# taz.de -- Kommentar Grünen-Parteitag: Ein bisschen Ehrlichkeit
       
       > Die Grünen wollen ihre eigene Klientel zur Kasse bitten. Eine
       > Bürgerversicherung mit einer Beitragsbemessungsgrenze 5.500 Euro trifft
       > die Besserverdienenden.
       
       Die Inszenierung war klar. Die Grünen sollten sich auf ihrem Parteitag als
       moderat, vernünftig und vor allem geschlossen präsentieren. Bloß kein
       Streit, denn das verschreckt womöglich das Publikum. Nicht zufällig traf
       man sich in Freiburg, das unspektakulär von einem bürgerlich-mittigen
       Grünen regiert wird. Im März wird in Baden-Württemberg gewählt, die Grünen
       wollen dort regieren. Der Parteitag sollte Kulisse der großen grünen
       Eintrachtshow werden. Es kam etwas anders.
       
       Die grüne Basis hat keine Lust, bloß Staffage eines Politmarketing-Events
       zu sein. Das zeigte das Nein zur Winterolympiade in Garmisch. Dieses Nein
       ist peinlich für die grüne Chefin Claudia Roth, die prompt aus dem
       Olympia-Kuratorium zurücktrat. Es ist Munition für die Union, die die
       Grünen als Dagegenpartei verspottet. Aber dieses Nein ist ein Zeichen: Man
       will sich nicht dem Zwang beugen, die neue grüne Popularität bloß nicht
       durch Eigensinn zu gefährden.
       
       Die wesentliche Botschaft von Freiburg lautet indes: Die Grünen wollen ihre
       eigene Klientel zur Kasse bitten. Die Bürgerversicherung mit einer
       Beitragsbemessungsgrenze von 5.500 Euro würde in der Tat viele grüne
       Besserverdienende treffen. Beamte und Architektinnen würden mehr, Friseure
       und Arbeiterinnen weniger zahlen. Es ist sympathisch, dass die Grünen für
       eine gerechtere Gesellschaft den Zuspruch ihrer eigenen Wählerschaft
       riskieren. Lieber etwas ehrlicher als nur populär.
       
       Misstrauisch macht allerdings, dass dieser Beschluss wie ein halber Unfall
       wirkte. Die entscheidende Frage, wie hoch die Beitragsbemessungsgrenze
       liegen soll und wie heftig man also die eigene Klientel belasten will,
       debattierte man hektisch in ein paar Minuten. Die Grünen-Spitze beteuert
       zwar, über ausgefeilte Konzepte zu verfügen, doch so ist es nicht. Wie und
       wie viel die Grünen umverteilen wollen, ist unklar. Die Partei will auch
       Hartz IV erhöhen, milliardenschwere Sozialkürzungen rückgängig machen, der
       Green New Deal wird auch nicht billig. Und für die Schuldenbremse sind die
       Grünen selbstverständlich auch. Jeder weiß, dass all das zusammen kaum
       finanzierbar sein wird. Das grüne Gerechtigkeitsversprechen hat bislang
       etwas Wolkiges.
       
       Die Grünen sind derzeit eine Projektionsfläche für unterschiedlichste
       Wünsche. In Freiburg haben sie diese Fläche verkleinert. Zumindest ein
       bisschen.
       
       21 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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