# taz.de -- Kunst in China: Die Feigheit der Aufklärer
       
       > Zur Eröffnung der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" darf der
       > Mitinitiator Tilmann Spengler nicht einreisen. Die deutschen Abgesandten
       > nehmen es hin.
       
 (IMG) Bild: Der chinesische Kulturminister Cai Wu und Außenminister Guido Westerwelle bei der Eröffnung der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung".
       
       CHINA taz | Ich mochte es nicht glauben: Ganz ohne Not, aus voller
       Überzeugung, standen die Herren von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
       in der Reihe hinter mir auf und applaudierten Herrn Lü, dem Direktor des
       chinesischen Nationalmuseums.
       
       In Gegenwart des deutschen Außenministers Guido Westerwelle und des
       chinesischen Kulturminister Cai Wu erklärte Lü dem Kollegen von der
       Süddeutschen Zeitung, die Frage gehe ihn nichts an, schließlich sei er
       nicht von der Visaabteilung. Der Kollege hatte um eine Stellungnahme zum
       Fall Tilmann Spengler gebeten, der als Mitglied der deutsch-chinesischen
       Expertengruppe der Mercator-Stiftung nicht nach Peking kommen durfte, weil
       er nach seiner Laudatio auf den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo nicht
       mehr als "Freund des chinesischen Volkes" gilt.
       
       ## Applaudierende Provinzler
       
       Mit diesem Applaus endete der erste von fünf Dialogblöcken, die die
       Stiftung als Begleitprogramm der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung"
       organisiert und finanziert. Wer sich von den restlichen vier Blöcken
       trotzdem einen, wie es Guido Westerwelle in seiner kurzen Ansprache
       formulierte, "offenen, regen Austausch mit der chinesischen Gesellschaft"
       erhofft, muss von ähnlichem intellektuellen Kaliber sein wie die Dresdener
       Provinzler, deren Beifall für Lü Zhangshen am nächsten Tag mit der
       Verhaftung von Ai Weiwei auf dem Flughafen von Peking belohnt wurde.
       
       "Die Kunst der Aufklärung": Sie ist in Peking baden gegangen. In einem
       hochironischen Bild. Die auf chinesischer Seite versammelten Herren auf dem
       Podium gaben sich machtbewusst und arrogant, während sich die auf deutscher
       Seite eitel zeigten.
       
       Man bestaunte dieses Bild - im Wissen, dass die chinesischen
       Podiumsteilnehmer jederzeit austauschbare Figuren sind und dass den
       deutschen Vertretern, besonders von den drei beteiligten Museen (Bayerische
       Staatsgemäldesammlung, Kunstsammlungen Dresden und Staatliche Museen zu
       Berlin), statt Eitelkeit Stolz angestanden hätte. Etwa auf ihre
       bemerkenswerte Zusammenarbeit für "Die Kunst der Aufklärung", eine
       sehenswerte und im Detail anregende Schau zur Kunst des 18. und 19.
       Jahrhunderts.
       
       Stolz auf ihre Arbeit und den selbsterteilten Auftrag, von dem der Titel
       der Ausstellung spricht, hätten sie den Affront der Ausladung Tilmann
       Spenglers selbstverständlich einen Affront genannt. Doch eitel, wie sie
       waren, durften sie sich nicht eingestehen, dass ihre Mission durch ihren
       Gastgeber in Misskredit gebracht worden war.
       
       Martin Roth, Direktor der Kunstsammlungen Dresden, konnte nicht oft genug
       betonen, wie viel Vertrauen er doch in China erfahren habe, Vertrauen, das
       er so noch nie gefunden habe auf der Welt! Erstaunlich, wirklich, wo er
       doch sicher auch schon mal mit Museen in Großbritannien, den USA oder
       Frankreich zusammengearbeitet hat. Leider, offenbar, ganz ohne Vertrauen.
       Kein Wunder, dass er dieses chinesische Vertrauen gerne "in der deutschen
       Öffentlichkeit widergespiegelt" sehen wollte.
       
       Die Ermahnung in Richtung der anwesenden Presse zeigte immerhin, dass der
       im Vorfeld von der Tageszeitung Die Welt geäußerte Verdacht auf
       willfährige, weil auf Einladung des Hauptsponsors BMW reisenden
       Journalisten, schon zu diesem Zeitpunkt erledigt war.
       
       Erledigt schien, nach einer halbherzigen Solidaritätsbekundung am ersten
       Tag, schon am zweiten Tag auch der Fall Tilmann Spengler, dessen Namen das
       Mercator-Podium, allen voran Stiftungsleiter Bernhard Lorentz, einfach
       unter den Tisch fallen zu lassen gedachte. Und das, obwohl Spengler, der
       schon als Berater von Bundeskanzler Schröder an dessen Seite nach China
       reiste, das seit zehn Jahren verfolgte Projekt "Kunst der Aufklärung"
       maßgeblich mit angestoßen hatte.
       
       Nun ja, vor zehn Jahren und auch vor fünf war das politische Klima in China
       noch ein anderes. In diesem Zeitraum, im Jahr 2004, gewann auch das
       deutsche Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner den Wettbewerb, mit dem
       das zwischen 1959 und 1961 errichtete Revolutions- und Geschichtsmuseum am
       Platz des Himmlischen Friedens, gegenüber der Halle des Volkes, links vom
       Mao-Mausoleum und rechts vom Kaiserpalast flankiert, zum Nationalmuseum
       umgebaut und vergrößert werden sollte.
       
       Heute nennt Meinhard von Gerkan den Umbau "absolut untypisch für unser
       Büro", zu viele Kompromisse mussten eingegangen werden; die große 260 Meter
       lange, 34 Meter breite und 27 Meter hohe Eingangshalle ist nicht das vom
       Architekten geplante Bürgerforum geworden, sondern erweckt eher
       Erinnerungen an den Empfang im Flughafen Tempelhof.
       
       Zum Teil verantwortet der Architekt diesen Eindruck selbst, bei einem
       übersteigerten Raumvolumen von knapp 200.000 Quadratmetern konnte sein
       Konzept der Reduktion nicht aufgehen; minimalistische Zurückgenommenheit
       gerät zu uniformer scharfkantiger Monumentalität.
       
       In drei von insgesamt 49 Ausstellungsräumen steht nun also "Die Kunst der
       Aufklärung" dem chinesischen Publikum offen. Es wird die Ausstellung
       finden, selbst wenn sie in der Öffentlichkeit nicht beworben, sondern, wie
       es ausschaut, verschwiegen wird.
       
       Ironischerweise liegt das daran, dass es außer der Gastausstellung und
       einer Präsentation bekannter Revolutionsikonen in der Haupthalle, "Der Weg
       zur Wiederverjüngung" genannt, bislang nichts in den hehren Hallen zu sehen
       gibt. Entgegen den Verlautbarungen wird das Museum offiziell erst im Sommer
       eröffnet, was erklärt, warum das Büro Gerkan, Marg und Partner den
       chinesischen Funktionären bei den Eröffnungsfeierlichkeiten nicht der Rede
       wert war.
       
       Und wiederum ironisch: Der eine Ausstellungstitel ist so vage und
       erklärungsbedürftig wie der andere. Denn eine Kunst der Aufklärung gibt es
       nicht. Das in Peking Gezeigte ist eine Blüte der Aufklärung. Als deren
       schönste darf Heinrike Dannecker gelten, die dem Maler Christian Gottlieb
       Schick,und damit dem Betrachter, ganz unbefangen entgegenblickt. Der
       Schüler Jacques-Louis Davids sah die selbstbewusste, freundliche junge Frau
       in den Farben der Trikolore gekleidet, ein Hinweis auf die
       Aufbruchshoffnungen, die selbst das schwäbische Bürgertum - das Gemälde
       entstand 1802 in Stuttgart - mit der Französischen Revolution verband.
       
       ## Lust auf fremde Welten
       
       Was also ist der Humus, der diese Blüte nährt? Eine neue Wertschätzung und
       Entdeckung des Individuums wie der Öffentlichkeit, ein neues,
       unmythologisches Interesse an Geschichte und an rationaler Wissenschaft,
       eine neue Begeisterung für die Natur und eine neue Lust, fremde Welten zu
       entdecken, wie es insgesamt neun Kapitel in der Ausstellung thematisieren.
       
       Sichtlich haben die Ausstellungsmacher diese Facetten in einer diffizilen
       Auswahl der Bilder und Skulpturen, des Porzellans, der Möbel und Kleider
       oder der wissenschaftlichen Atlanten und Instrumente herauszuarbeiten
       versucht, womit sie die Sympathie des Besuchers gewinnen, der mögliche
       Bedenken aufgrund des Anspruchs einer Blockbusterschau angenehm enttäuscht
       sieht.
       
       Um diesem Anspruch freilich zu genügen, darüber klärt die Ausstellung
       nebenbei und sicher nicht ganz freiwillig auf, fehlen selbst drei vereinten
       deutschen Museen die entsprechenden Bestände. Denn dafür müsste nicht nur
       Christian Gottlieb Schick, sondern vor allem sein Lehrer Jacques-Louis
       David mit von der Partie sein. Caspar David Friedrich, von dem zwei
       Landschaften für ein ganzes Jahr nach Peking gehen, genügt nicht. Die
       Aufklärung war eben ein europäisches Projekt.
       
       Nicht immer freiwillig, wie in Peking Francisco Goyas zwischen 1810 und
       1823 entstandene Blätter, "Los Desastres de la Guerra", zur napoleonischen
       Herrschaft und dem spanischen Unabhängigkeitskrieg zeigen. Dass er diese
       Druckgrafiken schon für einen freien Kunstmarkt schuf, wäre einer
       besonderen Betonung im Katalog wert gewesen, der aber allein auf die
       Entstehung des Kunstmuseums abhebt.
       
       Denn daran, dass auch die Wertschätzung von Arbeit und Ausbildung wie die
       Öffnung der Märkte den aufklärerischen Humus bildeten, auf dem die Kunst
       blühen konnte, erinnert man sich gerade im nicht nur ökonomisch, sondern
       auch künstlerisch und intellektuell boomenden Peking. Längst kennt man dort
       eine zeitgenössische chinesische Kunst der Aufklärung, die ein
       individualisiertes Ich gegen die Massengesellschaft und einen fragilen,
       schmerzempfindlichen Körper gegen die Disziplinargesellschaft in Stellung
       bringt.
       
       Eine kritische Kunst, die sich der gefährlichen technokratischen Verkürzung
       des Begriffs der Aufklärung sehr wohl bewusst ist, der es der chinesischen
       Führung erlaubt, sich als Erbe der Aufklärung zu gerieren. Aus diesem Grund
       mag ein waches chinesisches Publikum das vermeintlich selbstgenügsame
       Idyll, das Marguerite Gérard um 1785 von einem jungen Paar malte, das sich
       gegenseitig aus Briefen vorliest, vielleicht besser schätzen, als wir uns
       das vorstellen.
       
       Der Respekt für dieses chinesische Publikum und die Freiheit der Kunst, für
       die "Die Kunst der Aufklärung" steht, verlangt es, dass die
       Mercator-Stiftung, die nun mit ihrem Diskussionsprogramm in der Pflicht
       ist, die Verhaftung von Ai Weiwei ganz entschieden zu ihrem Thema macht.
       
       6 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Direktor der Dresdner Kunstsammlungen: Martin Roth geht nach London
       
       Zuletzt war er durch unpassende Bemerkungen über Ai Wei Wei aufgefallen.
       Jetzt haben ihn die Briten zum Direktor des Viktoria & Albert Museums in
       London ernannt.
       
 (DIR) Museumsdirektor kritisiert Medien: "Zu fixiert auf Ai Weiwei"
       
       Ai Weiwei ist nicht der Liebling der Massen, sondern leider nur der
       Liebling der Medien, kritisiert Martin Roth von den Kunstsammlungen
       Dresden.
       
 (DIR) Kommentar Ai Weiwei: Rechtsstaatsdialog wird zur Farce
       
       Mit der Festnahme von Ai Weiwei verhöhnt China die Menschenrechte. Schon
       aus Selbstachtung darf der Westen nicht zur Tagesordnung übergehen.
       
 (DIR) Ai Weiweis Festnahme in China: Wirtschaftsdelikte als Vorwand
       
       Die chinesische Regierung wirft dem kritischen Künstler Ai Weiwei
       ungenannte Wirtschaftsdelikte vor. Damit räumt sie erstmals seine Festnahme
       ein.
       
 (DIR) China verteidigt Verhaftung Ai Weiweis: "Er ist ein Eigenbrötler"
       
       Die Kommunistische Partei weist die internationale Kritik an der Verhaftung
       des Bürgerrechtlers Ai Weiwei zurück. Es mangele ihm an Respekt. Was genau
       ihm vorgeworfen wird, bleibt offen.
       
 (DIR) Kommentar Westerwelle, Kultur und China: Deutsche Diktaturliebhaber
       
       Der kritische Sinologe Spengler bekam kein Visum für die Reise mit
       Westerwelle nach China. Als ein Journalist danach fragt, kriegt er Buhrufe
       vom deutschen Publikum. Ein Skandal.
       
 (DIR) Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung": Trophäen im Haus der Macht
       
       Die größte deutsche Ausstellung, die je im Ausland zu sehen war, wird im
       Tempel der neuen chinesischen Stärke gezeigt. Das entspricht dem Geist von
       Chinas Kulturpolitik.