# taz.de -- Grüne Bürgerversicherung: Klientel zur Kasse
       
       > Beim Parteitag in Freiburg entschieden sich die Grünen für eine starke
       > Bürgerversicherung. Das Modell soll besser, billiger und gerechter sein.
       > Ist das wirklich so?
       
 (IMG) Bild: Delegierte aus Berlin-Kreuzberg bei der Abstimmung über die Ausgestaltung der Bürgerversicherung, wie die Grünen sie sich vorstellen.
       
       Für Biggi Bender, die gesundheitspolitische Sprecherin der
       Bundestagsfraktion, ist die Sache klar: Kein anderes Land, ruft sie in
       Freiburg, leiste es sich, dass 90 Prozent der Bevölkerung im Solidarsystem
       krankenversichert, die Besserverdienenden aber in privaten Krankenkassen
       seien. "Wir brauchen die Beamtin und die Architektin im Solidarsystem",
       sagt sie. Die Delegierten, unter ihnen viele Beamtinnen und Architektinnen,
       jubeln. Fraktionschef Jürgen Trittin hält sogar eine Senkung der Beiträge
       um bis zu 3 Prozentpunkte für möglich.
       
       Tatsächlich klingt die Idee bestechend: Die gesetzlichen und privaten
       Krankenversicherungen verschmelzen miteinander. Dabei gilt bei der
       Bürgerversicherung das Solidarprinzip: Jeder zahlt nach seiner
       Leistungsfähigkeit und bekommt dennoch, was er braucht. Zudem gibt es einen
       einheitlichen Leistungskatalog.
       
       Die Gesundheitsversorgung werde besser, kostengünstiger und gerechter, sind
       die Grünen überzeugt. Besser für die gesetzlich Versicherten, weil erstmals
       die Gleichheit der Behandlung aller Patienten sowie ein schnellerer Zugang
       zu Spezialisten gewährleistet werde. Besser aber auch für die privat
       Versicherten, weil diese vor hohen Preisen geschützt würden.
       Kostengünstiger, weil nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Beamte und gut
       verdienende Selbstständige in das soziale Sicherungssystem einzahlten. Und
       gerechter, weil alle Einkommensarten einbezogen würden, also auch
       Mieteinnahmen oder Kapitalerträge.
       
       Gegen die Bürgerversicherung, das wissen auch die Grünen, sträuben sich
       Lobbygruppen. Sie wollen weiterhin die Zweiklassenmedizin. Zudem gibt es,
       wie selbst Befürworter einräumen, verfassungsrechtliche Bedenken. Und auch
       die finanziellen Auswirkungen fallen geringer aus, als es bislang
       öffentlich vermittelt wird.
       
       Ein vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen im Auftrag der
       Grünen erstelltes Gutachten kommt zu dem Schluss: Den größten finanziellen
       Effekt (1,2 Beitragssatzpunkte, das entspricht 14 Milliarden Euro
       Mehreinnahmen für die gesetzliche Krankenversicherung) würde ausgerechnet
       eine juristisch umstrittene Forderung bringen, nämlich die
       Zwangseinbeziehung der 9 Millionen Privatversicherten.
       
       Den Grünen schwebt daher vor, die privaten Versicherungen nicht ganz
       abzuschaffen, ihnen aber vorzuschreiben, dass sie künftig unter denselben
       Bedingungen am Wettbewerb teilnehmen müssen. Das Problem: Bestehende
       private Versicherungsverträge genießen Bestandsschutz.
       
       Erstaunlich auch: Die Einbeziehung von Vermögenseinkommen, die von den Fans
       der Bürgerversicherung aus Gerechtigkeitsgründen oft genannt wird, hätte
       laut Gutachten einen eher geringen Effekt. Lediglich 0,4 Beitragssatzpunkte
       ließen sich durch die Einbeziehung aller Einkommensarten einsparen.
       
       Und auch die Abschaffung der bislang beitragsfreien Mitversicherung nicht
       berufstätiger Eheleute würde sich laut Gutachten finanziell kaum auswirken,
       ebenso wenig das Beitragssplitting für die sodann nicht mehr beitragsfrei
       mitversicherten Familienmitglieder.
       
       "Diejenigen, die ein hohes Vermögen haben, haben meistens auch ein hohes
       Einkommen", sagt der Volkswirt und Mitautor des Gutachtens, Robert Arnold.
       Die Anrechnung des Vermögens dieser Leute falle kaum ins Gewicht, weil sie
       bereits allein mit ihrem Lohn die Beitragsbemessungsgrenze erreichten.
       
       Diese Grenze liegt derzeit bei 3.750 Euro und bedeutet: Selbst wer deutlich
       mehr verdient, zahlt nur 14,9 Prozent (ab 1. 1. 2011: 15,5 Prozent) von
       3.750 Euro für die gesetzliche Krankenversicherung. Dahinter steckt der
       Gedanke, dass bei einer Pflichtversicherung der Beitrag immer in einem
       verträglichen Verhältnis zur Leistung stehen muss.
       
       Die Grünen haben nun ausrechnen lassen, wie viel die komplette Aufhebung
       der Beitragsbemessungsgrenze finanziell einbringen würde. Ergebnis: 0,8
       Prozentpunkte. Weil das aber politisch als kaum durchsetzbar gilt, wurde
       auf dem Parteitag beschlossen, die Beitragsbemessungsgrenze nur anzuheben -
       auf immerhin 5.500 Euro. Die Grünen bitten damit ihre eigene, zumeist sehr
       gut verdienende Klientel zur Kasse.
       
       Entschieden wurde diese Schlüsselfrage in Freiburg im Schweinsgalopp.
       Gerade 4 Minuten gönnte sich der Parteitag dafür. Fritz Kuhn plädierte für
       die niedrigere Beitragsbemessungsgrenze von 4.162 Euro. Sein Argument: Man
       wisse noch nicht, wie sich andere steuerliche Ideen der Grünen wie "die
       Abschmelzung des Ehegattensplittings" auswirken werden. Außerdem hätten
       sich die Grünen mit der Bürgerversicherung "eine Jahrhundertreform"
       vorgenommen. Der Widerstand werde gewaltig sein, man müsse vorsichtig sein.
       
       Kuhns Appell blieb ungehört: Der Parteitag votierte für die höhere Grenze
       von 5.500 Euro. Finanzexperte Gerhard Schick argumentierte, dass auch die
       höhere Grenze von 5.500 Euro für Besserverdienende nur "50 bis 60 Euro im
       Monat mehr" bedeuten würde. Die Bürgerversicherung sei nur glaubwürdig,
       wenn "untere und mittlere Einkommen die Gewinner sind".
       
       Nicht alle waren mit diesem Beschluss glücklich. So sagte die bayerische
       Parteichefin Theresa Schopper: "Wir müssen auch nach dem Parteitag
       erhobenen Hauptes über den Dorfplatz gehen können" - ohne von wütenden
       Beamtinnen und Architektinnen beschimpft zu werden.
       
       21 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) H. Haarhoff
 (DIR) S. Reinecke
       
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