# taz.de -- Kommentar Intervention in Libyen: Die Freiheit der anderen
       
       > Völkerrechtlich ist eine Militärintervention in Libyen unzulässig. Aber
       > denkbar wäre, die Revolutionsregierung eines libyschen Teilstaats
       > anzuerkennen und mit Waffen zu beliefern.
       
       Der aus einem antityrannischen Aufstand erwachsene libysche Bürgerkrieg
       scheint derzeit in einem Patt zu stehen. Während die Weltgemeinschaft
       Gaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen will, ist ein
       militärischer Sieg der einen oder anderen Seite nicht in Sicht. Dafür hat
       sich ein Flüchtlingsproblem ungeahnten Ausmaßes entwickelt, das der Westen
       pflichtschuldig zu lösen versucht.
       
       Die Wucht dieser humanitären Krise, die derzeit noch mit rein logistischen,
       nichtmilitärischen Mitteln mindestens gelindert werden kann, schenkt dem
       Westen eine Atempause, in der er das entscheidende politisch-moralische
       Problem umgehen kann.
       
       Kann, soll und darf sich der Westen militärisch - und sei es "nur" mit
       einer vom Sicherheitsrat verhängten Flugverbotszone - in diesen Bürgerkrieg
       einmischen? Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht
       kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung. D
       
       as andauernde Desaster in Afghanistan, der Murks im Kosovo und der
       amerikanisch-britische Angriffskrieg gegen den Irak haben eindeutig
       bewiesen, dass derartige Kriege weder politisch noch militärisch zu
       gewinnen sind. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht mindestens eine
       moralische Pflicht, die libyschen Rebellen zu unterstützen, besteht.
       Immerhin kämpfen sie in einem unverkürzten Sinn für die Freiheit von der
       Tyrannei, immerhin lassen sie es mindestens für möglich halten, dass dort
       eine Demokratie, eine Republik entsteht.
       
       Auch Klugheitsgründe könnten für eine Intervention sprechen: Würden die
       siegreichen Rebellen dem Westen fortgesetzte Tatenlosigkeit nachsehen?
       Würde diese Tatenlosigkeit des Westens nicht ein weiteres Mal beweisen,
       dass das lauthals vorgetragene Eintreten für Demokratie und Menschenrechte
       nur Ideologie ist? Und so ein weiteres Mal den Islamismus stützen?
       
       Nach den derzeit geltenden völkerrechtlichen Prinzipien ist eine
       "positive", auf die Herstellung von Demokratie und Republik zielende
       militärische Intervention aufgrund der Souveränität der Staaten nicht
       zulässig. Zulässig wäre sie nur - im Rahmen einer sich herausbildenden
       responsibility to protect - aus "negativen", abwehrenden Gründen, also zur
       Verhinderung genozidaler Taten einer Partei gegen Teile der Bevölkerung.
       
       Derlei genozidale Verbrechen aber scheint Gaddafi derzeit nicht zu begehen;
       zudem werden zivile Opfer bei Bombenangriffen - siehe Israels Angriff auf
       Gaza, siehe Afghanistan - schließlich allseitig als "Kollateralschäden"
       hingenommen und nicht als Ausdruck genozidaler Politik bewertet.
       
       Eine direkte militärische Intervention zugunsten der Aufständischen
       verbietet sich also aus realpolitischen und völkerrechtlichen Gründen. Das
       heißt aber nicht, dass der Westen, die EU, also auch Deutschland die Hände
       in den Schoss legen und sich auf das Retten von Flüchtlingen beschränken
       müssen. Immerhin wäre es denkbar, eine demnächst gebildete Regierung der
       libyschen Revolution sogar dann anzuerkennen, wenn sie noch nicht das ganze
       Territorium beherrscht.
       
       In diesem Fall wäre es nur konsequent, dieser Regierung Waffen, vor allem
       Luftabwehrsysteme zu liefern, die den Druck von Gaddafis Luftwaffe mildern,
       wenn nicht sogar neutralisieren könnten. Im Zuge der demokratischen
       Transformation in Tunesien und Ägypten würde ein demokratischer libyscher
       Teilstaat mittelfristig nicht nur Legitimität, sondern sogar Attraktivität
       für die jetzt von Gaddafi beherrschte und bestochene Bevölkerung
       entwickeln.
       
       Sofern die Weltgemeinschaft dann noch die Konsequenzen der internationalen
       Strafverfolgung Gaddafis eisern trägt und dessen Restregime konsequent
       boykottiert, dürften gute Chancen bestehen, diesen Despoten mittelfristig
       zum Aufgeben zu zwingen.
       
       Über eines freilich muss man sich im Klaren sein: Auch eine solche
       unterhalb der Schwelle militärischer Intervention betriebene Politik dürfte
       das Anschwellen der Flüchtlingsströme verstärken und darüber hinaus den
       Benzinpreis merklich steigen lassen - mit Auswirkungen auf den
       wirtschaftllichen Aufschwung und Arbeitsplätze. Sind die Bevölkerungen und
       politischen Klassen der EU, Deutschlands bereit, diesen Preis zu zahlen?
       Ist uns die mögliche Freiheit der anderen so viel wert?
       
       4 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Micha Brumlik
       
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