# taz.de -- Julian Assange ist nicht Bin Laden: Im Zweifel für die Aufklärung
       
       > Hätten die Hacker ein Komplott gegen die USA aufgedeckt, sie wären
       > Helden. Die Hetze gegen sie erinnert verdammt an die Zeiten unter
       > McCarthy.
       
 (IMG) Bild: Wenn die USA wochenlang nach einem Gesetz suchen, gegen das Assange verstoßen haben könnte, dann gibt es wohl keines.
       
       Ich hab auf die Wikileaks-Veröffentlichungen nur gewartet. Natürlich ist
       nicht alles neu: Dass Korruption auch in der Karsai-Regierung blüht, weiß
       jeder, der sich mit Afghanistan beschäftigt. Auch, dass von
       Regierungsmitgliedern kofferweise Dollars halblegal und in bar ins Ausland
       verbracht werden, stand schon in der Zeitung.
       
       Aber dass eine US-Botschaft unter Berufung auf die US-amerikanische
       Drogenbekämpfungsbehörde vertraulich an das Foreign Office meldet, der
       Exvizepräsident von Afghanistan habe bei einer Reise nach Arabien 52
       Millionen Dollar Bargeld außer Landes geschleust, das ist doch eine
       wichtige Information. Und dass nach US-Botschaftsberichten arabische
       Potentaten die USA regelrecht zum Krieg gegen den Iran und zum Angriff auf
       dessen Präsidenten, den sie doch gerade erst mit großen Ehren empfangen und
       umarmt hatten, gedrängt haben, auch das ist neu und durchaus von Interesse.
       
       Es geht schlicht um Aufklärung 
       
       Die Bevölkerung dieser Länder hat ein Recht zu erfahren, wie sie
       systematisch von ihren Regierungen belogen wurde und wie der Vizestaatschef
       von Afghanistan an so viel Geld kam. Die Veröffentlichung solcher Dokumente
       dient der Unterrichtung und Meinungsbildung in der arabischen Welt oder in
       Afghanistan, aber auch hier bei uns. Schließlich sind wir in diesen Ländern
       nicht nur finanziell stark engagiert.
       
       Es mag sein, dass die, die in den Botschaftsmeldungen genannt werden, jetzt
       Probleme haben, sich zu erklären. Aber dass alles falsch ist, was gemeldet
       wurde, habe ich weder aus den US-Botschaften oder von der US-Regierung noch
       von irgendwelchen Präsidenten oder Scheichs gehört. Und niemand bei uns
       oder in den USA käme auf die Idee, den Bruch diplomatischer Geheimhaltung
       zu geißeln, wenn öffentlich würde, wie andere Regierungen heimlich gegen
       die USA und deren Präsidenten hetzten und zum Krieg aufriefen. Die, die
       solche Informationen für alle Welt offenlegen, würden vermutlich als mutige
       Aufklärer geehrt, die mit ihren Enthüllungen dazu beitragen, einen Krieg zu
       verhindern oder Korruption zu bekämpfen.
       
       Die undiplomatischen Kommentare zu Politikern, Abgeordneten und Regierenden
       vieler Länder mögen manchmal entbehrlich oder gar ärgerlich sein. Aber die
       Prinzessin von Monaco oder der Prinz aus dem Buckingham Palace müssen sich
       noch ganz anderes gefallen lassen, sogar Berichte ihres Liebesgeflüsters am
       Telefon. Die Veröffentlichung von Personalien ist der Preis der
       Pressefreiheit. Viele Leser lesen so etwas zuerst. Wikileaks und sein Chef
       Assange können sich in Deutschland auf den Schutz der Meinungs- und
       Pressefreiheit berufen. Das Internet gehört zu den modernen Medien. Sie
       genießen den Schutz des Grundgesetzes wie jedes Lokalblatt. Das ist
       eigentlich selbstverständlich.
       
       Wikileaks handelt legal 
       
       In der Diskussion darüber, wer eigentlich Journalist ist und wer sich im
       Strafprozess auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und
       privaten Informanten berufen darf, gibt es seit 2002 eine neue Definition,
       die die neuen Instrumente und neuen Medien einbezieht: "Personen, die bei
       der Vorbereitung, Herstellung und Verbreitung von Druckwerken,
       Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung und Meinungsbildung
       dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken,
       sind zur Zeugnisverweigerung berechtigt. Dies gilt, soweit es sich um
       Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen
       Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste
       handelt." So haben wir es der durch Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgten
       Pressefreiheit entnommen und ins Gesetz geschrieben.
       
       Wikileaks arbeitet Dokumente zur Veröffentlichung auf. Manche bleiben
       unveröffentlicht, manchmal werden Klarnamen und Gesichter verpixelt. Ich
       kenne keinen Fall, bei dem der Kernbereich der privaten Lebensführung
       verletzt oder Personen akut gefährdet wurden. Wikileaks trägt damit die
       gleiche Verantwortung wie Bild, Spiegel und Süddeutsche, wenn diese Interna
       der deutschen Geheimdienste oder aus dem geheimen Nato-Bericht zur
       Bombardierung im afghanischen Kundus veröffentlichten.
       
       Was wir noch wissen müssen 
       
       In der öffentlichen Diskussion wird oft gefragt, wer denn Wikileaks bei der
       Auswahl kontrolliere. Natürlich niemand. Es sind die Mitarbeitenden selbst,
       die abwägen müssen zwischen Informationsinteresse und etwa dem Schutz der
       Privatsphäre oder Gefahren für Personen durch Aufdeckung eines Skandals.
       Und sie müssen verantworten, was sie tun, wie andere Journalisten auch.
       Zwar nicht vor dem Presserat, jedenfalls noch nicht. Aber das Gesetz setzt
       auch diesem Teil der Vierten Gewalt seine Grenzen. Dessen Einhaltung
       kontrollieren auf Antrag Gerichte, wie bei jeder Zeitung, Illustrierten
       oder TV-Sendung auch.
       
       Die aktuelle Verfolgungshysterie in den USA gegen Assange und jeden, der
       Wikileaks gutheißt, verteidigt oder auch nur liest, erinnert verdammt an
       den Vorwurf unamerikanischer Umtriebe unter McCarthy, dem Meister des
       Rufmords, in den Fünfzigerjahren zu Hochzeiten des Kalten Kriegs. Frau
       Palin will sie jagen wie al-Qaida. Wer so redet wie sie oder Senator
       Liebermann, ist nicht mehr ernst zu nehmen. Denn Julian Assange ist nicht
       Bin Laden, und Wikileaks gehört nicht zur Achse des Bösen. Wenn die ganze
       US-Regierung, unterstützt von zahlreichen Anwaltskanzleien, wochenlang
       vergeblich nach einem Gesetz sucht, gegen das Assange verstoßen haben
       könnte, dann gibt es wohl keines.
       
       Deutsche Politiker - vor allem diejenigen, die in den Botschaftsmeldungen
       der US-Diplomatie nicht erwähnt werden - und leider auch viele
       Medienvertreter üben sich jedoch schon wieder in jenem Konformismus, wie er
       aus den USA vorgegeben wird.
       
       Nach Wikileaks-Dokumenten übte die US-Diplomatie 2007 Druck aus, um die
       Vollstreckung der Haftbefehle gegen CIA-Agenten zu verhindern, die den
       Deutschen El Masri entführt hatten. In diesem Skandal gibt es noch viel zu
       enthüllen. Nicht nur deshalb warte ich gespannt auf Neues aus dem Paket mit
       den 250.000 Dokumenten.
       
       19 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Ströbele
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Assange, der "Guardian" und "Aftenposten": Was sich leakt, das neckt sich
       
       Während "Aftenposten" durch ein Leck bei Wikileaks erhaltene Informationen
       veröffentlicht, beschwert sich Assange bitter über die Sex-Enthüllungen des
       "Guardian".
       
 (DIR) Julian Assange über Klägerinnen: "Nervös geworden"
       
       Wikileaks-Gründer Julian Assange vermutet in einem Interview, dass die
       Klägerinnen überreagiert hätten. Der Polizei wirft er vor, die Frauen
       womöglich mit Absicht hereingelegt zu haben.
       
 (DIR) Vom Whistleblower zum Faustpfand: Manning soll gegen Wikileaks aussagen
       
       Der inhaftierte Exsoldat Bradley Manning soll Hafterleichterung bekommen,
       wenn er den Wikileaks-Gründer Assange als Anstifter der Enthüllungen outet.
       
 (DIR) Inhaftierter Wikileaks-Informant: Sorge um Whistleblower Manning
       
       Der mutmaßliche Wikileaks-Informant Bradley Manning soll unter
       folterähnlichen Haftbedingungen leiden. Dass der Ex-Soldat tatsächlich die
       Quelle ist, steht nicht fest.
       
 (DIR) Debatte Wikileaks: Die Legende vom Hl. Julian
       
       Bedrohen dunkle Mächte den Freiheitskämpfer Julian Assange? Selten war eine
       politische Debatte so getränkt mit den Mythen der Popkultur.
       
 (DIR) Wikileaks-Gründer Assange: Warten auf die Sex-Details
       
       Die neue Freiheit kann Wikileaks-Gründer Assange kaum genießen. Seine
       Anwälte sprechen von Ermittlungen in den USA und weiteren Informationen zu
       den Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden.
       
 (DIR) Gemeinsame Erklärung: Appell gegen die Angriffe auf Wikileaks
       
       Die tageszeitung und andere Medien veröffentlichen einen Appell gegen die
       Angriffe auf Wikileaks. Mehrere tausend Menschen haben inzwischen mit
       unterzeichnet.