# taz.de -- Kommentar Pfefferspray-Einsatz: Der verletzte Polizeistaat
       
       > Es braucht erst zwei wehrhafte Polizisten, die den massiven Einsatz von
       > Pfefferspray am 1. Mai in Frage stellen. Dass es sie gibt, könnte
       > beruhigen. Das macht es aber gerade nicht.
       
       Man weiß ja gar nicht, worüber man sich mehr Gedanken machen soll: Darüber
       dass mittlerweile Polizisten die besten Kontrolleure der Polizei geworden
       sind? Oder darüber, dass inzwischen derartig viele Zivilbeamte im Einsatz
       sind, dass sich die Ordnungshüter bevorzugt gegenseitig verletzen?
       
       Weil Polizisten in zivil am 1. Mai von ihren Kollegen erst mit
       Pfefferspray, dann mit Fausthieben verletzt worden sein sollen, haben sie
       nun Anzeige wegen "Körperverletzung im Amt" gegen ihre Polizeikollegen
       erstattet. Hört sich heftig an. Ist es auch. Denn es brauchte erst die zwei
       wehrhaften Polizisten, um die Debatte darüber zu ermöglichen, ob der
       Berliner Polizeieinsatz am 1. Mai mit rechten Dingen zuging.
       
       Das Beispiel zeigt wie schwierig die externe Kontrolle von Polizeieinsätzen
       ist. In ihrem [1][Live-Ticker am 1. Mai] hatte die taz auf taz.de
       wiederholt von den massiven, teils gerechtfertigten, häufig aber auch
       unbegründeten Pfeffersprayeinsätzen berichtet, mit denen Beamte ab 22 Uhr
       am Kottbusser Tor in Berlin auch gegen Schaulustige vorgegangen waren.
       Polizisten spritzten dabei teils wahllos mit dem aggressiven Spray in die
       Menge - obwohl die Polizei vor Ort den gesamten Abend über keine einzige
       Warndurchsage gemacht hatte, die etwa auf die Härte und Unmittelbarkeit des
       Einsatzes hingewiesen hätte.
       
       Wohlgemerkt: Pfefferspray kommt nicht aus dem Gewürzregal. Der Einsatz des
       Mittels kann zu bleibenden Schäden der Hornhaut führen. Wer es einsetzt,
       muss das in jedem Einzelfall begründen können. Stattdessen mussten in
       Berlin Kreuzberg nach Angaben von Sanitätern mehr als 150 Personen aufgrund
       von Augenverletzungen behandelt werden – ehe die Polizei dann noch durch
       das provisorisch eingerichtete Sanitätszentrum stürmte. Was kümmert's uns?
       
       Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch zumindest verteidigte den Einsatz
       am Montag noch ganz locker und behauptete, das Spray sei nur nach gezielten
       Angriffen auf Beamte eingesetzt worden. Anzeigen von Betroffenen seien ihm
       nicht bekannt. Und dann bejubelte er den tollen Polizeieinsatz und die
       Leistung der Kollegen.
       
       Da hätte er mal lieber genauer hingeschaut. Nur wenige Stunden später hatte
       er die ersten Anzeigen bereits auf dem Tisch: Von seinen eigenen Leuten.
       
       ## Kultur der Kontrolle
       
       Nun kann es verschrecken, dass ausgerechnet Polizeibeamte diejenigen sind,
       die den unverhältnismäßigen Einsatz der polizeilichen Mittel aufklären
       wollen: Müssten nicht eigentlich zahlreiche Betroffene gute Gründe haben,
       längst zur Polizei gegangenen zu sein, um Anzeige zu erstatten? Müssten
       nicht auch Medienberichte eine Wirkung entfalten können, die zumindest zur
       Reflexion einlädt?
       
       Tatsächlich wird die Beweisführung in diesen Fällen immer schwierig sein:
       Wer hat schon zufällig gefilmt wie er selbst plötzlich von Polizisten
       attackiert wird? Wer hat die Chuzpe mit Pfefferspray in den Augen die
       Kamera noch weiter hoch zu halten? Und wer will beweisen können, dass nicht
       vorher irgendetwas der Grund für die Attacke gewesen sein könnte? Im Detail
       ist die Aufarbeitung dieser Polizeieinsätze immer ein Problem. Doch wer am
       Abend des 1. Mai am Kottbusser Tor seine Augen trotz der pfeffrigen
       Nebelschwaden offen halten konnte, hat gesehen was da schief lief.
       
       Den Blick dafür wird sich nun auch Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch
       zumuten müssen. Dass er sich erst von seinen ihm unterstellten Beamten dazu
       treiben lassen muss, ist peinlich genug. Immerhin aber gibt es diese Kultur
       der Kontrolle auch innerhalb der Polizei.
       
       Sie müsste eigentlich für Zuversicht sorgen, wenn da nicht noch diese
       anderen Fragen wären: Wie gesund ist es eigentlich, auf die
       Selbstreinigungskräfte der Polizei zu vertrauen? Wie viele dieser
       wehrhaften Polizeibeamten gibt es überhaupt? Und was ja auch mal
       interessieren würde: Wenn am 1. Mai allein acht Beamte in Berlin durch
       Pfefferspray verletzt worden sind – zu wieviel Prozent bestand die
       aufgebrachte Demonstrantentruppe am Kottbusser Tor eigentlich aus
       Zivilpolizisten? Nicht dass die sich demnächst dann nur noch selbst
       vermöbeln.
       
       4 May 2011
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
       
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