# taz.de -- Sicherheit in Zeiten von Terroralarm: Angst macht Angst
       
       > Politiker rufen die Bürger verstärkt zur "Wachsamkeit" auf. Viele Muslime
       > fühlen sich unter Generalverdacht - wieder einmal. Schon eine Landpartie
       > löst reine Panik aus.
       
 (IMG) Bild: Wachsam: Schwer bewaffneter Polizist am Berliner Hauptbahnhof.
       
       HANNOVER / BERLIN taz | Seit ein paar Tagen denkt Kathrin Klausing wieder
       oft an ihre Flitterwochen. Es sind allerdings keine romantischen Bilder,
       die hochkommen. Wenn sie Nachrichten über die Terrorgefahr und Appelle zur
       "Wachsamkeit" hört, erinnert sie sich, wie Polizisten spätabends mit
       kugelsicheren Westen und bewaffnet mit Maschinengewehren in ihr
       Ferienhäuschen stürmten.
       
       Auf dem Tisch liegen Gerichtsakten. Das Verfahren ist seit Januar
       abgeschlossen, Kathrin Klausing und ihr Mann Omar Abo-Namous haben
       erfolglos gegen den Einsatz geklagt, den verängstigte Nachbarn vor drei
       Jahren ausgelöst hatten. Etwa 2.000 Euro hat das Ehepaar für die
       Gerichtsverfahren ausgegeben, weit mehr als für ihre Flitterwochen in
       Hamwiede, einem Dorf in der Lüneburger Heide.
       
       Kathrin Klausing blättert im Urteil des Landgerichts Verden. Wegen der
       "allgemein erhöhten Gefahrenlage" durch den internationalen Terrorismus sei
       die Polizei gezwungen gewesen, "auch und gerade auf verdächtige Vorgänge im
       ländlichen Bereich zu achten", steht darin. Und dass die Nachbarn in
       Hamwiede das Landeskriminalamt alarmierten, weil sie "einen terroristischen
       Hintergrund befürchteten".
       
       Sie taten also, wozu Politiker auch jetzt aufrufen - in der Hoffnung,
       aufmerksame Bürger könnten einen Terroranschlag vereiteln. Wie viele Bürger
       auf diese Appelle zur "Wachsamkeit" anspringen, ist unklar. Die Berliner
       Innenbehörde versichert, sie bekomme zurzeit nicht mehr Hinweise als sonst.
       Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln will keine Zahlen nennen, lässt
       aber wissen: "Wir stellen eine Sensibilisierung der Bevölkerung fest." Doch
       was heißt "Sensibilisierung"?
       
       Der "verdächtige Vorgang" in Hamwiede war ein Paar aus Hannover, das sich
       mangels Geld für Flitterwochen auf dem Land entschieden hatte. Und zwar
       kurz nachdem die "Sauerland-Gruppe" in einem Ferienhaus in der Provinz
       hochgenommen worden war. Kathrin Klausing promoviert in Arabistik, ist zum
       Islam konvertiert und trägt ein Kopftuch. Ihr Mann, ein in Kuwait geborener
       Deutscher, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität.
       
       Man kann das Paar für ein Beispiel gelungener Integration halten. Doch bei
       Nachbarn in Hamwiede löste die Landpartie der beiden Panik aus. Auch der
       Polizei scheint unwohl gewesen zu sein, als sie im Auftrag des LKA die
       Mieter des Ferienhauses kontrollieren sollte. Laut der Gerichtsakte erwogen
       die Beamten sogar, Spezialkräfte anzufordern. Schließlich rückten acht
       bewaffnete Polizisten an, umstellten das Haus. Omar Abo-Namous öffnete, bat
       die Polizei, sich kurz zu gedulden, seine Frau müsse sich noch etwas
       anziehen. Da stürmten schon Polizisten hinein. Aus Angst, gab der
       Einsatzleiter zu Protokoll: Er habe gehört, dass sich jemand im Haus
       bewegte, und eine "Flucht" oder eine "Bewaffnung" befürchtet.
       
       Wann ist Terrorangst berechtigt? Wann wird daraus eine durch Vorurteile
       angeheizte Hysterie? Das Landgericht Verden wertete den Einsatz in Hamwiede
       als angemessen. Von Polizisten auf dem Land könne man nicht erwarten, dass
       sie im Detail "mit der Sitte des muslimischen Glaubens" vertraut seien,
       hieß es in der Entscheidung.
       
       Kathrin Klausing ist ratlos. "Wenn ich mir muslimische Kleidung anziehe,
       ist das für die Polizei inzwischen ein hinreichender Grund, in mein Haus zu
       stürmen? Das ist doch Wahnsinn!" Seit ein paar Tagen hat sie keine Lust
       mehr, zum Hannoveraner Hauptbahnhof zu gehen.
       
       Schließlich sei die Polizei aufgerufen, mehr als sonst Personen zu
       kontrollieren: "Und nach welchen Kriterien gehen die da wohl vor?" Auch mit
       Einkaufstüten in der U-Bahn fühle sie sich unwohl, erzählt die Doktorandin.
       "Am liebsten würde ich den Sitznachbarn sagen: Leute, da sind nur Windeln
       drin!"
       
       Mit ihrem Unbehagen steht Kathrin Klausing nicht allein da. Unter Muslimen
       ist vor allem die Enttäuschung über den Berliner Innensenator Ehrhart
       Körting (SPD) groß. Der hatte den Bürgern vergangene Woche empfohlen, sie
       sollten der Polizei neue Nachbarn melden, die "etwas seltsam aussehen" und
       "nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen".
       Ein ungeheuerlicher Ratschlag, finden viele Muslime. Solche Warnungen
       passen nicht zu ihrem Bild des Innensenators, den die meisten eigentlich
       für einen Brückenbauer halten. Viele fragen sich: Was soll dieser Wahnsinn?
       
       Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, formuliert es
       diplomatisch: "In der aktuellen Situation erwarten wir von unseren
       Politikern besonnene, sachliche Äußerungen und eine intelligente und
       geheime Fahndung." Er sieht Muslime in doppelter Weise von der aktuellen
       Sicherheitslage betroffen: Sie könnten ja genau wie andere Opfer eines
       Anschlags werden und fühlten sich außerdem vermehrt einem Generalverdacht
       ausgesetzt.
       
       Auch Mazyek appelliert an Muslime, die Polizei zu alarmieren, wenn sie
       etwas von geplanten Straftaten mitbekämen - dies sei "Bürger- und
       Muslimpflicht". Gleichzeitig warnt er vor einer wachsenden Islamophobie.
       Sein Verband bekomme in jüngster Zeit mehr "Hassbriefe" und "Hassmails".
       Der Inhalt sei zum Teil justiziabel. Die Übergriffe auf muslimische Bürger
       nähmen zu. Fast im Monatsabstand würden Anschläge auf Moscheen verübt.
       
       Konkrete Zahlen könne er aber nicht liefern, weil die Behörden diese
       Delikte nicht gesondert zählten. "Wir haben immer wieder bei der Polizei
       angeregt, bei Straftaten auch die Muslimfeindlichkeit statistisch zu
       erheben." Bisher ohne Erfolg. Mazyek will bei den nächsten Gesprächen mit
       Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt wieder daran erinnern.
       
       "Es läuft sehr, sehr traurig im Moment", sagt Hüsnü Özkanli, der die
       Deutsch-Türkische Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg leitet. Man
       hört ihm die Empörung an. "Uns alle zu verdächtigen, das ist doch nicht
       normal!" Natürlich fühle man sich als Muslim jetzt, als würde man mit
       anderen Augen angeschaut, sagt er. Von der SPD habe er sich eigentlich eine
       andere Politik erwartet.
       
       "Entsetzen und Zorn", das seien seine Gefühle, sagt auch ein junger
       Geschäftsmann arabischer Herkunft, der sein Büro in Berlin-Mitte hat und
       beim Thema Terror lieber nicht mit Namen genannt werden will. Für ihn sei
       nach der Sarrazin-Debatte die Sicherheitsdiskussion ein "neuer
       Mosaikstein". "Ich weiß nicht, ob die Appelle dazu führen, dass mich die
       Leute merkwürdig anschauen", sagt er. "Aber ich fühle mich überhaupt nicht
       wohl."
       
       Mohamad Ibrahim erinnert die aktuelle Lage an die Zeit nach dem 11.
       September 2001. Seine Frau trägt ein Kopftuch. Damals, erzählt Ibrahim,
       hatte er den Eindruck, die Menschen schauen genauer hin, wenn er und seine
       Frau in der U-Bahn eine Tasche abstellten. "Dieses Gefühl kommt jetzt
       wieder hoch", sagt gebürtige Libanese, der bei einer
       Entwicklungsorganisation arbeitet. Seine Frau werde in letzter Zeit öfter
       angepöbelt. Als er kürzlich mit Kollegen nach Bonn geflogen sei, habe ihn
       das Sicherheitspersonal ausgiebig gefilzt, sein deutsch aussehender Kollege
       sei durchgewinkt worden.
       
       Nicht alle Betroffenen nehmen solche Erlebnisse allerdings als persönliche
       Diskriminierung wahr. "Ich habe bisher keine Veränderung gespürt",
       versichert ein international tätiger Manager, der anonym bleiben möchte. Er
       nimmt Körting in Schutz. Der Innensenator habe in den vergangenen Jahren
       viel für Muslime getan.
       
       Der Manager klingt gelassen. "Meine Nachbarn schauen mich auch nicht schräg
       an, wenn ich auf Arabisch telefoniere - obwohl ich der einzige Deutsche mit
       Migrationshintergrund in unserem Haus bin", berichtet er. Auch ein
       arabischer Kunde habe ihm gestern versichert: Ich fühle mich wohl in
       Berlin!
       
       Omar Abo-Namous hat inzwischen einige Erfahrungen mit den
       Sicherheitsmaßnahmen gegen Muslime gesammelt. Bereits vor dem
       Polizeieinsatz damals war er als Student in die Rasterfahnung geraten.
       Später erfuhr er per Post, dass gegen ihn nichts vorliege. Vor einem Jahr,
       erzählt er, hätten Polizisten in Hannover im Zuge einer "Moscheekontrolle"
       auf der Straße seine Papiere verlangt. Das habe er als ziemlich
       erniedrigend empfunden.
       
       Es ärgert ihn, wenn der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU)
       nun mehr Polizei in "muslimisch geprägten Vierteln" fordert. Konkrete
       Folgen habe der jüngste Alarm aber bisher nicht für für seinen Alltag
       gehabt, sagt der Ingenieur. Dann ergänzt er grinsend: "Wir müssen wohl mal
       wieder Ferien auf dem Dorf machen!"
       
       29 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
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 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
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