# taz.de -- Vergewaltigung vor Gericht: Die Schlammschlacht schreckt ab
       
       > Können sich Opfer von Gewalt auf die Justiz verlassen? Nach dem
       > Kachelmann-Prozess dürften Betroffene noch mehr zögern, eine
       > Vergewaltigung anzuzeigen.
       
 (IMG) Bild: Eine weibliche Justitia - trotzdem lässt das Gerichtssystem weibliche Opfer von sexuellen Übergriffen häufig allein.
       
       Jörg Kachelmann ist ein freier Mann. Das Landgericht Mannheim hat den
       Schweizer Wettermoderator am Dienstag vom Vorwurf der Vergewaltigung
       freigesprochen. Damit endet eine monatelange und vor allem öffentlich
       ausgetragene Schlammschlacht. Jetzt bekommen alle Beteiligten, allen voran
       der Angeklagte und die Klägerin, die dringend benötigte Ruhe. Unabhängig
       davon, dass in diesem Mammutprozess viele Fragen offen geblieben sind.
       
       Und noch etwas anderes wird bleiben: die Ahnung davon, dass der gesamte
       Prozess dem schwierigen Themenkomplex Vergewaltigung und Gewalt in
       Beziehungen nicht gutgetan hat. An dieser Entwicklung tragen alle
       Beteiligten ihre eigene Schuld: Angeklagter, Klägerin, VerteidigerInnen,
       Gericht, Medien. Glaubwürdigkeit, Beweise und Erinnerungen der Opfer an den
       Tathergang werden künftig noch stärker infrage gestellt werden als bisher.
       
       Schon vorher war es schwer, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt in
       Beziehungen nachzuweisen. Solange es keine eindeutigen Spermaspuren gibt,
       ist der Beweis eines körperlichen und seelischen Übergriffs - trotz
       modernster Kriminaltechnik - schwierig. Nicht einmal ein Drittel der
       Verletzungen kann dokumentiert werden, sagt eine Studie der London
       Metropolitan University im Auftrag der Europäischen Kommission, die die
       Strafverfolgung von Vergewaltigung in elf europäischen Ländern untersucht
       hat.
       
       Hinzu kommt eine Vielzahl an sogenannten Vergewaltigungsmythen: Sexuelle
       Übergriffe finden vor allem im öffentlichen Raum statt, beispielsweise in
       dunklen Parks; Täter überfallen hauptsächlich ihnen unbekannte, junge,
       gutaussehende Frauen.
       
       ## Tatort Wohnung
       
       Zahlreiche Studien widerlegen das. Eine Untersuchung des
       Bundesfamilienministeriums hat herausgefunden, dass jede vierte Frau
       zwischen 16 und 85 Jahren wenigstens einmal in ihrem Leben von ihrem
       Partner oder ihrem Expartner körperlich und sexuell angegriffen wird. Das
       reicht von Drohungen, Ohrfeigen und einmaligen Vergehen bis hin zu schweren
       Misshandlungen und Vergewaltigungen mit körperlichen und psychischen
       Langzeitfolgen. Nur etwa 11 bis 22 Prozent der Sexualopfer werden von
       Unbekannten angegriffen. Der Tatort ist fast immer die eigene Wohnung,
       Opfer sind fast immer Frauen, Täter fast immer Männer.
       
       Die meisten betroffenen Frauen reden nicht darüber, fast die Hälfte behält
       das Erlebte bis ans Lebensende für sich.
       
       "Die Frauen schweigen aus Angst und Scham. Die meisten wissen auch nicht,
       wie ein Strafverfahren abläuft", sagt die Sozialpädagogin Antje Prinz vom
       Büro für Prozessvorbereitung und Prozessbegleitung Ahgata in Berlin. Der
       Verein betreut Opfer von Gewalt - darunter Vergewaltigung und Missbrauch,
       aber auch Stalking und Entführung - vor Gerichtsprozessen und vor Aussagen
       bei der Polizei. "Groß ist die Angst der Opfer vor allem, wenn sie im
       Gerichtssaal ihren Peinigern gegenübersitzen", sagt die zertifizierte
       Prozessbegleiterin Prinz: "Vergewaltiger haben oft nicht nur physische
       Gewalt über ihre Opfer, sondern vor allem auch psychische." Manche Frauen
       befinden sich noch viele Jahre nach der Tat in psychotherapeutischer
       Behandlung.
       
       Jedes Jahr werden in Deutschland rund 8.000 Vergewaltigungen angezeigt, das
       sind etwa fünf Prozent der tatsächlich verübten Taten. In Schweden melden
       sich viermal so viele Opfer bei der Polizei, ergab die EU-Studie.
       
       Die betroffenen Frauen sind stark verunsichert, ob, wie und wann sie Gewalt
       in der Beziehung oder eine Vergewaltigung anzeigen sollen. Die Beraterinnen
       beim Dachverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, der
       bundesweit über 150 Beratungsstellen betreibt, hören häufig Sätze wie
       diese: "Soll ich anzeigen? Mir wird doch sowieso nicht geglaubt."
       
       Das kennt auch Christa Stolle, Geschäftsführerin der
       Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes: Die Gründe der geringen
       Anzeigenbereitschaft liegen unter anderem in der Schwierigkeit,
       Beziehungstaten nachzuweisen, sowie in der Reaktion im sozialen Umfeld.
       "Meiner Tochter würde ich im Zweifel raten, nicht zur Polizei zu gehen",
       sagte der ehemalige Generalbundesstaatsanwalt Hansjürgen Karge im
       vergangenen Herbst in einer Talkshow. Er sagte auch: "Meine berufliche
       Erfahrung lehrt: Letztlich zahlen die Frauen immer die Zeche." Er
       bezweifelte damals schon, zu Beginn des Kachelmann-Prozesses, dass dieser
       Fall vergewaltigte Frauen ermutigen werde, zur Polizei zu gehen.
       
       Christa Stolle befürchtet, dass das Gegenteil eintreten wird: "Es werden
       sich in Zukunft noch weniger trauen, Anzeige bei einer Vergewaltigung zu
       erstatten." Ursache dafür sei aber nicht in erster Linie das
       Kachelmann-Urteil, sondern der Medienrummel: "Durch die Berichterstattung
       und die Vorverurteilung der Klägerin von Teilen der Öffentlichkeit geht ein
       fatales Signal aus an alle Betroffene."
       
       ## Nichts passiert
       
       Von den rund 8.000 angezeigten Vergewaltigungen gelangen jedes Jahr rund
       1.400 zur Anklage, etwa 1.000 Täter werden verurteilt. Das ist im
       EU-Ländervergleich "unterdurchschnittlich". Regula Schwager, Psychologin
       und Psychotherapeutin in Zürich, kennt das aus ihrer eigenen Praxis in der
       Schweiz. In vielen Fällen, sagt sie, werde keine Anklage erhoben: "Das
       heißt aber nicht, dass nichts passiert ist. Es gibt fast nie Beweise und
       die ErmittlerInnen werden mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert." Der
       Grund dafür: Das Opfer müsse beweisen, dass etwas passiert sei, obwohl es
       doch eigentlich umgekehrt sein müsste: Der Täter müsse beweisen, dass
       nichts passiert sei.
       
       Sogenannte Fremdtäter, also der Unbekannte im Park, werden fast nie vor ein
       Gericht gestellt, weil sie erst gar nicht gefasst werden. Verurteilt werden
       häufig Täter, die in das klassische Vergewaltigerklischee passen: brutal,
       bewaffnet, aggressiv. Nur drei Prozent der Anzeigen bei der Polizei sind
       Falschbeschuldigungen, sagt die Polizeistatistik. Darunter viele von
       Jugendlichen, wie Antje Prinz von Ahgata weiß. "Wenn junge Mädchen eine
       Vergewaltigung anzeigen, aber gelogen haben, ist das meist ein Hilferuf,
       der auf ganz andere Probleme aufmerksam machen soll", sagt die Beraterin.
       "Oftmals wissen die jungen Mädchen gar nicht, welche Auswirkung ihre
       Anzeige haben kann."
       
       Wie eine Frau auf dem Revier und später im Gerichtssaal behandelt wird, ob
       man ihr Glauben schenkt und respektvoll mit ihr umgeht, ist dem Zufall
       geschuldet. "Es gibt solche und solche Richterinnen und Richter und es gibt
       solche und solche Polizeibeamte", sagt Antje Prinz. Sie fordert: "Bevor
       eine Frau eine Anzeige macht, soll sie sich darüber im Klaren sein, was sie
       davon erwartet." Für viele betroffene Frauen, die Gewalt und Vergewaltigung
       in einer Partnerschaft erleben, endet die Gewaltspirale nicht mit einer
       Anzeige.
       
       Der Kachelmann-Prozess ist zwar vorerst vorbei, aber die Folgen werden noch
       lange nachklingen.
       
       31 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Vergewaltigung
       
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