# taz.de -- Kommentar Schutz von Vergewaltigten: Befreiung von der Scham
       
       > Viele behaupten, das Kachelmann-Urteil entmutige Opfer von
       > Vergewaltigung. Das ist falsch: Es geht vielmehr darum, den Opfern aus
       > der Scham-Falle zu helfen.
       
 (IMG) Bild: Gib mir ein S! Gib mir ein L! Gib mir ein U! Gib mir ein T!
       
       "Recht ist in einer Demokratie nicht immer Gerechtigkeit. Wir müssen damit
       leben können, dass wir nicht immer mit der nötigen Sicherheit die Wahrheit
       finden", das sagte Alice Schwarzer unmittelbar nach der Verkündung des
       Kachelmann-Urteils. "Aber das Problem ist, was mir in diesem Prozess klar
       geworden ist, dass das deutsche Rechtssystem stark täterorientiert ist."
       
       Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hingegen sah mit dem
       Freispruch für den angeklagten Wettermoderator das "Vertrauen in die
       Unabhängigkeit der deutschen Justiz" gestärkt. Und nur um Letzteres konnte
       es gehen.
       
       Zur Erinnerung: Es ging in diesem Prozess weder um eine auf Opfer womöglich
       abschreckende Signalwirkung des Urteils, wie die Frauenrechtsorganisation
       Terre des femmes und andere befürchten. Genauso wenig ging es darum, anhand
       eines Schuldspruchs zu beweisen, wie hart ein Vergewaltiger in unserem
       System bestraft wird.
       
       Es ging allein um die Frage, ob es nachweisbar ist, dass es sich bei dem
       Angeklagten um einen Vergewaltiger handelt. Aus Mangel an Beweisen wurde er
       freigesprochen. Aus diesem Urteilsspruch werden nun negative Folgen für
       Opfer abgeleitet. Das jedoch legt ganz andere Schwächen im Umgang mit
       denselben frei.
       
       Zweifelsohne müssen Opfer sexueller Gewalt gestärkt werden. Und
       selbstverständlich sind Frauen darüber aufzuklären, wie sie sich nach einer
       Vergewaltigung am besten verhalten. Das Mittel, das für die Opfer die
       entscheidende Wendung bedeuten würde, ist die Befreiung von der Scham.
       
       Es gibt viele Beispiele von Frauen, die nach einer Vergewaltigung erst
       duschen und dann zu Polizei gehen. Oder die lieber schweigen, als sich
       einem Prozess auszusetzen. Die Scham aus den Köpfen der Frauen zu kriegen,
       würde mehr zur Stärkung der Opfer beitragen, als es eine Verurteilung
       Kachelmanns vermocht hätte.
       
       Nun lässt sich einwenden, das eine hinge mit dem anderen eng zusammen: Wäre
       Kachelmann verurteilt worden, sähen sich Vergewaltigungsopfer gestärkt. Das
       ist eine absurde Verknüpfung. Solange man ihm die Tat nicht nachweisen
       kann, wird niemand gestärkt oder geschwächt – höchstens jemand zu Unrecht
       verurteilt.
       
       Wie Alice Schwarzer fast scharfsinnig bemerkt hat: Der Rechtsstaat schützt
       auch den Täter. Dies gilt für andere Kontexte wie etwa die
       Sicherheitsverwahrung. In diesem Fall schützt der Staat den Angeklagten vor
       einer Vorverurteilung. Zu Recht, denn Vergewaltigung bleibt ein schwer
       nachweisbares Delikt.
       
       Umso wichtiger ist es, Frauen aufzuklären, wie sie im Falle einer
       Vergewaltigung vorgehen sollen. Im Feministen-Vorzeigeland Schweden hat
       sich seit 1975 aufgrund einer neuen Rechtslage die Zahl der Klägerinnen
       verachtfacht, die Zahl der verurteilten Delinquenten im selben Zeitraum
       jedoch nur verdoppelt. Aus dem Recht, das sich in den Köpfen der Frauen
       festgesetzt hat, leitet sich noch keine Garantie für einen Schuldspruch ab.
       Doch es verhilft den Frauen zu einem selbstbewussteren Auftreten.
       
       Es ist eher ein Zeichen der Schwäche des deutschen Feminismus, die Stärkung
       der Opfer von Sexualdelikten von einem einzelnen Fall abhängig machen zu
       wollen. Eine Vergewaltigung muss behandelt werden wie jede andere Straftat.
       
       Der Freispruch für Kachelmann scheint zum jetzigen Zeitpunkt das einzig
       legitimierbare Urteil. Ein Schuldspruch wäre in Anbetracht der Beweislage
       sogar von Nachteil für Vergewaltigungsopfer gewesen: Sie hätten mit dem
       Vorwurf zu kämpfen, Frauen bekämen in solchen Fällen immer recht.
       
       Trotz allem heißt es nun seitens Frauenrechtsorganisationen: Die ohnehin
       rückläufige Zahl von Frauen, die eine Vergewaltigung vor Gericht bringen,
       werde noch weiter sinken. Sollte man also die Prinzipien unseres
       Rechtsstaats infrage stellen, um dies zu vermeiden?
       
       Nein, um dies zu vermeiden, sollte man Frauen in ihrem Selbstbewusstsein
       stärken – auch in ihrem Selbstbewusstsein als Opfer. Opfer sind Opfer und
       keine Träger von Schuld oder Scham. Diese Verknüpfung aufzulösen würde mehr
       bewirken, als an einem bis dahin eher als B-Promi bekannten Moderator ein
       Exempel zu statuieren.
       
       3 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jagoda Marinic
       
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