# taz.de -- Angela Merkel und die Causa Guttenberg: Machtmensch ohne Gespür
       
       > Von der viel gerühmten Qualität der Kanzlerin, die Dinge von ihrem Ende
       > her zu denken, war im Fall Guttenberg nichts zu sehen. Sie agierte ohne
       > inneren Kompass.
       
 (IMG) Bild: Sympathiewerte sind flüchtig - das gilt auch für Angela Merkel.
       
       BERLIN taz | Angela Merkel schlenderte am Dienstagvormittag in Hannover
       über die Computermesse Cebit, als die Nachricht aus Berlin kam.
       Karl-Theodor zu Guttenberg tritt zurück. Die Frage: Warum jetzt? Nicht nur
       die Kanzlerin, auch die CSU-Führung war vom Rücktritt überrascht. Der
       bayerische Umweltminister Markus Söder sagte nach einer Sitzung des
       bayerischen Kabinetts in München: "Wir sind echt geschockt."
       
       Noch am Vortag hatte der CSU-Parteivorstand mit Guttenberg getagt. Die
       Linie war klar: Alle für KT. Auch der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel
       befand, dass Guttenberg eine zweite Chance verdient habe. Niemand in der
       CSU-Spitze meldete, so Parteichef Horst Seehofer, geringste Zweifel an.
       Auch Guttenberg sagte kein einziges Wort über einen Rücktritt. Er sei voll
       einsatzfähig, versicherte er seinen Parteifreunden. KT, urteilt ein
       CDU-Mann, "wirkte am Montag ein bisschen angeschlagen, aber entschlossen zu
       kämpfen." Doch am Montagabend schrieb er schon seine Abschiedsrede.
       
       Darin verkündete er nicht nur seinen Rücktritt, er brachte auch die
       Aufhebung seiner Immunität als Parlamentarier ins Gespräch. Wenn
       Staatsanwaltschaften gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht
       ermitteln, so Guttenberg am Dienstag, biete er die Aufhebung der Immunität
       an. In der Union halten manche diese Passage für den Schlüssel, warum der
       zuvor so standhafte Guttenberg die Fahne einrollte. Am Montagnachmittag
       muss ihm, wahrscheinlich aus der Staatsanwaltschaft Hof, nach der
       CSU-Vorstandssitzung jemand klar gemacht haben, was ihm blüht: als erstes
       staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, dann eine Debatte um die Aufhebung
       seiner Immunität und dann ein Prozess, an dessen Ende von seiner löcherigen
       Verteidigungslinie, nicht bewusst gefälscht zu haben, nichts mehr übrig
       bleibt.
       
       ## Fast wie eine Flucht
       
       Deshalb zog Guttenberg die Reißleine. Deshalb wirkt der Rücktritt, nach
       Tagen des Ignorierens, so überhastet, fast wie eine Flucht. Der
       SPD-Parlamentarier Karl Lauterbach hatte in der taz schon letzte Woche
       vermutet, dass Guttenberg über Gerichte fallen werde. "Wenn Klage wegen
       Verstoßes gegen das Urheberrecht erhoben wird, steht wieder die Täuschung
       auf der Tagesordnung. Guttenberg wird die Frage, ob er gelogen hat, nicht
       los", so Lauterbach.
       
       So weitsichtig war die Kanzlerin nicht. Angela Merkel muss sich vorhalten
       lassen, dass sie zu lange bedingungslos an Guttenberg festhielt. Obwohl die
       Beweislast längst erdrückend war, erklärte sie vor einer Woche im
       Konrad-Adenauer-Haus, dass sie "volles Vertrauen" in den Minister habe. Die
       Kritik an Guttenberg nannte sie Vorverurteilung, Doch auch als Guttenberg
       auf seinen Doktortitel verzichtete, die Universität Bayreuth ihm diesen
       aberkannte, hielt die Kanzlerin zu Guttenberg. Dann bröckelte die CDU-Front
       langsam. Bildungsministerin Annette Schavan sah sich genötigt, öffentlich
       Scham über Guttenbergs geklaute Dissertation zu bekunden. "Es war klar", so
       ein CDU-Spitzenpolitiker zur taz, "dass er eine Debatte über die Aufhebung
       seiner Immunität nicht überstehen würde".
       
       Von Merkels viel gerühmter Qualität, die Dinge von ihrem Ende her zu
       denken, war in diesem Fall nichts zu erkennen. Nach dem Rücktritt lobt sie
       Guttenberg am Dienstag im Kanzleramt nochmals als "herausragende politische
       Begabung". Auf die Frage nach eigenen Fehlern fiel ihr nur ein, dass sie
       "bedrückt wegen des Rücktritts" sei. Dann verschwand sie.
       
       ## Im politischen Nahkampf stets erfolgreich
       
       In Merkels innerem Kreis macht man sich nun Mut. Eigentlich, heißt es dort,
       sei die Sache gut gelaufen. Die Baden-Württemberg-Wahl am 27. März sei noch
       weit genug weg, um der CDU dort nicht zu schaden. Merkel hat, so einer
       ihrer Vertrauten, "alles richtig gemacht". Hätte sie Guttenberg fallen
       gelassen, "hätte es eine Empörungswelle in der Union gegeben". Dieser
       Abgang ohne Dolchstoßlegende sei noch das Beste.
       
       Merkel, so rühmen sie ihre Berater, hat ein untrügliches machtpolitisches
       Gespür. Mag ihr politischer Stil oft nach Abwarten aussehen, im politischen
       Nahkampf ist sie stets erfolgreich. Doch im Fall Guttenberg lässt sich
       diese Legende nicht aufrechterhalten. Vor das Bild der pragmatischen, kühl
       analysierenden Physikerin schiebt sich ein anderes: prinzipienlos, ohne
       Blick für das Offensichtliche und ohne inneren Kompass. Merkel hat ihren
       effektivsten Wahlkämpfer verloren.
       
       Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Kiel, war der Erste und lange der
       Einzige aus der schwarz-gelben Riege, der Guttenbergs Rücktritt verlangte.
       Kubicki lobte der taz gegenüber den "Rücktritt als konsequent, aber zu
       spät. Noch vor einer Woche hätte man Herrn zu Guttenberg für diesen Schritt
       Respekt gezollt, nun war er ein Getriebener", so der FDP-Mann. Der Fall
       zeige auch, "wie flüchtig Sympathiewerte in der Politik sind".
       
       Das gilt auch für Merkel.
       
       1 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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