# taz.de -- Der Dioxinskandal in der Futtermittelindustrie: Erst füttern, dann fragen
       
       > Liegt der Fehler beim jüngsten Dioxinskandal tatsächlich nur bei einem
       > einzigen Futterhersteller? Eher doch in einer völlig undurchsichtigen
       > globalen Futterindustrie.
       
 (IMG) Bild: Dioxin: Extrem giftig, lange haltbar und überall zu finden.
       
       Die Absolution erteilen in der Futtermittelindustrie in diesen Tagen die
       Lieferscheine. Wer einen korrekt ausgefüllten Lieferschein vorweist, kann
       nichts dafür, dass Hühner Futter bekommen haben, das mit krebserregendem
       Dioxin belastet war, und dass wohl hundertausende Eier mit dem Umweltgift
       von Menschen verzehrt wurden.
       
       "Nur für technische Nutzung" lautet das Alibi. So waren die Fettsäuren
       bezeichnet, die von dem Biodieselhersteller Petrotec über den
       niederländischen Händler Olivet an den Futtermittelhersteller Harles und
       Jentzsch gelangten und eigentlich nie zur Herstellung von Tierfutter hätten
       verwendet werden dürfen. Die ersten beiden Firmen sagen: Wir können nichts
       dafür, wenn da jemand unsere Produkte zweckentfremdet und panscht.
       Aussagen, die beispielhaft stehen für eine Branche, in der die
       Verantwortung am Werkstor endet, obwohl sie regelmäßig von Skandalen
       heimgesucht wird.
       
       Ganz am Ende einer langen Kette stehen die Landwirte. Die Möglichkeiten
       eines Bauern, in der konventionellen Massentierhaltung etwas über die
       Herkunft seines Futters zu erfahren, sind sehr begrenzt. Auf den Etiketten
       der Futtermittelsäcke sind lediglich die Rohkomponenten vermerkt: etwa
       Sojamehl oder Weizen, dazu die Anteile an Mineralstoffen, Spurenelementen
       und der Energiegehalt. Außerdem, ob sie gentechnisch modifizierte
       Organismen enthalten. Die Herkunft der einzelnen Rohkomponenten ist nicht
       angegeben. Hätten Landwirte im aktuellen Fall die Lieferkette
       nachvollziehen können, wäre der Skandal vielleicht wesentlich eher
       aufgeflogen. Ein kurze Internetrecherche hätte gereicht, um festzustellen,
       dass die nun mit Dioxin belasteten Fettsäuren von Petrotec stammen - einem
       Hersteller, der keine für Tiernahrung geeigneten Produkte verkauft.
       
       Informationen zum Herkunftsland oder zu einer möglicherweise nachhaltigen
       Produktion der Inhaltsstoffe gibt es für die Landwirte nicht. Natürlich
       könnten sie ihre Futtermittel selbst herstellen. Doch das ist wesentlich
       teurer als deren Bestellung. Für die Mehrzahl der Bauern in der
       konventionellen Landwirtschaft ist das kaum eine Alternative. Die meisten
       Konsumenten wollen billige Ware kaufen, der Markt muss möglichst günstig
       bedient werden. Rund sechs Milliarden Euro Jahresumsatz macht die deutsche
       Futtermittelindustrie auf diese Weise, pro Jahr werden hierzulande gut 21
       Millionen Tonnen Mischfutter hergestellt. Auch der Großteil des in
       Deutschland benötigten Geflügelfutters wird industriell hergestellt.
       Jährlich sind das nach Zahlen des Deutschen Verbands Tiernahrung (DVT) etwa
       5,5 Millionen Tonnen.
       
       Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf lässt kaum ein gutes Haar an dieser
       Milliardenbranche. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
       Landwirtschaft (AbL), betreibt einen 50 Hektar großen Hof in Ostwestfalen
       und saß für die Grünen als Agrarexperte im Europaparlament. "Wir haben ein
       Problem im System. Die Hasardeure der Futtermittelindustrie sind immer auf
       der Suche nach den billigsten Rohstoffen, die meisten Landwirte schauen
       einfach weg", sagt er. Deshalb müsse jeder Landwirt volle Transparenz über
       die Herkunft der Rohstoffe für das Futtermittel fordern. Nach EU-Recht zwar
       verboten, aber laut Baringdorf oft praktiziert: Ein mit Dioxin belastetes
       Öl für Tierfutter wird mit unbelastetem so lange gestreckt, bis das
       gepanschte Gemisch den Grenzwert für das Gift unterschreitet. So wird ein
       Teil des Dioxinöls lukrativ veredelt - mit sattem Gewinn.
       
       In der konventionellen Tierhaltung ist die Futtermittelproduktion ein
       globales Geschäft. Den größten Anteil der Futtermischungen, etwa sechzig
       Prozent, macht Getreide aus. Der dafür verwendete Weizen stamme nach
       Angaben des DVT meist aus der Region des Herstellers, Mais oft aus
       Osteuropa. Als Eiweißlieferant dient Sojaschrot, das hauptsächlich aus
       Lateinamerika importiert werden muss. Alternativ zum als umweltbedenklich
       geltenden Soja könnten auch Rapsschrot oder Erbsen aus heimischer
       Produktion beigemischt werden. Deren Proteingehalt liege allerdings unter
       dem von Soja, das somit "unverzichtbar" werde, so ein Sprecher des DVT.
       
       Völlig unter den Tisch fällt bei der konventionellen Futterproduktion die
       Ökologie. Kommt Pflanzenöl in Form von Biodiesel in den Tank, fordert die
       EU den Nachweis eines nachhaltigen Anbaus - an Tiere verfüttert, kräht kein
       Hahn danach, ob etwa für Sojafelder Regenwald gerodet oder Moore trocken
       gelegt wurden. Damit wird auch der nachhaltig angebaute Biodiesel ad
       absurdum geführt: Die Rohstoffe dafür werden einfach auf bereits
       bestehenden Feldern produziert, während die Rodungen nebenan weitergehen
       und dort neue Sojaplantagen für Tiernahrung angelegt werden. Greenpeace hat
       sogar ausgerechnet, wie viel Regenwald im Ei steckt: Ein Huhn vertilgt über
       sein Futter ungefähr 32 Gramm Sojabohnen, um ein Ei legen zu können. Auf
       einem Hektar gerodetem Regenwald wird circa 2.500 Kilogramm Soja produziert
       - macht also 78.125 deutsche Eier aus konventioneller Produktion pro Hektar
       Regenwald. 222 Eier isst der Durchschnittsdeutsche pro Jahr.
       
       Hinzu kommt, dass Deutschland seit Jahren die Massentierhaltung massiv
       ausbaut, wie der Umweltverband BUND kritisiert. Danach hat sich zwischen
       1997 und 2007 die Hühnerfleischproduktion in Deutschland auf fast 900.000
       Tonnen jährlich fast verdoppelt. 2007 hat die Bundesregierung die
       Genehmigung für Massentierhaltungen erheblich vereinfacht. Die Beteiligung
       öffentlicher Interessen setzt nun zum Beispiel erst bei über 40.000 statt
       bei 20.000 Masthühnern ein.
       
       Kritiker wie Graefe zu Baringdorf hoffen nun auf einen ähnlichen Lerneffekt
       wie beim BSE-Skandal. Seither werden heute wenigstens die Inhaltsstoffe des
       Tierfutters ausgewiesen. Nun fordert Baringdorf den nächsten Schritt,
       nämlich auch Herkunft und Lieferketten transparent zu machen. "Es ist
       unsere verdammte Pflicht, die Krise zu nutzen."
       
       5 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) I. Arzt
 (DIR) A. Wieder
 (DIR) E. Schneider
       
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