# taz.de -- Prozess gegen kirgisischen Menschenrechtler: Angst und Gewalt im Gerichtssaal
       
       > Die Urteile gegen acht Usbeken wegen des Mordes an einem kirgisischen
       > Polizisten sollen vielleicht aufgehoben werden. Dessen Verwandte drohen
       > mit neuen Unruhen.
       
 (IMG) Bild: Im Juni 2010 eskalierten die Spannungen zwischen Kirgisen und Usbeken, über 400 Menschen starben, die meisten von ihnen Usbeken.
       
       BISCHKEK taz | Das Dutzend Männer im Obersten Gericht in Bischkek guckt
       düster. Ein stämmiger Kirgise mit Stiernacken und rasiertem Schädel pustet
       in die offenen Handflächen, so als müsse er sich davon abhalten,
       zuzuschlagen. Seit dem 26. Januar verfolgen die Verwandten und Kollegen des
       während der Juniunruhen im südkirgisischen Kurgan Basar ermordeten
       kirgisischen Polizisten Muktabek Sulaimanow die Verlesung von
       Revisionsanträgen der Verteidiger von sieben Usbeken und einer Usbekin.
       Diese waren zuvor in zwei Instanzen wegen des gemeinschaftlichen Mordes an
       dem Polizisten zu langjährigen oder lebenslangen Haftstrafen verurteilt
       worden.
       
       Der usbekische Menschenrechtler Asimschon Askarow wurde als Drahtzieher der
       Mordtat zur lebenslanger Haft verurteilt. Sein Fall sorgte weltweit für
       Proteste. "Der Menschenrechtler hat nichts mit dem Tod des Polizisten zu
       tun", erklärt dessen kirgisischer Anwalt Nurbek Toktakunow, die Polizei
       habe lediglich einen Sündenbock gebraucht.
       
       Deutsche und US-amerikanische Diplomaten beobachten den Prozess in
       Bischkek. Die Verteidiger fordern die Aufhebung der Urteile. Die
       Begründungen wiegen schwer. Die Mandanten seien in der Haft gefoltert und
       Beweisdokumente nachträglich verändert worden. Verwandte und Kollegen des
       getöteten Polizisten hätten bei den Prozessen im Süden eine aggressive
       Lynchjustizstimmung erzeugt. Verteidiger und Angeklagte seien im
       Gerichtsaal geschlagen und bedroht worden. Entlastungszeugen seien aus
       Angst nicht erschienen, ein fairer Prozessverlauf nicht möglich gewesen.
       
       Die beschriebenen Exzesse sind kein Einzelfall. Seit Monaten beherrscht
       eine nationalistisch aufgeheizte kirgisische Stimmung die Gerichtsverfahren
       über die ethnischen Unruhen im Süden Kirgistans. In der Nacht zum 10. Juni
       eskalierten die Spannungen zwischen Kirgisen und Usbeken. Tausende
       kirgisische Marodeure brandschatzten mit Unterstützung der kirgisischen
       Sicherheitskräfte die usbekischen Wohnviertel in den Städten Osch,
       Dschalalabad und Kurgan Basar.
       
       Die Opferstatistik ist eindeutig. 99 Prozent der über 2.000 zerstörten
       Häuser gehörten Usbeken, unter den bisher offiziell veröffentlichten 426
       Opfern sind zwei Drittel Usbeken. Zudem flohen kurzeitig an die 100.000
       nach Usbekistan. Gleichwohl sieht sich die kirgisische Öffentlichkeit als
       Hauptopfer der Unruhen. Eine nationale Untersuchungskommission gibt den
       Führern der Usbeken die Schuld, mit Autonomieforderungen den Konflikt
       ausgelöst zu haben.
       
       Die juristische Aufbereitung der Unruhen entspricht dieser Stimmung. Bisher
       wurden hauptsächlich Usbeken verhaftet und verurteilt.
       Menschrechtsorganisationen, aber auch die EU und die UN beklagten Folter
       während der Verhaftungen. Faire Gerichtsverfahren sind bis heute nicht
       möglich, da der Mob von den Zuschauerbänken aus ins Geschehen eingreift.
       Als im Januar der taz-Reporter ein Verfahren gegen zwei Usbeken in Osch
       besuchte, warfen die kirgisischen Zuschauer ihn trotz Genehmigung unter
       Drohungen aus dem Saal. Die kirgisische Polizei schritt nicht ein.
       
       Die Verwandten des ermordeten Polizisten verlangen vom Obersten Gericht die
       Bekräftigung der Urteile gegen die usbekischen Angeklagten und den
       Menschenrechtler Askarow. Sie drohen, dass es andernfalls im Süden
       Kirgistans zu neuen Unruhen kommen werde.
       
       Die Richter vertagten die Urteilsverkündigung auf den 8. Februar. Ihr
       Dilemma: Folgen sie der Verteidigung, könnte dies erneut Unruhen
       provozieren. Weisen sie die Anträge zurück, erhielte die vom ethnischen
       Hass getragene Justiz das Gütesiegel des Obersten Gerichts.
       
       "Es wäre klüger gewesen, mit dem Revisionsverfahren zu warten", gibt der
       Verteidiger des usbekischen Menschenrechtlers zu bedenken. Erst nach einer
       Stabilisierung im Lande hätte die Gerechtigkeit in Kirgistan eine Chance,
       sagt Toktakunov. Aber sein Mandant wolle nicht länger unschuldig im
       Gefängnis sitzen.
       
       7 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marcus Bensmann
       
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