# taz.de -- Völkerrechtler Merkel über Militäreinsatz: "Wir können in Libyen nicht eingreifen"
       
       > Gaddafi gehört vor Gericht gestellt. Das ist aber nicht so einfach:
       > Europa und die UNO können nur wenig tun, um den Sturz des Diktators zu
       > beschleunigen, sagt der Völkerrechtler Merkel.
       
 (IMG) Bild: Ein Aktivist in Bengasi beim Säubern einer alten libyschen Fahne.
       
       taz: Herr Merkel, wie kann die libysche Bevölkerung vor Gaddafi geschützt
       werden? Gäbe es da eine völkerrechtliche Möglichkeit, militärische Mittel
       einzusetzen? 
       
       Reinhard Merkel: Die Möglichkeit einer militärischen Intervention gäbe es
       genuin nur, wenn der UNO-Sicherheitsrat den Weltfrieden gefährdet sähe.
       Davon ist die Situation in Libyen aber derzeit weit entfernt. Und noch
       weiter wohl von der ohnehin umstrittenen Eingriffsschwelle für eine echte
       humanitäre Intervention.
       
       Was kann Europa tun? 
       
       Zu einer militärischen Intervention hat die EU keine rechtliche
       Möglichkeit. Jeder einzelne Staat kann aber zum Schutz seiner eigenen
       Bürger dort Rettungsmaßnahmen ergreifen, die eine Gewaltanwendung
       einschließen. Und die EU könnte solche Maßnahmen koordinieren. Normativ
       besteht der Unterschied darin, dass im Fall der eigenen Bürger dem Staat
       ein genuines Notwehrrecht zusteht. Bei Verletzung von Menschenrechten
       Dritter hingegen besteht ein entsprechendes Nothilferecht erst und
       allenfalls, wenn die hohe Hürde des generellen Kriegsverbots zwischen den
       Staaten überschritten werden darf.
       
       Könnte eine Intervention nicht mit Hinweis auf das UN-Prinzip der
       "Responsibilty to protect" gerechtfertigt werden? 
       
       Diese Resolution spielt eine Rolle. Die Voraussetzungen für ihre Anwendung
       sind hier aber zweifelhaft. Wohl greift das Verbot der Einmischung in die
       inneren Angelegenheiten eines Staates nicht, wenn dort schwerwiegende
       Verletzungen fundamentaler Menschenrechte geschehen - und "fundamental"
       bedeutet hier vor allem, dass das Recht auf Leben oder körperliche
       Unversehrtheit systematisch und flächendeckend verletzt wird. Einfach von
       Menschenrechtsverletzungen zu reden, ist zu ungenau. Man muss also
       differenzieren. In unserem Fall geht es um grundlegende negative
       Schutzrechte des Einzelnen vor Übergriffen der Staatsmacht. Notwendig ist
       eine möglichst genaue Klärung der Grenze, ab der die Schutzverpflichtung
       der UNO greift.
       
       Wo läge diese Grenze in Libyen? 
       
       In Libyen herrscht eine Art Bürgerkrieg - und angesichts eines
       Bürgerkrieges gibt es grundsätzlich kein völkerrechtliches
       Interventionsrecht. Gäbe es in Libyen ein demokratisch legitimiertes Regime
       und bräche dort ein Aufstand los, dann dann hätte die Regierung das Recht,
       diesen Aufstand niederzuschlagen. Natürlich ist Gaddafis Regime nicht
       demokratisch legitimiert. Aber dessen Gewalt zur Aufstandsbekämpfung ist
       eben dennoch nicht dasselbe, wie wenn in Nazi-Deutschland Teile des eigenen
       Volkes grundlos systematisch ermordet werden sollen. Zur Vermeidung von
       Missverständnissen: Der Volksaufstand in Libyen gegen ein tyrannisches
       Regime ist intern gerechtfertigt und legitim. Aber das berechtigt externe
       Mächte noch nicht, zugunsten dieses Aufstandes militärisch einzugreifen.
       Grundsätzlich dürfen Staaten innere Rebellionen bekämpfen.
       
       Geht es darum, einer Intervention, die mit der Verletzung von
       Menschenrechten begründet wird, aber in Wirklichkeit interessengeleitet
       ist, einen Riegel vorzuschieben? 
       
       Nein, es geht hier nicht nur um ein Spiel mit realpolitischen Interessen.
       Aber es geht tatsächlich um die völkerrechtliche Grundnorm schlechthin, das
       Gewaltverbot. Mit der Beachtung dieser Grundnorm beginnt alles Recht
       zwischen den Staaten. In der Vergangenheit des George W. Bush und der
       Nato-Intervention im Kosovo ist bereits einiges zur Desavouierung dieser
       Grundnorm geschehen. Wir können uns nicht einfach aus noch so berechtigter
       Sympathie mit einem um seine Freiheit kämpfenden Volk daran gewaltsam
       beteiligen.
       
       Sollte Gaddafi vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag
       gestellt werden, wenn man ihn kriegt? 
       
       Er sollte unbedingt vor ein Gericht gestellt werden. Ob der Internationale
       Strafgerichtshof das richtige Gericht ist, daran habe ich aber Zweifel.
       Zumindest bisher sehe ich nicht, dass Gaddafi das Völkerstrafrecht des
       "Römischen Statuts" verletzt hätte, etwa durch Völkermord. Und falls eine
       internationale bewaffnete Einheit versuchen würde, Gaddafi in Libyen
       festzunehmen, wäre das jedenfalls eine illegale Aktion.
       
       Sind die Sanktionen gegen den Gaddafi-Clan, die jetzt zur Debatte stehen,
       völkerrechtlich gedeckt? 
       
       Ja, denn sie bewegen sich unterhalb der Schwelle des Gewaltverbots und sind
       gegen ein delegitimiertes Regime gerichtet. Eine andere Frage ist, ob die
       Sanktionen intelligent ausgewählt werden - es also in der Sprache der UNO
       "smart sanctions" sind, die den Gaddafi-Clan wirklich treffen.
       
       25 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Semler
       
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