# taz.de -- Guttenberg, der Doktortitel und die Elite: Schön, gut und weise
       
       > Der Doktortitel war ein unverzichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zur
       > Führungsschicht. Im Bundeskabinett trägt ihn die Hälfte der Minister -
       > noch.
       
 (IMG) Bild: Ab in die Lüfte: Die Ansprüche an die Doktorarbeiten wurden seit der Nazizeit permanent angehoben.
       
       Es überrascht, dass gerade bei den rechtskonservativen Medien, die
       eigentlich zur Verteidigung ihres Heros Guttenberg aufgerufen wären, die
       Empörung über die Textmontagen besonders spürbar ist. Man spricht nicht,
       wie bei CSU-Chargen, von einer "Hetzjagd der linken Kampfpresse", man
       konstatiert: Guttenberg hat abgekupfert, und das noch von einem
       FAZ-Artikel.
       
       Nun könnte man sich die Aufwallung damit erklären, dass bei einem Blatt wie
       der FAZ die Doctores besonders häufig vertreten sind. Sie alle mussten für
       ihren akademischen Titel schwitzen, während Guttenberg den billigen Jakob
       machte. Bestimmt ist eine solche Regung im Spiel, aber sie reicht als
       Erklärung nicht. Es geht um den Doktortitel und seine gesellschaftliche
       Bedeutung.
       
       Früher war die Promotion ein fast unverzichtbares Zeichen der Zugehörigkeit
       zur Führungsschicht. Das galt für sämtliche Funktionseliten von den
       Subsystemen der Wissenschaft über die Wirtschaft und die Verwaltung bis zur
       Medizin. Entsprechend war die Qualität: fünfzig Seiten Referat und ein paar
       Seiten Literaturangaben. Nach der Nazizeit wurden in beiden deutschen
       Staaten die Anforderungen fortlaufend erhöht, so dass in einer Reihe
       gesellschaftlicher Bereiche der Doktortitel nicht mehr benötigt wurde, um
       die Zugehörigkeit zu einer der Funktions- oder Werteliten zu signalisieren.
       
       Das bedeutet aber nicht, dass in der Öffentlichkeit der Doktortitel wertlos
       geworden ist. Im jetzigen Bundeskabinett trägt ihn die Hälfte der Minister.
       Der Titel soll zeigen, dass sein Träger über zwei Eigenschaften verfügt,
       die das Publikum von Politikern erwartet: Sachverstand und Kompetenz bei
       der Problemlösung. Wenn ruchbar wird, dass es bei der Dissertation eines
       Politikers nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, werden auch Fähigkeiten
       in Frage gestellt, die der so unbeliebten Politikerkaste noch zugestanden
       werden. Die Folge: Vertrauensverlust.
       
       Bei Guttenberg tritt ein weiteres Problem hinzu. Der normale Politiker
       verfügt über keine der Eigenschaften, die vom Publikum uneingestanden
       ersehnt werden. Er hat kein Glamour, seine Manieren sind durchschnittlich,
       sein Familienleben ist langweilig, er ist wenig elegant, schlecht
       gekleidet, rhetorisch schwach und er kann seine Sensibilität, so er sie
       hat, nicht "rüberbringen". All das war Guttenberg, das "Gesamtkunstwerk".
       So diente er als Projektionsfläche für die Wünsche und Hoffnungen der
       Nicht-Elite. Zu diesem Bild gehört eine glänzende Intelligenz, ausgewiesen
       durch 450 Seiten Dissertation, die er sich mit Disziplin abgerungen hat.
       
       Guttenberg selbst ist bewusst, wie sehr Intellektualität zu seinem "Imago"
       gehört. Nicht umsonst erklärte er im Interview, er werde in den nächsten
       Ferien Platos "Staat" lesen - nicht in Deutsch, sondern im griechischen
       Original. So entsprach Guttenberg dem platonischen Ideal: schön, gut und
       weise. Mit dem drohenden Verlust des Dr. jur. ist das vorbei.
       
       18 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Semler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Konsequenz nach Plagiatsvorwürfen: Guttenberg will Doktortitel zurückgeben
       
       Biete Doktortitel, behalte Amt: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu
       Guttenberg gibt seinen Titel zurück. Seinen Posten als Minister will er
       aber auf jeden Fall behalten.
       
 (DIR) Plagiierter FU-Student Daniel Pentzlin: "Ich danke Herrn Dr. Guttenberg"
       
       Daniel Pentzlins Erstsemesterarbeit tauchte in Guttenbergs Doktorarbeit
       auf. Pentzlin nimmt's aber locker und freut sich, dass die
       Sozialwissenschaften als "ernstzunehmend" vorkommen.
       
 (DIR) Es wird eng für den Verteidigungsminister: Tuscheln über zu Guttenberg
       
       Für seine Doktorarbeit soll der Minister auch den Wissenschaftlichen Dienst
       des Bundestags eingespannt haben. Hinter den Kulissen schwindet der
       Rückhalt für ihn.
       
 (DIR) Kommentar Guttenberg: Der manische Minister
       
       Der noch immer amtierende Verteidigungsminister scheint den Bezug zur
       Realität verloren zu haben. Wer nur schützt Guttenberg vor sich selbst?
       
 (DIR) Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg: Turnitin? Docoloc? Google!
       
       Die Doktorarbeit von Guttenberg soll Plagiate enthalten, auf der Website
       GuttenPlag Wiki werden angebliche Beweise gesammelt. Nur: wie findet man
       eigentlich Plagiate?
       
 (DIR) Jura-Studiengang-Video mit Guttenberg: Traumschiff Bayreuth
       
       Karl-Theodor zu Guttenberg schrieb hier seine Doktorarbeit. Doch wie ist es
       eigentlich, in Bayreuth Jura zu studieren? Ein Fachbereichs-Imagevideo gibt
       Auskunft.
       
 (DIR) Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg: Ein Doktor auf dem Rückzug
       
       Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) tritt wegen der Affäre um seinen
       Doktortitel nicht zurück. Er soll aber erstmal ruhen. Und den Kampf um die
       Meinungshoheit verliert er auch noch.
       
 (DIR) Guttenberg-Plagiate, die FAZ und das Netz: Der Lurch des Jahres
       
       Guttenberg hat abgeschrieben, bei der FAZ und bei anderen. Das Netz
       spottet. Textfragmente werden inzwischen per Schwarm gesucht. Und die FAZ
       titelt mit einem rosa Lurch.