# taz.de -- Kommentar Intervention in Libyen: Ein Albtraum wird wahr
> Die Europäer bereiten sich vermutlich schon auf eine Aussöhnung mit
> Gaddafis Sohn und Nachfolger vor. Hauptsache, man wird nicht Teil eines
> Krieges.
Es sieht so aus, als ob sich Gaddafis Truppen durchsetzen und blutige Rache
an der libyschen Revolution üben werden. Irgendwann, nach einer Schamfrist,
werden deutsche Außenminister, ob Westerwelle, Trittin oder Guttenberg,
ihre Aufwartung in Tripolis machen. Die Damen und Herren der EU-Kommission
bereiten wahrscheinlich jetzt schon die Wiederaufnahme der
Assoziationsverhandlungen vor, um mit dem smarten Sohn Gaddafis die
Rückführung von Flüchtlingen zu organisieren.
Die Berlusconis dieser Welt werden ihre ästhetischen Operationen
auffrischen, um ihren Bruderkuss mit dem libyschen Diktator in neuem Glanz
erscheinen zu lassen. Natürlich werden Grüne, Linke und Amnesty heftig
protestieren. Alle werden dafür kämpfen, dass die politischen Flüchtlinge
anerkannt und aufgenommen werden. Und die Männer und Frauen, die an ein
Leben ohne den Diktator geglaubt, die dafür gekämpft haben, werden fragen:
Warum habt ihr uns nicht geholfen? Die politische Säuberung kann beginnen.
Was soll ich antworten? Ich bin es leid, als kriegswüterisch in die
deutsche pazifistische Weltordnung einzudringen. Die einen, besoffen von
ihrer Macht, wollen erst dann mit einer Übergangsregierung verhandeln, wenn
sie durch eine Wahl legitimiert wurde. De Gaulle und die Résistance wären
also für Grüne, Westerwelle und Co. keine legitimierten Gesprächspartner
gewesen: Wir wollen keine Kriegspartei werden! Man kann sich ja nicht
zwischen Sklaverei und Freiheit entscheiden!
Den Menschen aus Bengasi, aus al-Sawija aus Ras Lanuf wurde ein bewaffneter
Kampf aufgezwungen. Anders als die Armee in Ägypten und Tunesien, die sich
- unter dem Einfluss der USA - geweigert hatte, auf friedliche
Demonstranten zu schießen, gingen Gaddafis Söldner militärisch gegen die
friedlichen Freiheitskämpfer vor. Da hieß es kämpfen oder untergehen.
Wir im EU-Parlament hatten Gelegenheit, mit zwei Vertretern der
Übergangsregierung zu sprechen. Sie hatten eine klare Botschaft und Bitte:
Nahrung, Medizin, Waffen und Überflugverbot. Aber keine fremden Truppen auf
libyschem Boden. Sie sprachen von einer neuen, laizistischen Verfassung.
Sie sprachen von Wahlen und über die Rolle der Frau in der Revolution.
Einer der Sprecher, ein älterer Diplomat, sagte, dies sei er der Jugend
seines Landes schuldig, die die Revolution trage und der die Zukunft
gehören müsse. Politischer Kitsch? Für Zyniker gewiss. Ja, die
EU-Kommission soll die Übergangsregierung anerkennen. Ja, wir sind Partei:
Waffenembargo für Gaddafi, Waffen für die Aufständischen.
Die Arabische Liga und die Übergangsregierung befürworten ein
Überflugverbot. Wir dürfen uns davor nicht drücken. Mit UN-Mandat - ja.
Aber was, wenn die Machtzyniker in Moskau und Peking ihr Veto einlegen?
Dann einen Entschluss der UN-Vollversammlung herbeiführen: Sie hat schon
mit überwältigender Mehrheit Libyen aus der UN-Menschenrechtskommission
ausgeschlossen.
Aber hier kann ich schon aufhören. Denn es ist wahrscheinlich zu spät. Bald
wird Ruhe in Bengasi herrschen. Wir werden noch einige Tage über ein
Überflugverbot light diskutieren, ob man hätte dürfen, können, sollen. Doch
darum geht es nicht mehr. 1936 haben die französische Volksfront-Regierung
und die konservative britische Regierung die spanische Republik
alleingelassen. Hitlers Legion Condor wurde die Lufthoheit überlassen. In
Erinnerung bleibt Guernica.
Jetzt könnte ich die ganze Geschichte von Versagen, Irrtümern und Fehlern
von Bosnien über Irak bis Afghanistan mobilisieren. Aber es geht ja nur
noch um unsere Befindlichkeit, nicht um die Realität in Libyen. Dort droht
der politische und menschliche Super-GAU. Aber wir können beruhigt ins
Wochenende gehen. Dank Merkel, dank aller Parteien im Bundestag: Wir sind
nicht Kriegspartei. Wir schlittern nicht in eine Auseinandersetzung, die
nicht die unsrige ist.
Und was sagen wir der neuen arabischen Öffentlichkeit? Wir sagen: Wir
werden bei unserem nächsten Parteitag eine ausgewogene Resolution
verabschieden: Gaddafi muss weg! Wir unterstützen die demokratische
Revolution in Libyen! Na bitte: Nur cool bleiben. Das Leben geht weiter.
11 Mar 2011
## AUTOREN
(DIR) Daniel Cohn-Bendit
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