# taz.de -- Havarierte Atomkraftwerke in Japan: Neue Explosionen am AKW Fukushima
       
       > Die Situation am AKW Fukushima I hat sich verschärft: Inzwischen müssen
       > dort drei Reaktoren mit Meerwasser gekühlt werden. Außerdem gab es am
       > Montag zwei weitere Explosionen.
       
 (IMG) Bild: Rauchwolke über dem Akw Fukushima I am Montag früh nach den neuerlichen Explosionen.
       
       BERLIN/TOKIO taz/dpa/rtr/afp/dapd (letztes Update: Mo. 10:14) | Die Angst
       vor einer verheerenden atomaren Katastrophe in Japan erhält immer neue
       Nahrung. Am Montag ereigneten sich zwei weitere Explosionen am AKW
       Fukushima I. Wie bereits am Sonntag befürchtet, kam es um 11:01 Uhr
       (Ortszeit) zu zwei Wasserstoffexplosionen in Reaktorblock 3 des
       Atomkraftwerks. Dabei wurden wieder Dach und Wände des Gebäudes zerstört.
       Fernsehbilder zeigten dicke, weiße Rauchsäulen über dem Reaktor.
       
       Außerdem wiederholt sich nun derselbe Störfall in einem weiteren Reaktor
       von Fukushima I: Auch in Block 2 ist inzwischen die Rest-Kühlung
       zusammengebrochen und der Druck steigt massiv. Der Betreiber Tepco meldete,
       dass nun auch dieser Reaktor mit Meerwasser notgekühlt wird.
       
       Bereits am Samstag hatte es in dem AKW Fukushima I (auch Fukushima Daiichi
       genannt) eine Explosion gegeben, durch die das Gebäude rings um Reaktor 1
       zerstört worden war. Hier und wahrscheinlich auch in Block 3 ist es am
       Wochenende bereits zu partiellen Kernschmelzen gekommen.
       
       Regierungssprecher Yukio Edano versicherte nach den Explosionen am Montag,
       dass der Reaktordruckbehälter von Block 3 "nicht beschädigt" worden sei.
       Dies bewiesen die nur unwesentlich gestiegenen Radioaktivitätswerte
       außerhalb des Behälters von Reaktorblock 3. Auch der innere Druck im
       Behälter habe sich stabilisiert. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo
       wurden elf Menschen bei den Explosionen verletzt. Inzwischen versuchen die
       Betreiber, das durch die Explosion unterbrochene Einfüllen von Meerwasser
       am Block 3 wieder aufzunehmen.
       
       Am Sonntagabend war zudem in einem dritten Atomkraftwerk, dem AKW Tokai,
       das Kühlsystem ausgefallen. Dort versagte eine Pumpe den Dienst. Die Anlage
       befindet sich rund 120 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Tokio und hatte
       sich bei dem Beben am Freitag automatisch abgeschaltet. Etwas später
       erklärte dann der AKW-Betreiber Japan Atomic Power, dass der zweite
       Reaktorblock vom AKW Tokai trotz des Ausfalls von zwei Dieselgeneratoren
       durch den funktionierenden dritten Generator ausreichend gekühlt werde.
       
       ## "Größte Krise seit dem 2. Weltkrieg"
       
       Ministerpräsident Naoto Kan hatte am Sonntag erklärt, das Erdbeben und der
       Tsunami hätten Japan in die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg
       gestürzt. "Wir stehen unter Beobachtung, ob wir, das japanische Volk, diese
       Krise überwinden können", sagte Kan.
       
       Durch das Beben vom Freitag, dem ein Tsunami folgte, kamen nach
       Medienberichten vermutlich mehr als 10.000 Menschen ums Leben. Und wegen
       der drohenden Gefahr einer Kernschmelze musste inzwischen die Umgebung
       mehrerer AKWs evakuiert werden. Mehr als 170.000 Menschen wurden alleine im
       Bereich von Fukushima I in Sicherheit gebracht.
       
       ## Brennelemente ragten meterweit aus dem Kühlwasser
       
       Vor allem aber die Probleme mit den Kraftwerksblöcken 1 bis 3 vom
       Atomkraftwerk Fukushima I schüren die Angst vor einem Super-GAU, also einem
       möglichen Platzen der Reaktordruckbehälter und Freiwerden der gesamten
       Radioaktivität darin. Denn in Block 1 und 3 ragten am Wochenende Teile der
       nuklearen Brennstäbe über längere Zeit aus dem Kühlwasser heraus.
       
       Ob es dadurch bereits zu Kernschmelzen gekommen ist, ist nicht ganz klar.
       Regierungssprecher Yukio Edano dementierte am Sonntag seine früheren
       Angaben, wonach es auch im Reaktor 3 des Atomkraftwerks Fukushima I eine
       "teilweise" Kernschmelze gegeben habe. Die Brennstäbe hatten für längere
       Zeit um bis zu drei Metern aus dem Kühlwasser herausgeragt, anstatt wie
       normal komplett bedeckt zu sein. Dabei hätten sich die Brennstäbe
       allenfalls lediglich verformt, erklärte Edano in seinem Dementi.
       
       Freitagnacht (unserer Zeit) hatten sich bereits die Brennstäbe im Reaktor 1
       überhitzt. Nach Aussagen der japanischen Behörde für Atomsicherheit, ist es
       dort dabei zu einer teilweisen Kernschmelze gekommen. Das steht ebenfalls
       ganz im Gegensatz zu den Darstellungen von Regierungssprecher Edano, bei
       denen von einer Kernschmelze im Reaktorblock I nie die Rede war.
       
       Die Frage, ob es teilweise zum Schmelzen der Brennstäbe gekommen ist, ist
       deshalb so wichtig, weil sich bei einer [1][Kernschmelze] die zerlaufenen
       Brennstäbe am Boden des Reaktordruckbehälters sammeln – und ihn
       durchschmelzen, also zerstören können. Der Druckbehälter stellt den
       eigentlichen Schutz vor der Radioaktivität eines Kernreaktors wie in
       Fukushima dar.
       
       ## Reaktoren werden mit Meerwasser notgekühlt
       
       Die Betreiber pumpen inzwischen auch in Block 2 und 3 Meerwasser hinein.
       Beim Block 3 habe man "frühzeitig damit begonnen", Druck abzulassen und
       Wasser einzupumpen, sagte Regierungsvertreter Edano. Beobachter werteten
       dies als Eingeständnis, dass die Regierung bislang zu zögerlich vorging.
       Kritiker werfen ihr schwaches Krisenmanagement vor.
       
       Beim Block 2 ist im Verhältnis zu der Lage in Block 1 und 3 offenbar in
       einem noch früheren Stadium damit begonnen worden, Meerwasser einzufüllen.
       Am Montagmorgen meldeten die Betreiber laut Agentur Jiji, dass sie dadurch
       eine Überhitzung der Brennstäbe hätten vermeiden können. Es sieht so aus,
       als hätten die Brennstäbe hier nicht freigelegen.
       
       Durch die Überhitzung der freiliegenden Brennstäbe, das Nachfüllen von
       Kühlwasser und das Ablassen von Kühlwasserdampf aus dem
       Reaktordruckbehälter von Block 1 hatte sich am Samstag früh (unserer Zeit)
       Wasserstoff-Gas unter dem Dach des umgebenden Reaktorgebäudes gesammelt,
       sich entzündet und das Gebäude zerstört. Edano hatte breits am Sonntag
       darauf hingewiesen, dass sich so eine Explosion beim Block 3 wiederholen
       könne – was dann auch am Montag passierte.
       
       ## "Feed and bleed"
       
       Normalerweise wird ein Kernreaktor über einen Wärmetauscher gekühlt. Das
       geht so: Die Brennstäbe sind in mit Bor angereichertes Kühlwasser getaucht.
       Weil dieses dadurch radioaktiv kontaminiert ist, wird es zum Kühlen in
       einem Wärmetauscher in Rohren kontinuierlich an kühlendem Frischwasser aus
       einem Fluss oder dem Meer vorbeigeführt. Weil in Fukushima selbst die
       Notstromaggregate ausgefallen und auch die Notbatterien alle sind,
       funktioniert dieses System aber nicht mehr.
       
       Deshalb wird in die Reaktordruckbehälter jetzt das Meerwasser direkt
       eingefüllt. Dadurch steigt aber auch der Druck im Reaktordruckbehälter.
       Deshalb muss immer wieder beim Kühlen entstandener (und radioaktiv
       belasteter) Dampf abgelassen werden. Weil dadurch die Umgebung kontaminiert
       wird, nennt man dieses Vorgehen im Englischen auch "Feed and bleed".
       
       Weil die Brennstäbe zuvor überhitzt waren, ist dabei zudem Wasserstoff
       entstanden, der mit dem Dampf beim Ablassen in das Reaktorgebäude
       entweicht, sich am Dach sammelt und zu den Explosionen führt.
       
       Dass die Reaktoren nun mit Meerwasser befüllt werden, bedeutet im übrigen,
       dass sie unabhängig vom Ausgang der Krise nicht mehr für die Stromerzeugung
       brauchbar sein werden.
       
       ## Noch eine Chance, den Super-GAU zu verhindern
       
       Entscheidend ist nun, dass die Reaktordruckbehälter, die die Brennstäbe und
       das Kühlwasser umfassen, weiter standhalten. Am Samstag hatten einige
       Experten in Deutschland schon vermutet, dass der Druckbehälter von Block 1
       nicht mehr ganz dicht hält und deshalb einen Super-GAU für unabwendbar
       gehalten. Darunter war auch Wolfgang Renneberg, der langjährige Leiter der
       Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium.
       
       Renneberg erklärte nun am Sonntag, dass es doch noch "eine Chance" gebe
       einen Super-GAU "zu vermeiden, wenn die Kühlung aufrechterhalten werden
       kann". Für eine verlässliche Prognose reichten die vorliegenden Daten aber
       nicht. "Es kann auch sein, dass man hier nur Zeit gewinnt und dann der
       Reaktor, der Sicherheitsbehälter, doch durchschmilzt." Das Schicksal der
       beiden überhitzten Reaktoren des AKW Fukushima I stehe "auf der Kippe".
       
       Experten warnten unterdessen, dass erwartete Nachbeben mit einer Stärke von
       bis zu 7,0 die angeschlagenen Reaktoren weiter gefährden könnten. Mit Blick
       auf den Reaktor 3 treibt Atomexperten eine weitere Sorge um: In diesem
       kommen Mischoxid-Brennelemente (Mox) zum Einsatz, die aus mehreren Uran-
       und auch Plutoniumoxiden bestehen. Sie stammen aus dem Aufarbeitung
       atomarer Abfälle. Diese Mischung sei "ein gewaltiges chemisches Gift",
       sagte Jean Marie-Brom vom französischen Netzwerk für Atomausstieg (Sortir
       du Nucléaire). "Es reicht, ein Partikel einzuatmen, um Lungenkrebs zu
       bekommen."
       
       Unklar ist laut Experten, wie viel Plutonium derzeit noch in den
       Brennelementen von Reaktor 3 steckt. "Befindet sich noch relativ viel
       Plutonium in den Brennelementen, erhöht das die Gefahr, dass plötzlich
       wieder eine Kettenreaktion eintritt", sagte Wolfgang Renneberg.
       
       Das dritte AKW mit ausgefallenener Kühlung ist Fukushima Daiini, auch
       Fukushima II genannt. Dort ist die normale Kühlung bei drei der vier
       Reaktoren ausgefallen. Dort gibt es aber bislang keine mit Fukushima I
       vergleichbaren Probleme.
       
       Am Sonntagnachmittag (unserer Zeit) war außerdem für das AKW Onagawa der
       nukleare Notstand ausgerufen worden. Kurz vor Mitternacht (MEZ) gab dann
       die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) aber an, der Grad der
       Radioaktivität sei in dem Atomkraftwerk wieder auf ein normales Niveau
       gesunken. Die japanischen Behörden informierten die IAEA über die
       Entwarnung. Untersuchungen an der Anlage hätten ergeben, dass aus keinem
       Reaktor Radioaktivität ausgetreten sei. Es wird vermutet, dass die erhöhte
       Radioaktivität rund um den Komplex von der Anlage in Fukushima stammt.
       
       13 Mar 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Kernschmelze
       
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