert-bevoelkerung/
 (DIR) [3] http://www.nytimes.com/2010/11/18/world/europe/18germany.html?scp=1&sq=fearing%20terror-threat&st=cse
 (DIR) [4] /1/politik/deutschland/artikel/1/terrorverdaechtiger-festgenommen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Schmidt
       
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