# taz.de -- Kommentar Übergangsregierung in Tunesien: Die halbe Revolution
       
       > Das salbungsvolle Geschwätz der Politiker aus den USA und Europa über die
       > Etablierung von echter Demokratie, von Meinungs- und Pressefreiheit ist
       > nichts als eine hohle Phrase.
       
       Die tunesische Revolution ist unvollendet. Und das wird sie vorerst auch
       bleiben. Die Euphorie über den ersten erfolgreichen arabischen Aufstand
       gegen einen arabischen Diktator im 21. Jahrhundert kann nicht darüber
       hinwegtäuschen, dass die organisatorischen und strukturellen
       Voraussetzungen in der tunesischen Gesellschaft fehlen, um die Macht im
       Lande zu erringen.
       
       Den Staatsapparat einer arabischen Diktatur aus Polizei, Militär und
       Bürokratie übernimmt man nicht, wenn man nur den "Kopf abschlägt". Die
       Regierung der "nationalen Einheit", wie sie jetzt proklamiert wird,
       bedeutet de facto, dass die alten, korrupten Eliten an der Macht bleiben.
       Und diese werden die Macht über allerlei Zugeständnisse bis hin zur
       Aufnahme von Oppositionellen in die Regierung absichern. Der Revolution
       fehlt die Führung. In den 60 Tagen, die formal bis zur Neuwahl von
       Parlament und Präsident verbleiben, kann sich eine neue Führung nicht
       etablieren.
       
       Ein zweiter Aspekt kommt hinzu. Dem revoltierenden Tunesien fehlen die
       Verbündeten. Die einzelnen Solidaritätsdemonstrationen von Kairo bis Sanaa
       und von Algier über Amman bis Beirut bleiben symbolisch. Arabiens Regime
       haben weit machtvollere Demonstrationen ohne Schaden überstanden. Und die
       arabischen Potentaten werden jetzt alles tun, um jedwede Opposition mittels
       Geheimdienst, Polizei und brutaler Gewalt in die Schranken zu weisen. Die
       Flucht ihres geschätzten Kollegen Ben Ali ist ihnen Menetekel und Warnung
       genug.
       
       Und der Westen? Das salbungsvolle Geschwätz der europäischen und
       amerikanischen Politiker über die Etablierung von echter Demokratie, von
       Meinungs- und Pressefreiheit ist nichts als eine hohle Phrase. Weder in
       Algerien noch in Palästina hat der Westen demokratische Wahlergebnisse
       anerkannt, weil der Sieg an die Falschen ging. Und auch im finsteren
       Polizeistaat Tunesien hat sich die westliche Politik um demokratische Werte
       nicht gerade verdient gemacht. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.
       Für die westliche Politik heißt das Zauberwort "Stabilität". Wer sie
       garantiert, findet den Beifall des Westens.
       
       Tunesiens Revolte hat dennoch die Lunte an das Pulverfass gelegt, das die
       mediokren Diktaturen Arabiens zur Explosion bringen kann. Nur kann man eine
       Lunte immer noch rechtzeitig austreten. Es sind viele im tunesischen Spiel,
       die genau das wollen.
       
       17 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Baltissen
       
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