# taz.de -- Kommentar Nahost-Konflikt: Vom Kosovo lernen
       
       > Die Palästinenser sollten jetzt, ohne Rücksicht auf Israel, einen eigenen
       > Staat ausrufen. Das ist die letzte Chance zur Lösung des Nahostkonflikts
       > - auch für Israel.
       
       Erst im Frühjahr 2009 erklärte sich das Kosovo - in der ehemals
       jugoslawischen Teilrepublik Serbien einst eine autonome Provinz - zum
       unabhängigen Staat. Im Herbst nächsten Jahres will nun die Palästinensische
       Autonomiebehörde, die in Ramallah im Westjordanland ihren Sitz hat, einen
       eigenen Staat ausrufen - ein Palästina in den Grenzen von vor dem
       Sechstagekrieg vom Juni 1967. Bei allen Unterschieden werfen die beiden
       Fälle dieselben Fragen auf: Wie entsteht ein neuer Staat? Was sind die
       Voraussetzungen dafür? Und wie wird dieser neue Staat zum
       gleichberechtigten Mitglied der Weltgemeinschaft?
       
       Keine historischen Vorbilder 
       
       Allgemeingültige Antworten gibt es dafür nicht. Denn weder aus der Zeit,
       als sich vom 16. bis zum 19. Jahrhundert in Europa die ersten
       Nationalstaaten herausbildeten, noch aus jener Ära im 20. Jahrhundert, in
       der die ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, Asien und Lateinamerika
       ihre Unabhängigkeit durchsetzten, gibt es historische Beispiele, die als
       Präzedenzfälle für das Kosovo oder Palästina dienen könnten. Also muss man
       die konkreten Einzelfälle vergleichen.
       
       Im Kosovo kontrolliert die Regierung in Prishtina, die von der über
       90-prozentigen albanischen Bevölkerungsmehrheit dort gewählt wurde, zwar
       fast vollständig das Territorium des neuen Staates, von einigen serbischen
       Enklaven im Norden einmal abgesehen. Damit Kosovo aber auch zum
       vollwertigen Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft mit allen
       dazu gehörenden Rechten und Pflichten werden kann, müsste es von mindestens
       zwei Dritteln der 192 Mitglieder der UNO-Generalversammlung offiziell als
       Staat anerkannt werden. Doch zu dieser Anerkennung sind fast drei Viertel
       aller UNO-Mitglieder, auch knapp zwei Jahre nachdem sich das Kosovo von
       Serbien unabhängig erklärt hat, noch immer nicht bereit.
       
       Die große Mehrheit der UN-Generalversammlung betrachtet die
       Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und dessen Anerkennung durch bislang 52
       Länder - darunter Deutschland - als Verstoß gegen die UN-Charta sowie gegen
       die UN-Resolution 1244. Diese hatte der UN-Sicherheitsrat zum Ende des
       Nato-Luftkriegs gegen Serbien im Sommer 1999 beschlossen. Dieser
       völkerrechtswidrige Krieg hat die Unabhängigkeitserklärung Kosovos
       machtpolitisch überhaupt erst ermöglicht. Auch dieser Umstand trägt dazu
       bei, dass viele Länder sich bis heute hartnäckig weigern, das Kosovo als
       eigenen Staat anzuerkennen.
       
       Im Fall Palästina ist die völkerrechtliche Lage - zumindest auf dem Papier
       - eindeutiger. Ende November 1947 beschloss die UNO-Generalversammlung mit
       ihrer Resolution 181, das auf dem Gebiet des damaligen britischen
       Mandatsgebietes Palästina zwei unabhängige Staaten geschaffen werden
       sollten: Israel auf 56 Prozent und Palästina auf 44 Prozent des
       Territoriums. Die Generalversammlung berief einen Ausschuss, der die
       endgültigen Grenzen festlegen und in beiden künftigen Staaten freie,
       allgemeine Wahlen vorbereiten sollte. Auch heute, 63 Jahre später, ist die
       Resolution 181 noch immer ohne Einschränkung gültig. Doch die Fakten, die
       inzwischen von Israel durch Grenzverschiebung, Besatzung und Siedlungsbau
       geschaffen wurden, stehen einer Umsetzung dieser Ziele massiv entgegen.
       
       Scheitern aller Verhandlungen 
       
       Bereits im Krieg von 1948 reduzierte Israel das für den Staat Palästina
       vorgesehene Territorium um mehr als die Hälfte. Nach den weiteren
       Eroberungen im Krieg von 1967 forderte die UN-Resolution 242 Israel zum
       Rückzug auf die Waffenstillstandslinie ("Grüne Linie") von 1948 auf. Diese
       Linie wurde seit 1988 zur Grundlage für alle Verhandlungen über eine
       Zweistaatenlösung. Dass US-Präsident Obama vor der illegalen
       Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu eingeknickt ist, hat aller Welt
       das endgültige Scheitern dieser Verhandlungen deutlich gemacht.
       
       In dieser Situation bietet die einseitige Ausrufung des Staates Palästina
       die letzte Chance für eine Zweistaatenlösung. Auch deshalb wird diese
       Proklamation sehr viel konkretere Folgen haben als 1988, als der damalige
       PLO-Chef Arafat von seinem Exil in Tunis schon einmal einen Staat Palästina
       ausrief. Zwar begrüßte eine Zweidrittelmehrheit der UNO-Generalversammlung
       schon damals per Resolution Arafats Erklärung. Doch dann wurde lediglich
       das Namensschild, unter dem die Palästinenser als Beobachter an der
       UN-Generalversammlung teilnehmen dürfen, von "PLO" in "Palestine"
       verändert.
       
       Diesmal wird eine Mehrheit der UNO-Mitglieder den Staat Palästina
       ausdrücklich anerkennen, diplomatische Vertretungen in Ramallah errichten,
       bilaterale Vereinbarungen mit der Regierung Palästinas abschließen sowie
       den Druck auf Israel verstärken, seinen Siedlungsbau zu stoppen und sich
       endlich auf die Vorkriegsgrenzen von 1967 zurückzuziehen.
       
       Gemeinsamer Staat als Ausweg? 
       
       Die einseitige Gründung des Staates Palästina bietet damit auch die
       wahrscheinlich letzte Chance für den dauerhaften Fortbestand und die
       gesicherte Existenz eines Staates Israel mit mehrheitlich jüdischer
       Bevölkerung. Wenn die israelische Regierung die Staatsgründung Palästinas
       in den Vorkriegsgrenzen von 1967 ablehnt oder gar aktiv torpediert, wird
       das nicht nur diejenigen Kräfte stärken, die ein sehr viel größeres
       Palästina in den von UNO-Resolution 181 vorgesehenen Grenzen von 1947
       fordern. Darüber hinaus würde die israelische Regierung mit ihrer Ablehnung
       die Entwicklung hin zu einer Ein-Staat-Lösung befördern, in dem die
       jüdische Bevölkerung in absehbarer Zeit zu einer Minderheit würde.
       Schließlich kann und sollte sich Israel nicht darauf verlassen, dass es
       auch künftig, so wie in den letzten 62 Jahren, bei allen militärischen
       Konflikten die Oberhand behält.
       
       Die serbische Regierung in Belgrad hat ihren jahrelangen erbittertem
       Widerstand gegen die mit völkerrechtswidrigen Mitteln ermöglichte Sezession
       und Staatsgründung des Kosovo schließlich aufgegeben, um den Weg Serbiens
       in die EU frei zu machen. Auch die israelische Regierung sollte, im
       wohlverstandenen Eigeninteresse, ihren Widerstand gegen einen Staat
       Palästina aufgeben und die Umsetzung des mit der UN-Resolution 181 von 1947
       begründeten Völkerrechts ermöglichen.
       
       2 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Zumach
       
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