# taz.de -- Wahlforscher über Migranten: "SPD könnte nach links verlieren"
       
       > Wahlforscher Andreas Wüst über die Bindung von Menschen mit
       > Migrationshintergrund an linke Parteien und die Gefahr für die SPD, durch
       > den Nichtausschluss von Sarrazin diese Wähler zu verlieren.
       
 (IMG) Bild: Top-integriert: Franz Müntefering mit SPD-Politiker Ahmet Iyidirli beim Dönerfrühstück.
       
       taz: Herr Wüst, die SPD schmeißt Thilo Sarrazin nicht aus der Partei. War
       das eine Fehlentscheidung, die Wähler mit Migrationshintergrund vergrault? 
       
       Andreas Wüst: Eine Prognose abzugeben wäre fahrlässig, weil Erkenntnisse
       über mögliche Effekte dieser Personaldiskussion schlichtweg fehlen. Klar
       ist aber, dass die SPD bei Wählern mit typischem Migrationshintergrund,
       also bei ehemaligen Gastarbeitern und deren Nachkommen, stets hohe
       Stimmenanteile erhalten hat.
       
       In welcher Höhe? 
       
       Das sind Größenordnungen, die die Bundes-SPD nur von früher kennt: 40
       Prozent und mehr. In den letzten Jahren gibt es bei diesen Wählern
       allerdings eine Tendenz zu anderen Parteien des linken Spektrums, also zur
       Linkspartei, aber auch zu den Grünen. Sollte es also unter den Wählern mit
       türkischem Migrationshintergrund Unmut über diese Entscheidung geben, läuft
       die SPD Gefahr, weiter Wählerstimmen an andere Parteien im linken Lager zu
       verlieren. Wechsel ins bürgerliche Lager sind jedoch nicht zu erwarten.
       
       Woher kommt diese starke Bindung "typischer" Migranten an die SPD? 
       
       Das hat allem voran mit der Politik gegenüber Migranten in Vergangenheit
       und Gegenwart zu tun. Linke Parteien nehmen sich traditionell eher
       Minderheiten sowie deren Problemlagen und Interessen an. Sie haben auch
       eher ein Gesellschaftskonzept, das Gleichberechtigung über ethnische
       Grenzen hinweg hochschätzt.
       
       Immer mehr Migranten haben deutsche Pässe. Sind das alles potenzielle
       SPD-Wähler? 
       
       Derzeit gibt es etwa fünf Millionen Wahlberechtigte mit
       Migrationshintergrund, davon allein drei Millionen Aussiedler. Die Zahl
       türkischstämmiger Wahlberechtigter liegt bei gerade einmal 600.000. Der
       Anteil hat sich in den vergangenen Jahren allerdings leicht erhöht und wird
       weiter wachsen. Auf der anderen Seite gibt es kaum noch Aussiedlerzuzug.
       
       Größere Effekte wird diese veränderte Zusammensetzung aber erst mittel- bis
       langfristig haben. Bislang beobachten wir unter den typischen Migranten
       kaum Veränderungen der generellen Wahlmuster. Bei den Aussiedlern zeigen
       sich aber Veränderungen hin zu linken Parteien. CDU und CSU können sich der
       Wähler mit Aussiedler- oder Spätaussiedlerhintergrund nicht mehr so sicher
       sein.
       
       Geht es Wählern mit Migrationshintergrund wirklich vor allem um die Haltung
       in der Integrationspolitik? Für viele sind doch mittlerweile auch andere
       Politikfragen interessant. 
       
       Selbstverständlich interessieren sie sich genauso für andere Fragen. Aber
       die Erfahrung, wie man mit ihnen als Personengruppe in Gesellschaft und
       Politik umgeht, ist ein Faktor, der nach wie vor für die Parteipräferenz
       eine wichtige Rolle spielt. Es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit in
       der Migrations- und Integrationspolitik.
       
       Die Causa Sarrazin berührt doch genau diese Glaubwürdigkeitsfrage. 
       
       Natürlich hat es jetzt unter Migranten Protestreaktionen gegen den
       Nichtausschluss gegeben. Aber Herr Sarrazin ist, und da müssen wir die
       Kirche schon im Dorf lassen, kein aktiver Politiker der SPD. Er war auch
       nie ein SPD-Politiker ersten Ranges. Die Wähler können in der Regel
       unterscheiden, was Politik der Partei ist und was die Haltungen eines
       einzelnen Mitglieds sind.
       
       In der Öffentlichkeit wird Sarrazin doch vor allem in seiner Eigenschaft
       als SPD-Mitglied wahrgenommen. 
       
       Ich sehe das nicht so. Herr Sarrazin macht vor allem Politik für sich und
       sein fragwürdiges Buch.
       
       28 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklas Wirminghaus
       
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