# taz.de -- S-Bahn-Chaos: Alles gewusst, nichts gemacht
> Jahre, bevor das erste Rad brach, wusste die Deutsche Bahn von den
> massiven Missständen bei ihrer Tochter S-Bahn. Der Vorstand täuschte den
> Verkehrsausschuss.
(IMG) Bild: So schnell kennt man sie schon lange nicht mehr: die Berliner S-Bahn.
Die Deutsche Bahn (DB) hat weitaus früher als bisher bekannt von den
Missständen bei ihrer Tochter S-Bahn gewusst. Bereits 2006 und damit drei
Jahre vor dem Ausbruch des Chaos' im Berliner Nahverkehr seien die
zuständigen Vorstände informiert worden, sagte der Bundestagsabgeordnete
und SPD-Verkehrsexperte Uwe Beckmeyer am Mittwoch. Dies hätten sowohl
Betriebsrat wie auch der Chef des Verkehrsverbunds Berlin Brandenburg
(VBB), Hans-Werner Franz, während einer nichtöffentlichen Sitzung des
Verkehrsausschusses des Bundestags bestätigt. Peter Polke vom Betriebsrat
der S-Bahn Berlin bekräftigte nach der Sitzung, sein Gremium habe schon vor
Jahren auf Mängel bei der Baureihe 481 hingewiesen.
Die Aussagen widersprechen einem juristischen Gutachten, das DB-Vorstand
Ulrich Homburg dem Verkehrsausschuss vor einem Jahr vorgelegt hatte: Nach
dem ersten Winterchaos im Januar 2010 war darin die Führungsebene von aller
Schuld freigesprochen worden. Beckmeyer sprach von einer "Reinwäsche" des
DB-Vorstands - dabei sei spätestens jetzt klar, dass unterlassene
Wartungsarbeiten verbunden mit einer "dramatischen
Gewinnerwartungsbefriedigung" zu dem Chaos geführt hatten. Laut VBB hat die
S-Bahn seit 2006 ihre Gewinne vervierfacht auf prognostizierte 125,1
Millionen Euro 2010.
Die Missstände waren mit einem Radbruch im Mai 2009 öffentlich geworden; es
zeigte sich, dass Züge nur noch stichprobenartig gewartet worden waren.
Personal wurde abgebaut, Auflagen des Eisenbahnbundesamts wurden nicht
erfüllt. Seitdem fährt die S-Bahn meist unregelmäßig, derzeit gilt ein
Notfahrplan, Anfang Januar war nur einer von drei Zügen unterwegs. Die
Pünktlichkeit ist drastisch eingebrochen: Fuhren 2008 noch 92,7 Prozent der
Züge dem Fahrplan entsprechend, waren es 2010 vorläufigen Werten zufolge
nur noch 77 Prozent.
Den Umgang der Bahn mit ihrer Tochter verdeutlichen auch Anekdoten, die im
Verkehrsausschuss zur Sprache kamen: So soll die Bahn zu
Qualitätsgesprächen zwischen Hersteller und Betreiber ab 2008 keine
Handwerker und Techniker, sondern nur noch Juristen geschickt haben. Deren
Aufgabe sei gewesen zu prüfen, welche Leistungen die Bahn aus juristischen
Gründen sicherstellen muss. "Die Probleme sind sehr groß und es wird noch
lange dauern, bis alles rauskommt", sagte der Vorsitzende des
Verkehrsausschusses, Winfried Hermann (Grüne).
Die Opposition traut der Bahn nicht mehr. "Wir werden selbst jetzt noch
hinter die Fichte geführt", sagte Beckmeyer. "Bis zum heutigen Tag sind
bestimmte Probleme nicht gelöst worden." Betriebsrat und VBB befeuern
dieses Misstrauen. Polke etwa sagte, von dem öffentlich versprochenen
Personalaufbau sei wenig zu spüren. "Wir brauchen wieder den Bestand von
2006, um vorausschauend warten zu können", forderte er. Damals hätten etwa
4.000 Handwerker und Techniker Züge repariert, derzeit seien es gut 3.000,
wenig erfahrene Leiharbeiter eingerechnet.
Außerdem scheint es an der Materialbestellung zu hapern. So sollen etwa an
Weihnachten tatsächlich Mitarbeiter außerplanmäßig in die Werkstätten
gerufen worden sein, um Motoren auszutauschen. Dann aber waren gar keine
Ersatzteile da - und die Beschäftigten verbrachten den Dienst vor dem
Kaffeeautomaten.
SPD-Politiker Beckmeyer forderte personelle Konsequenzen. Allerdings sind
die damals Verantwortlichen nicht mehr am Ruder. Der Grünen-Abgeordnete
Toni Hofreiter sah denn auch Strategien für die Zukunft als wichtiger an:
"Die S-Bahn muss zügig neues Personal einstellen und Werkstätten ausbauen,
langfristig muss sie vernünftige neue Fahrzeuge anschaffen."
26 Jan 2011
## AUTOREN
(DIR) Kristina Pezzei
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