# taz.de -- Bürgerschaftswahl in Bremen: Ein ungleiches Duo
       
       > Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und Finanzsenatorin Karoline Linnert
       > (Grüne) lassen die CDU als drittstärkste Kraft zurück. Aus einem Land,
       > das immer links ist.
       
 (IMG) Bild: Gilt als bescheiden: Die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert.
       
       BREMEN taz | Als SPD und Grüne in Bremen 2007 eine rot-grüne Koalition
       verabredeten, da war das beinahe schon ein Auslaufmodell. Im Bund regierten
       so die Sozialdemokraten, aber in den Ländern wehte schon ein anderer Wind.
       Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte die Linke als
       Partner den Grünen vorgezogen, und in der Hansestadt Hamburg sorgte Ole von
       Beust mit der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene für
       Aufmerksamkeit. Das Bündnis, das der Sozialdemokrat Jens Böhrnsen und die
       Grüne Karoline Linnert schmiedeten, sah dagegen unspektakulär aus.
       
       Auch wenn der jetzige Erfolg erstaunlich anmutet: Für beide Partner ist die
       Fortsetzung eine Selbstverständlichkeit. Die Grünen punkten auch wegen der
       Stimmung bundesweit und in der Folge des GAUs von Fukushima, aber nicht auf
       Kosten der SPD: Die konnte ihr Ergebnis noch leicht steigern. Und das trotz
       der Haushaltsdisziplin, die sich das hoch verschuldete Land auferlegt.
       
       Auf den letzten Metern des Wahlkampfes plakatierte die Bremer CDU
       aggressiv: "Grüne Schulden - Roter Filz - Grüner Stau - Rote Laterne". Sie
       sei "Mehrwert" als 19 Prozent, warb die Bremer CDU. Das Ergebnis lag
       schließlich nur knapp darüber. Das Problem von Rita Mohr-Lüllmann,
       Apothekerin und Spitzenkandidatin der CDU, war, dass sie nicht überall in
       dem kleinsten Bundesland bekannt ist. Vor allem aber haben sich bürgerliche
       Wählerinitiativen gebildet, die alle wenig Chancen haben, aber deutlich
       signalisieren: Das bürgerliche Lager sieht sich nicht repräsentiert von der
       CDU. Die landete prompt hinter den Grünen, und die FDP flog aus dem
       Landtag.
       
       ## 1979 erstmals eine "Grünen-Liste"
       
       In Bremen haben seit dem Krieg nur Sozialdemokraten regiert, aber 1987 zum
       letzten Mal mit absoluter Mehrheit. Nun erzielt die Partei nach dem
       vorläufigen Ergebnis rund 38 Prozent - für Bremen recht wenig. Es waren
       langjährige SPD-Mitglieder, die 1979 in Bremen bundesweit erstmals eine
       "Grünen-Liste" gründeten und in ein Landesparlament kamen. Nun erzielen die
       Grünen deutlich über 20 Prozent. Auch bei der Linken, die gerade so den
       Einzug in den Landtag erzielte, finden sich viele alte sozialdemokratische
       Gesichter.
       
       Irgendwie ist Bremen also noch "links", aber die politischen Kontroversen,
       die früher innerhalb der SPD ausgetragen wurden, organisieren sich nun in
       verschiedenen Parteien. Insofern ist es konsequent, wenn die grüne
       Spitzenkandidatin Karoline Linnert den Gedanken einer rechnerisch möglichen
       grün-schwarzen Koalition schroff abwehrt. "Ich habe an inhaltsleerer Macht
       kein Interesse. Was soll ich mit einem Bündnis, das die Stadt nicht will,
       das die Menschen nicht wollen?" Konzeptionell wäre ein solches Bündnis
       inhaltsleer angesichts der Lage der Bremer CDU.
       
       "Als ich jung war, wollte ich die Welt retten, heute möchte ich sie nur ein
       bisschen besser machen", sagt sie. Man möchte meinen, dieser Spruch würde
       gut zu einem Sozialdemokraten passen, etwa dem Bremer Bürgermeister Jens
       Böhrnsen. Er kam aber aus dem Munde der grünen Finanzsenatorin Karoline
       Linnert, die im Bremer Wahlkampf als Spitzenkandidatin mit der SPD um
       Stimmen ringen sollte, und sie sagte das auf einer Wahlkampfveranstaltung
       beim Deutschen Gewerkschaftsbund.
       
       ## Zunächst sprachlos
       
       Nach dem Abitur 1977 wurde sie zunächst Röntgenassistentin, studierte dann
       Psychologie. 1980 trat sie bei den Grünen ein, wo sie wissenschaftliche
       Mitarbeiterin wurde und damit die Politik als Beruf wählte. Seit 1991
       vertritt sie die Grünen in der Bürgerschaft. Dass sie einmal
       Spitzenkandidatin werden würde, hatte sie dabei nie angestrebt. Am
       Wahlabend dann ist sie über den eigenen Erfolg, die CDU überholt zu haben,
       zunächst sprachlos. Dann sagt sie: "Wir haben ein grandioses Ergebnis
       hingekriegt. Das tut richtig gut."
       
       Seitdem die Grünen sie zu ihrer Nummer eins gemacht hatten, ist Linnert die
       unumstrittene Spitzenfrau. Vielleicht auch darum, weil sie nie den Eindruck
       erweckt, es gehe ihr um Karriere. Ein grüner Abgeordneter ging nach seinem
       Einzug ins Landesparlament 2007 als Erstes zum Schneider und bestellte
       einen Maßanzug. Solche Eitelkeit wäre der stellvertretenden Bürgermeisterin
       Linnert vollkommen fremd. Sie hat sich ihre direkte, persönliche Art
       erhalten trotz des jahrelangen Politikmarathons. Zum Glück kocht ihr Mann
       gern. Wenn sie mal richtig durchatmen will und kann - das kommt selten vor
       -, dann fährt sie mit dem Fahrrad auf ihre Parzelle im "Kleingartenverein
       Weserlust".
       
       15 lange Jahre lang hatte vorher der Sozialdemokrat Henning Scherf Bremen
       regiert. Überregional galt er als Linker, in Bremen bewarb er sich 1995 bei
       der parteiinternen Abstimmung als Kandidat für eine rot-grüne Koalition,
       konnte sich wenig später aber nichts anderes mehr vorstellen als eine große
       Koalition. Ein Bündnis mit den Grünen war für ihn auf jeden Fall undenkbar
       mit Karoline Linnert, der "heiligen Johanna" der Grünen, wie sie damals
       hinter vorgehaltener Hand im Rathaus hieß. Gleichzeitig galt sie als "nicht
       ausgebufft genug".
       
       ## Bremens Bürgermeister
       
       Aber die Bremer Sozialdemokraten hatten die große Koalition mit der CDU
       mehr und mehr satt, schon als Fraktionsvorsitzender hielt Jens Böhrnsen mit
       der Oppositionsführerin guten Kontakt. Seitdem kennen die beiden sich - und
       schätzen sich trotz aller Unterschiedlichkeit. Böhrnsen erscheint eher
       etwas steif, auf jeden Fall selten spontan. Von Beruf ist er
       Verwaltungsrichter gewesen, war in seinem Stadtteil Juso-Chef
       Unterbezirksvorsitzender, bevor er 1995 ganz in die Politik überwechselte.
       Auch sein Bruder ist Richter, aber das lag keinesfalls in der Familie: Sein
       Vater, Gustav Böhrnsen, nach dem in Bremen eine kleine Straße benannt ist,
       war Schlosser auf der Werft AG Weser. Von 1936 bis 1939 war er unter den
       Nazis inhaftiert - wegen Widerstandsarbeit für die KPD.
       
       Vater Böhrnsen trat 1948 wieder in die SPD ein, wurde
       Betriebsratsvorsitzender auf der Werft und war von 1968 bis 1971
       Fraktionsvorsitzender der SPD - also in den wilden Zeiten, in denen Sohn
       Jens mit den sozialistischen Schülern sympathisierte, die gegen die
       Fahrpreiserhöhungen die Schienen in der Bremer Innenstadt blockierten. Auch
       zu Hause war die Arbeiterpolitik bei den Böhrnsens nie wegzudenken. Der
       Onkel von Jens Böhrnsen, Willy Hundertmark, war der Kopf der KPD in Bremen
       und in den 50er Jahren noch für die KPD in der Bürgerschaft - bis zu deren
       Verbot.
       
       "Wir treffen uns jeden Montag unter vier Augen", beschreibt Karoline
       Linnert den inneren Kern des rot-grünen Bündnisses. Trotz aller
       Verschiedenheit im persönlichen Stil ist das Arbeitsverhältnis der beiden
       Spitzenpolitiker von Vertrauen geprägt. "Er ist ein Mensch, der
       Überzeugungen hat", sagt Linnert. Das ist ein großes Lob, sie hat ein
       abgrundtiefes Misstrauen gegen Menschen, die nur von Karrieregedanken
       getrieben sind. Eine Überzeugung von Böhrnsen ist es zum Beispiel, dass die
       Experimente der Hirnforscher an den Makaken in Bremen nicht sein sollten.
       
       ## Im Freizeitlook gegen die NPD
       
       Die große Koalition hatte den Makakenforscher nach Bremen geholt,
       inzwischen ist auch die CDU dafür, dass diese Versuche beendet werden. Seit
       Jahren liegt das Thema vor Gerichten. Wenn die NPD in Bremen
       aufzumarschieren versucht, dann demonstriert Böhrnsen im Freizeitlook in
       der ersten Reihe dagegen. Eine andere Überzeugung von Böhrnsen ist die,
       dass die Politik etwas für den sozialen Zusammenhalt tun müsse.
       
       Als nach dem Tod des kleinen Kevin gesagt wurde, dass die Entscheidungen
       des Sozialamtes auch damit zu tun gehabt hätten, dass bestimmte "Quoten"
       für Heimeinweisungen beschlossen worden waren, da verfügte Böhrnsen, dass
       finanzielle Aspekte bei fachlichen Entscheidungen nicht entscheidend sein
       dürften. Seitdem steigen die Kosten für soziale Hilfe wieder stärker.
       
       Bildung und Soziales sollten die Schwerpunkte der rot-grünen Koalition
       sein, hatten die Partner vor vier Jahren verabredet. Das ist spürbar in der
       Stadt, aber Bremen ist immer noch auf dem letzten Platz bei den Pisa-Tests
       und hat eine auch im Großstädtevergleich sehr hohe Sozialhilfequote, vor
       allem bei den Kindern. Bremerhaven liegt in der Sozialhilfequote an der
       Spitze der mittleren Großstädte.
       
       ## Mehr ist nicht drin
       
       Dagegen kann Politik offenbar wenig tun, sie kann Entwicklungstrends nur
       abmildern. Als die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Gelder für
       Arbeitsmarktpolitik kürzte, da rechneten die Bremer Beschäftigungsträger
       aus, dass sie 5 Millionen Euro brauchten, um die Einbußen halbwegs zu
       kompensieren. Das hoch verschuldete Bundesland spendierte 1,5 Millionen
       Euro - dass mehr nicht drin ist, sahen die Träger ein. Ohne Rücksicht auf
       die Kassenlage Sozialpolitik zu betreiben, das fordert nur die Opposition
       der Linken.
       
       Bisher gibt es zwei grüne Senatsmitglieder - neben Linnert ist das der
       Umweltsenator Reinhard Loske. Der machte bundesweit mit seiner Forderung
       nach Verbot der Plastiktüten Schlagzeilen oder dem Plädoyer für einen
       Fortschritt ohne Wachstum. Als Chef der Bremer Bau- und Umweltverwaltung
       backt er eher kleine Brötchen. Gegen eine unsinnige Stadtautobahn-Planung
       mussten Bürgerinitiativen sogar vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen und
       gewannen. Prozessgegner: Loske.
       
       23 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Wolschner
       
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