# taz.de -- 1. Mai gegen Gentrifizierung: Kampftag des billigen Wohnens
> Der Arbeiterkampftag wird in diesem Jahr zum Protesttag gegen
> Gentrifizierung. Gleich mehrere Demonstrationen thematisieren steigende
> Mieten. Haben die Linken mehr als Parolen zu bieten?
(IMG) Bild: Auch gegen Gentrifizierung und Verdrängung wird am 1. Mai demonstriert.
Der Tag der Arbeit wird dieses Jahr zum Tag des Wohnens. Gleich mehrere
Veranstaltungen am 1. Mai richten sich gegen Gentrifizierung und
Mietsteigerungen. Die radikale Linke nimmt den Tag als Auftakt für eine
längere Kampagne gegen die Verdrängung finanzschwächerer Mieter aus der
Innenstadt.
"Gentrifizierung ist gerade das prägende Thema der Szene", konstatiert Lars
Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). "Nehmen wir uns
die Stadt!", lautet ein Aufruf der ALB zur "Revolutionären 1.
Mai-Demonstration" um 18 Uhr am Sonntag. Den Aufzug soll ein eigener
"stadtpolitischer Block" begleiten. "Unsere Route führt ja nicht zufällig
nach Neukölln", sagt Laumeyer. Gerade dort seien viele Mieter in den
letzten Jahren von Verdrängung betroffen.
## Spontane Mietendemo
Damit nicht genug: Bereits zu 16 Uhr mobilisieren Autonome zu einer
Spontanversammlung "Billige Mieten statt steigende Profite!" am
Mariannenplatz, inmitten des Myfests. "Die Mieten explodieren in der
Innenstadt", heißt es in ihrem Aufruf. "Diesen Entwicklungen setzen wir
unsere Wut, unseren Widerstand und unsere Wünsche entgegen." Auch das
Myfest selbst steht unter dem Motto "Gegen Verdrängung, gegen Ausgrenzung
und Diskriminierung". Und am Vortag wird das Thema gleich zweimal präsent
sein: Um 16.30 Uhr auf einer "Wir bleiben alle"-Demo vom Rosenthaler Platz
und am Abend auf der "antikapitalistischen Walpurgnisnacht" im
Friedrichshain. Motto auch hier: "Finger weg von unserem Kiez!".
Doch was können die radikalen Linken außer Parolen der Gentrifizierung
tatsächlich entgegensetzen?
"Vernetzung", sagt ALB-Sprecher Laumeyer. "Mit denen, die nicht mehr
mithalten können." Der 1. Mai sei nur der Auftakt für eine längerfristige
Kampagne gegen Stadtumstrukturierung. Mit Stadtteilinitiativen wolle man
zusammenarbeiten oder auch mit verdrängungsbedrohtem Gewerbe, etwa den
Kneipen an der Oranienstraße. "Wir müssen Betroffene politisieren, damit
sich diese wehren und nicht einfach wegziehen", sagt Laumeyer. Zudem sei es
wichtig, bestehende alternative Freiräume als "Inseln des Widerstands" zu
verteidigen.
Die Stadtteilinitiative Schillerkiez gehört zu den Bündnispartnern.
Mitglied Jochen Herberg sieht "selbst organisierte, kleinteilige
Basisarbeit von unten" als Instrument gegen Verdrängung. "Keine
aufgesetzten Geschichten von Parteien und Verbänden." Ziel sei es, Mieter
über ihre Rechte aufzuklären und zu vernetzen, damit sich ganze Häuser
gegen Mietsteigerungen wehren könnten. Rein realpolitisch sei das nicht,
findet Herberg. "Es geht ja nicht um Mietrechtsreformen, sondern um soziale
Fragen, die wir kapitalismuskritisch beantworten."
"Es gibt kein gegebenes Recht auf Wohnen", betont Jonas Schiesser von der
Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB). "Das muss erkämpft
werden." Dabei könnten auch ziviler Ungehorsam, etwa das Blockieren von
Zwangsumzügen, und militante Aktionen legitim sein. Adressaten seien aber
nicht "die Zugezogenen", sondern "Politik und Wirtschaft, die bewusst
Aufwertungsprozesse ins Rollen bringen". Auch ALB-Mann Laumeyer verteidigt
militante Aktionen. Luxus-Investoren könne so wirksam gezeigt werden, dass
sie nicht willkommen seien. Schiesser stellt die Systemfrage: Letztlich
blieben alle Kämpfe innerhalb des Kapitalismus "nur Abwehrkämpfe". "Deshalb
plädieren wir für eine ganz andere Perspektive."
Beim Bündnis der Samstag-Demo vom Rosenthaler Platz schlägt man gemäßigtere
Töne an. "Bunte, öffentlichkeitswirksame Aktionen gegen Umstrukturierung"
schweben Birgit Westermann von der Walpurgnisnacht AG vor. Inzwischen
krieche die Gentrifizierung bis nach Lichtenberg, Weißensee und in den
Wedding. "Das Thema geht nicht mehr nur die linke Szene, sondern die ganze
Bevölkerung an", so Westermann. Rot-Rot habe komplett versagt, obwohl die
Politik "Fördergelder, Bau-, Miet- und Steuergesetze" zur Hand habe.
Westermann schweben breite Proteste vor, mit Kundgebungen vor den
Senatsverwaltungen und Straßenfesten mit Anwohnern und Gewerbetreibenden.
"Unser Ansatz geht eher in Richtung Stuttgart 21", sagt die
Friedrichshainerin. "Wir müssen die Vereinzelung durchbrechen und uns über
alle Parteigrenzen kollektiv organisieren."
Bereits seit einem Jahr treffen sich stadtpolitische Initiativen im Bündnis
"Steigende Mieten Stoppen". Am 3. September - zwei Wochen vor der
Abgeordnetenhauswahl - wollen sie mit einer Großdemo auf die Straße gehen.
"Der Weg ist hier das Ziel", sagt Schillerkiez-Aktivist Jochen Herberg. Der
Aufzug soll mit Anwohnern zusammen vorbereitet werden.
29 Apr 2011
## AUTOREN
(DIR) Konrad Litschko
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