# taz.de -- Diskussion um PID: Der Arzt, der den Streit implantierte
       
       > Matthias Bloechle macht Gentests an künstlich gezeugten Embryonen - als
       > Erster in Deutschland. Der Bundestag wird in Kürze darüber entscheiden,
       > ob das verboten wird.
       
 (IMG) Bild: Eingelagerte Embryonen in einer Reproduktionsklinik.
       
       BERLIN taz | Der Erzbischof von Köln ächtete ihn als modernen Herodes.
       Behindertenvertreter haben gegen ihn protestiert. Er hat die CDU gespalten
       und der Kanzlerin damit fast einen Parteitag verdorben. Nebenbei
       beschäftigte sein Fall fünf Jahre lang deutsche Gerichte bis hin zum
       Bundesgerichtshof.
       
       Dabei ist Matthias Bloechle nie als Prozesshansel oder Querulant
       aufgefallen. Sein Sendungsbewusstsein beschränkte sich stets darauf, ein
       guter, vielleicht ein sehr guter Facharzt für Gynäkologie und
       Reproduktionsmedizin zu sein.
       
       Er hatte sich bloß eines Tages selbst angezeigt.
       
       Berlin-Zoo, die Sonne taucht die Gedächtniskirche in weiches Licht, rund um
       den Kudamm rauscht der Verkehr, und in einer Nebenstraße hoch oben im
       sechsten Stock sitzt im Sprechzimmer seiner Arztpraxis Matthias Bloechle,
       48. Ein Mann mit gleichförmiger Stimme und Augen, die konsequent auf seinen
       Computer gerichtet sind.
       
       Bloechle drängt es nicht, andere mitzureißen, zu überzeugen von den Dingen,
       die er tut, weil er sie für geboten hält. Einmischung ist ihm zuwider.
       
       Jetzt aber haben diese Dinge, die er als erster Arzt in Deutschland getan
       hat und die er, inzwischen mit höchstrichterlicher Erlaubnis, weiterhin
       tut, eine Debatte um die Grenzen von Medizin und Ethik ausgelöst, die die
       Republik erregt und nächste Woche den Bundestag beschäftigen wird: Gentests
       an künstlich erzeugten Embryonen.
       
       Um "Designerbabys" gehe es bei der von Bloechle praktizierten
       Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, kritisierten Kirchenvertreter,
       Politiker und auch Wissenschaftler, um "Menschenzucht nach Maß", um
       "Eingriffe in die Schöpfung".
       
       ## Der Sohn eines Pastors
       
       Eingriffe in die Schöpfung. Matthias Bloechle wedelt mit seiner Hand durch
       die Luft, wie um eine Fliege zu verscheuchen. "Jede Form von Medizin ist
       ein Eingriff in die Schöpfung", sagt er, die Hand wedelt weiter, er dachte,
       solche Diskussionen hinter sich zu haben.
       
       Er, Jahrgang 1962, das älteste von vier Kindern aus einem schwäbischen
       Pastorenhaushalt. Es ging hoch her damals daheim um den Paragrafen 218 und
       seine Anmerkung, weshalb die moralische Willkür zufällig immer zu Lasten
       der Frauen gehe, da hatte er gerade de Beauvoir entdeckt.
       
       "Wem es gelingt, diese geistige Enge zu überwinden", sagt Matthias Bloechle
       über sich, "bei dem entwickelt sich der Respekt vor der persönlichen
       Freiheit ganz von selbst." Persönliche Freiheit kontra: ethische
       Verantwortung? Grenzen des Wachstums? Demut vor der Fügung? Matthias
       Bloechle ist kein Mann der Meta-Ebene und Visionen.
       
       Er glaubt an die Vernunft, unbedingt. "Als Arzt versucht man immer, das
       Optimale für seine Patientinnen herauszuholen", sagt er. "Das gehört sich
       einfach so."
       
       Und bei jener Patientin aus Bayern, die sich 2005 an ihn wendet, offenbart
       sich schnell, was optimal für sie wäre: ein gesundes Kind. Mitte 20 ist sie
       erst, hat aber schon vier Schwangerschaften hinter sich.
       
       Und vier Fehlgeburten. Nach der zweiten stellen die Ärzte bei ihr daheim
       fest, dass sie einen genetischen Defekt in sich trägt. Für sie selbst ist
       das ungefährlich. Aber einem leiblichen Kind, das den Defekt erbt, nimmt er
       jede Überlebenschance.
       
       Sie solle es halt lassen, bekommt sie von ihren Ärzten zu hören. Oder ein
       Kind adoptieren. Matthias Bloechle spart sich die schlechten Ratschläge. Er
       weiß, dass er ihre letzte Hoffnung ist.
       
       Seine Praxis ist schon damals weit über die Berliner Grenzen hinaus bekannt
       - für ihre Erfolgsraten, aber auch für ihre Toleranz: Bloechle und seine
       Kolleginnen behandeln fast jeden Kinderwunsch, egal ob von verheirateten
       oder nicht verheirateten oder lesbischen Paaren oder Singles.
       
       Die persönliche Freiheit, sie wiegt schwerer als jede rechtliche Grauzone.
       Soll er derjenige sein, der das bisherige Scheitern eines Lebensentwurfs
       besiegelt? Obwohl er das Handwerkszeug besitzt, ihn zu realisieren? Soll
       er, der einst bei den Grünen austrat, weil die ihm "zu dogmatisch" waren,
       und heute unglückliches FDP-Mitglied ist, soll er den legitimen Wunsch
       einer Patientin ablehnen?
       
       Ihn unterordnen den Missbrauchsbedenken einiger Politiker, Bedenken, die
       seiner Meinung nach "der Unwissenheit entsprungen" sind? "Es geht hier doch
       nicht um die Zucht blauer Augen oder schöner Klavierfinger", er gibt sich
       keine Mühe, seine Verachtung zu verbergen, "es geht hier darum, dass man
       einer Frau nicht absprechen darf, für sich und ihren Körper selbst zu
       entscheiden."
       
       Matthias Bloechle hat einige Jahre in der Frauenklinik der Berliner Charité
       gearbeitet, er hat genug gesehen, um nachvollziehen zu können, was ein
       unerfüllter Kinderwunsch bedeuten kann: "Spätabbrüche musste ich machen
       aufgrund von Fehlbildungen, die Frauen hatten sich 22 Wochen auf ihr Kind
       gefreut, und dann komme ich und sage, das Kind ist abgestorben, das ist wie
       eine Krebsdiagnose."
       
       ## Die Mutter
       
       Damals, 2005, macht er sich an die Arbeit. Er muss herausfinden, welche
       Embryonen krank sind und welche gesund, und zwar noch bevor sie überhaupt
       im Mutterleib heranwachsen.
       
       Technisch ist das möglich, er befruchtet dazu Eizellen der Mutter mit
       Spermien des Vaters im Reagenzglas, untersucht die Embryonen in der
       Petrischale auf die Erbkrankheit und pflanzt nur die unversehrten ein.
       
       Präimplantationsdiagnostik heißt die Methode, in Frankreich, Spanien,
       Großbritannien wird sie geräuschlos angewendet, es geht um wenige hundert
       Fälle jährlich. In Deutschland aber gilt sie zu dieser Zeit als verboten,
       obwohl das im Embryonenschutzgesetz von 1990 nirgends explizit so steht.
       
       Wenn es aber keine Regelung gibt, wie soll er sich dann strafbar machen?
       Vorsichtshalber zeigt sich Matthias Bloechle selbst an - nachdem er seiner
       Patientin dank der PID zu einem gesunden Baby verholfen hat. "Ich habe fünf
       Kinder, ich kann es mir ja nicht leisten, mit einem Fuß im Gefängnis zu
       stehen." Wenn Matthias Bloechle ein Feminist ist, dann ein
       pragmatisch-zufälliger.
       
       Im Sommer 2010 spricht ihn der Bundesgerichtshof frei. Seither steht die
       Republik in dieser Frage kopf - und er unter Beschuss. Der Vorwurf, er, der
       Arzt, selektiere, spiele sich zum Entscheider über Leben und Tod auf, hat
       ihn getroffen. "Ich entscheide nicht darüber, was lebenswertes Leben ist
       und was nicht", sagt er.
       
       "Die PID gibt Auskunft darüber, was lebensfähig ist und was todgeweiht."
       Anders ausgedrückt: Die PID helfe, Schwangerschaften, die ohnehin tragisch
       enden würden, erst gar nicht entstehen zu lassen.
       
       Das, sagt Bloechle, sei der Unterschied zu der in Deutschland erlaubten
       Pränataldiagnostik im Mutterleib: "Da sehen Sie plötzlich am Ultraschall,
       dass das Kind schwer krank ist, und dann muss entschieden werden, ob das
       Kind, das prinzipiell lebensfähig ist, ausgetragen wird oder nicht."
       
       Diesen Wertewiderspruch wird er nicht müde zu betonen. Mittlerweile findet
       er bedingt Gehör: Wenn sich der Bundestag nächsten Donnerstag während einer
       Grundsatzdebatte drei Stunden Zeit nimmt, um den Streit um die PID
       zumindest in der Gesetzgebung beizulegen, dann werden sich zwar zwei der
       drei zur Abstimmung stehenden fraktionsübergreifenden Entwürfe für ein
       PID-Verbot aussprechen - allerdings mit zulässigen Ausnahmen nach
       Einzelfallprüfung durch eine Ethikkommission.
       
       Matthias Bloechle findet das logisch. Er kann sich nicht vorstellen, dass
       die radikalen PID-Gegner eine Mehrheit finden: "Keine Frau würde bei der
       PID von einem nicht eingepflanzten Embryo sprechen, keine von einem
       ungeborenen Kind."
       
       Er wendet den Blick weg vom Computer, es ist eines der wenigen Male in
       einem langen Gespräch. Was er jetzt sagt, ist ihm wichtig: "Drei meiner
       Kinder sind Töchter." Kunstpause. "Ich möchte nicht, dass die eines Tages
       vorgeschrieben bekommen, mit wem, wie, wann und ob sie Kinder bekommen
       wollen."
       
       11 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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