# taz.de -- Sarrazin spaltet die SPD: "Natürlich auch taktische Erwägungen"
> Führende Sozialdemokraten kritisieren den Beschluss, Sarrazin nicht aus
> der Partei zu werfen. Ein Politologe glaubt aber: "Bis zur Wahl im
> September ist das vergessen".
(IMG) Bild: Ist die SPD auf dem rechten Auge blind? Oder sind Sarrazins völkische Meinungen dort normal? Klar ist nur eines: Bis zur Wahl im September soll alles vergessen sein.
BERLIN taz | Die parteiinterne Kritik an der Entscheidung, Thilo Sarrazin
nicht aus der SPD zu werfen, wächst. Während die Bundesspitze die Rücknahme
des Antrags zum Parteiausschluss verteidigt, äußern sich immer mehr
SPD-Spitzenpolitiker skeptisch.
"Ich hätte mir ein anderes Ergebnis des Verfahrens gewünscht, weil die
sozialdarwinistischen Thesen von Thilo Sarrazin mit den Grundwerten der SPD
unvereinbar sind", sagte Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel. Viele
Parteimitglieder und Bürger seien enttäuscht. "Ihre Enttäuschung ist auch
meine."
Am Donnerstag hatten Bundes- und Landespartei sowie weitere
Beschwerdeführer überraschend ihren Antrag zurückgezogen, den wegen seines
umstrittenen Buchs "Deutschland schafft sich ab" kritisierten Sarrazin aus
der Partei auszuschließen. Dieser hatte zuvor erklärt, die Vorwürfe gegen
ihn seien Fehlinterpretationen.
"Mich hat die Erklärung Sarrazins nicht überzeugt. Wenn überhaupt, hätte er
diese schon vor Monaten liefern müssen", sagte Olaf Lies, SPD-Chef in
Niedersachsen. Es stimme ihn nachdenklich, dass Sarrazin weiter in der
Partei bleiben könne. Er sei dennoch froh, dass das Thema vom Tisch ist.
"Wäre das Verfahren weitergegangen, hätte man Sarrazin noch mehr
Öffentlichkeit gegeben, das wäre ihm nur recht gewesen." Letztlich habe es
zu der Entscheidung keine Alternative gegeben.
## Wiefelspütz: "Natürlich auch taktische Erwägungen"
"Es liefert kein überzeugendes Bild ab, wenn der Parteivorstand sich
anfangs derart auf seinen Rausschmiss festgelegt hat und das jetzt alles
zurücknimmt", sagte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion. Bei der Entscheidung hätten "natürlich auch
taktische Erwägungen eine Rolle gespielt". Das "Denken Sarrazin" sei in der
SPD weiter verbreitet, als es der Parteispitze lieb sei. "Jetzt wollten sie
einfach Frieden haben."
Dass wahltaktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, bestritt
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Dienstag. "Es handelt sich nicht um
einen Deal, sondern um ein Schiedsverfahren", das sich an den einschlägigen
Rechtsvorschriften orientiert habe, sagte sie im Deutschlandfunk. Sarrazin
habe "seine sozialdarwinistischen Äußerungen relativiert, Missverständnisse
klargestellt und sich auch von diskriminierenden Äußerungen distanziert",
sagte Nahles weiter.
## Nahles: "Sarrazin hat sozialdarwinistische Äußerungen relativiert"
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz verteidigte das Vorgehen
seiner Partei. "Sarrazin hat eine weitreichende Erklärung abgegeben. Diese
durften die antragstellenden Parteigliederungen nicht ignorieren", sagte
er. Mit der Erklärung sei zudem die vom SPD-Parteivorstand geforderte
politische Klarstellung erfolgt. "Das Vorgehen ist daher vernünftig",
lautet das Fazit von Scholz.
Der Vorstand des Berliner SPD-Landesverbandes kam am frühen Dienstagabend
zu einer Sondersitzung zusammen, um über die Entscheidung der
Kreisschiedskommission zu beraten. "Ich nehme Sarrazin seine Erklärung kein
bisschen ab", sagte Aziz Bozkurt von der AG Migration des Berliner
Verbandes. Er hat am Montag eine Erklärung aufgesetzt, mit der er die
Entscheidung als "nicht nachvollziehbar" bezeichnet und sich für das
Verhalten der SPD entschuldigt. Bis zum Nachmittag hatten sich über 700
Unterstützer angeschlossen.
## Politologe: "Entscheidung war taktisch klug"
Der Berliner Politologe Carsten Koschmieder glaubt, dass die Entscheidung
für die SPD taktisch gut war. "Jetzt gibt es kurzfristig zwar schlechte
Presse, bis zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen im September ist die
aber längst vergessen", sagte er. Er verglich die Causa Sarrazin mit der
Plagiatsaffäre des ehemaligen CSU-Verteidigungsministers zu Guttenberg.
"Die Sachlage ist bei Sarrazin völlig klar, er hat sich rassistisch
geäußert. Nur sieht der Großteil der Bevölkerung das, wie schon bei
Guttenberg, anders."
26 Apr 2011
## AUTOREN
(DIR) Paul Wrusch
(DIR) Svenja Bergt
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