# taz.de -- Nuklearforschung in Berlin: Der Atomreaktor mit dem porösen Dach
       
       > Seit 53 Jahren steht am Rande Berlins ein Forschungsreaktor. Proteste
       > dagegen gab es lange nicht mehr. Erst mit der Diskussion über die
       > Flugrouten ist der Reaktor wieder ins Bewusstsein gerückt.
       
 (IMG) Bild: Wer im Forschungsreaktor arbeitet, für den gelten weniger strenge Grenzwerte.
       
       Der letzte Zwischenfall war am 5. Juli 2010. Als der Reaktor BER II seine
       zulässige Leistung überschreitet, passt der Verantwortliche in der
       Schaltwarte einen kleinen Moment nicht auf. Es passiert das, was die
       Techniker "Resa" nennen: eine Reaktorschnellabschaltung.
       
       "Reaktorschnellabschaltung durch Überschreitung der zulässigen
       Reaktorleistung infolge Fehlbedienung", meldet das Bundesamt für
       Strahlenschutz später. "Der Fahrer hat die Steuerstäbe gefahren und einen
       Wert nicht richtig interpretiert und in dem Moment nicht richtig
       aufgepasst", erklärt Karin Haas, stellvertretende Leiterin des Reaktors den
       Vorfall. Und betont, dass die schnelle Abschaltung eher ein Zeichen für
       Sicherheit sei als für Risiko: "Alles, was man falsch fahren kann, endet
       bei uns in der Resa." In Atomkraftwerken sei man mit der automatischen
       Abschaltung nicht so schnell bei der Hand - auch aus ökonomischen Gründen.
       "Da geht pro Tag Stillstand schon mal 1 Million Euro verloren."
       
       Seit 1958 steht der Forschungsreaktor am Rande von Berlin, wenige Kilometer
       vom S-Bahnhof Wannsee entfernt. Es ist eine beschauliche Gegend.
       Einfamilienhäuser mit Vorgärten säumen kopfsteingepflasterte Straßen, bis
       zum Bootsanleger am See sind es nur ein paar Minuten. Mitten im
       Straßengewirr steht ein Pförtnerhäuschen mit zwei Schranken: der Eingang
       zum Helmholtz-Zentrum, einer vor allem vom Bund geförderten Einrichtung,
       die BER II betreibt.
       
       Lange war es ruhig um den Reaktor. Die letzten Demonstrationen gegen den
       Betrieb waren in den 80er, 90er Jahren. Damals wurde der Reaktor ausgebaut,
       auch Klagen gab es. Haas hat sie nicht mehr miterlebt, sie ist erst seit
       Mitte der 90er dabei. Mit der Zeit, so schien es, hätten Anwohner ihren
       Frieden mit dem Reaktor geschlossen, ihn vielleicht sogar vergessen.
       
       Heute zeigen sich selbst Atomkraftgegner erstaunt darüber, dass der Reaktor
       immer noch in Betrieb ist. "Ich dachte, der ist schon längst abgeschaltet",
       sagt einer, der damals mit demonstriert hat. "Nach Tschernobyl stand er mal
       in der Diskussion, danach ist er in Vergessenheit geraten", erinnert sich
       Carmen Schultze, Sprecherin des Umweltverbandes BUND Berlin. Irgendwann
       habe das Interesse der Bewegung nachgelassen. Warum, das kann sie auch
       nicht erklären.
       
       Vielleicht weil ein klares Feindbild fehlt. Hinter dem Reaktor steht kein
       Konzern, der Geld verdienen will, sondern die Wissenschaft. Hier wird zu
       Energieeffizienz geforscht, über Brennstoffzellen und auch schon mal das
       Gehörsystem von Dinosauriern. Es ist keine Nuklearforschung, nichts, was
       der Atomkraft dienen würde. Eher im Gegenteil. "Hauptsächlich betreiben die
       Wissenschaftler hier Grundlagenforschung", sagt Pressesprecherin Ina Helms.
       Sie steht am Ende des Gebäudes, das an den Reaktor grenzt. Es sieht aus wie
       eine Fabrikhalle: hohe Decken mit fahrbaren Kränen darunter, überall liegen
       Materialteile, Rohre, Leitungen. Im Hintergrund summen Vakuumpumpen und
       Lüfter, ab und zu schlägt ein Monteur ein Werkzeug auf ein metallen
       klingendes Material.
       
       Anders als in einer Fabrikhalle trägt jeder, der die Räume betritt, ein
       kleines gelbes Kästchen am Körper. Die Dosimeter zeigen die aufgenommene
       Strahlung an. Wer hier arbeitet, für den gelten weniger strenge Grenzwerte
       als für den Rest der Bevölkerung: bis zu 20 Millisievert pro Jahr sind
       erlaubt. Zum Vergleich: Die normale Strahlung liegt in Deutschland bei ca.
       2 Millisievert im Jahr.
       
       Dass der Reaktorbetrieb in den vergangenen Wochen und Monaten wieder in die
       Diskussion geraten ist, liegt an den An- und Abflugrouten für den im Bau
       befindlichen Flughafen BBI. Künftig könnten die Jets über den Reaktor
       fliegen. Die Aufregung ist auch im Helmholtz-Zentrum angekommen. Auf einmal
       muss Helms mehrmals am Tag Besuchergruppen erklären, was hier eigentlich
       gemacht wird. Nein, hier wird keine Energie gewonnen. Bei der Spaltung der
       Urankerne werden Neutronen freigesetzt, die Wissenschaftler für ihre
       Experimente nutzen.
       
       Doch wie in einem Kraftwerk gibt es radioaktives Material. Rund 7 Kilo Uran
       hängen in dem Reaktorbecken. Und weil nicht jedes Kilo des genutzten Urans
       gleich weitertransportiert wird, lagern am Reaktor noch mehrere Dutzend
       abgebrannte Brennelemente. Außerdem befindet sich am selben Standort die
       Landessammelstelle für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Hier liegen
       zum Beispiel radioaktive Stoffe, die an Universitäten oder in der Medizin
       verwendet wurden. Erst wenn es ein bundesweites Endlager gäbe, so die
       Senatsverwaltung für Umwelt, würde dieses Lager geschlossen.
       
       Was die Gefahr für die Umgebung angeht, wiegelt Helms erst einmal ab.
       Zunächst sei die Leistung des Reaktors sehr gering: 10 Megawatt, jedes
       Atomkraftwerk leistet 300- bis 400-mal so viel. Außerdem lasse sich die
       atomare Kettenreaktion schneller bremsen. "Eine Minute aktive Nachkühlung
       reicht, und die Pumpen haben Batterien für 20 Minuten." Das Wasser werde
       höchstens 38 Grad warm. Temperaturen, wie sie derzeit in den zerstörten
       Anlagen von Fukushima gemessen werden, würden nicht einmal annähernd
       erreicht.
       
       Doch das spricht lediglich gegen eine Gefahr von innen. Für den Fall, dass
       jemand einen Fehler macht. Oder wenn der Strom ausfällt, etwas in der
       Richtung.
       
       Der Reaktor hat eine andere Schwachstelle: die Gefahr von außen. Ein
       Containment, also einen Extramantel aus Beton, gibt es nicht. Die Decke
       über dem Reaktor besteht aus Ytong, das ist ein leichter, poröser Baustoff.
       Darunter liegt das Reaktorbecken frei. Wer in der Schaltwarte vor einer
       Glaswand steht, blickt hinunter in das türkisfarbene Wasser, in dem die
       Brennelemente hängen.
       
       In der Schaltwarte kontrollieren drei Personen pro Schicht über ein knappes
       Dutzend Computer den Reaktor. Vom Summen in der Halle ist hier nichts zu
       hören, dafür leuchten Lampen, die im Ernstfall zeigen sollen, welches Gerät
       Probleme macht. Wer hier reinwill, muss eine Schleuse passieren. Es
       herrscht Unterdruck; falls es ein Loch im Gebäude gibt, soll keine Luft von
       innen nach außen dringen. "Der einzige Fall, in dem Radioaktivität
       austreten könnte, wäre, wenn ein schweres Flugzeug in einem solchen Winkel
       auftreffen würde, dass es das Becken komplett zerstört und alles Wasser
       auslaufen würde", sagt Helms. Dann droht eine Kernschmelze.
       
       ## Das Restrisiko
       
       Ein unwahrscheinliches Szenario, da ziemlich präzise ein bestimmter Teil
       des Reaktorbeckens getroffen werden müsste. Doch galten bis vor Kurzem auch
       andere Szenarien als unwahrscheinlich. "Wir haben kein Containment, wir
       sind nicht zu hundert Prozent absturzsicher", sagt Haas. Darüber müsse man
       sich mit der zuständigen Behörde natürlich unterhalten.
       
       Die zuständige Behörde ist in Berlin die Senatsverwaltung für Umwelt. Die
       erklärte Anfang April, dass mit unabhängigen Gutachtern Kriterien
       entwickelt würden, ob und wie etwas am Reaktor verändert werden muss.
       Verschiedene Szenarien würden durchgespielt: etwa eine Pandemie, die
       sämtliche Mitarbeiter lahmlegt, bei einem zeitgleichen Notfall im Reaktor.
       
       Während die Forderungen nach schneller Stilllegung von Atomkraftwerken
       lauter werden, mag sich niemand so richtig dafür aussprechen, den
       Forschungsreaktor abzuschalten. "Man kann nicht sagen, ein Reaktor ist ein
       Reaktor ist ein Reaktor", sagt die wissenschaftspolitische Sprecherin der
       Grünen, Anja Schillhaneck. Das Risiko das von einem Forschungsreaktor
       ausgeht, sei nicht zu vergleichen mit dem eines Leistungsreaktors. Wie
       Carmen Schultze vom BUND fordern die Grünen erst einmal höhere
       Sicherheitsstandards.
       
       Vor Ort sieht es ähnlich aus: Ein Mann, der in der potenziellen
       Evakuierungszone seinen Hund ausführt, findet an dem Betrieb grundsätzlich
       nichts auszusetzen. Er sähe lieber die Flugzeuge anderswo als den Reaktor.
       
       "Der Eindruck täuscht", sagt dazu Markus Peichl von der Bürgerinitiative
       Weltkulturerbe Potsdam. Er erzählt von Bürgerversammlungen, auf denen sich
       Hunderte für eine Abschaltung aussprachen. Viele Anwohner wüssten einfach
       nichts von dem Reaktor vor ihrer Haustür. Peichl spricht auch von sich
       selber: Er wohnte neun Jahre 2,4 Kilometer von dem Zentrum entfernt, ehe er
       es auf einer Karte entdeckte.
       
       Was passiert nun im Notfall? Dafür gibt es einen Plan, den Anwohner alle
       fünf Jahre in ihrem Briefkasten finden sollten. "Sollten", weil es bei der
       letzten Zustellung Probleme gab. Diejenigen, die die Broschüre erhalten
       haben, erfahren daraus, wie sie sich im Katastrophenfall verhalten sollen.
       Zu Hause bleiben, Jodtabletten schlucken, die im Umkreis von 4 Kilometern
       jeweils vor den Häusern abgelegt werden sollen, Notgepäck zusammenpacken,
       sich auf eine Evakuierung vorbereiten. Ansonsten: Fenster schließen, Radio
       hören, Ruhe bewahren. Die Evakuierungspläne gelten für eine Zone von
       maximal 2,5 Kilometern.
       
       "Heutzutage würde man so ein Ding auf keinen Fall mehr dahin bauen", ist
       sich Schillhaneck sicher. Sie geht davon aus, dass die Proteste der
       Bevölkerung zu stark sein würden. Bei der aktuellen Diskussion trifft sich
       gut, dass der Reaktor seit Oktober nicht in Betrieb ist - Teile werden
       ausgetauscht, bis Mitte des Jahres kann das noch dauern. Danach soll es
       wieder losgehen. Ob dann der Anforderungskatalog fertig ist, kann die
       Senatsverwaltung nicht sagen.
       
       Um die Folgen eines Flugzeugabsturzes zu verringern, könnte die
       Aufsichtsbehörde einen Betonmantel fordern. Doch das, sagt Haas, könnte ein
       Platzproblem werden. "Er müsste da auf dem Boden stehen, wo jetzt die
       Versuchshalle ist." Und ein Forschungsreaktor ohne Versuche habe auch
       keinen Sinn.
       
       15 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
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