# taz.de -- Slutwalks gegen sexuelle Gewalt: "Klar will ich's – aber nicht von dir"
       
       > Der Marsch der Schlampen: Weltweit demonstrieren Frauen mit provokant
       > knapper Bekleidung gegen sexuelle Übergriffe, demnächst auch in
       > Deutschland.
       
 (IMG) Bild: Gib mir ein S! Gib mir ein L! Gib mir ein U! Gib mir ein T!
       
       Sie werden sich aufdonnern, sich grell schminken. Sie werden kurze Röcke
       tragen, vielleicht Netzstrumpfhosen unter Hotpants, tiefe Ausschnitte und
       enge Tops.
       
       Ihre Aufmachung soll bewusst aufreizend wirken, und wenn alles so
       funktioniert wie bei ähnlichen Veranstaltungen in Australien, den USA und
       London, werden Tausende in Hamburg, Köln, Berlin und im Ruhrgebiet Schilder
       hochhalten, auf denen so etwas steht wie: "Ich entscheide, wann ich diesen
       Rock ausziehe". Oder: "Klar will ich's – aber nicht von dir".
       
       Diese Frauen werden am 13. August am "Slutwalk" teilnehmen, am "Marsch der
       Schlampen". Sie demonstrieren gegen Vergewaltigungen und sexuelle
       Übergriffe, vor allem aber gegen die Behauptung, Frauen seien selbst
       schuld, wenn sie einen Mini trügen oder einen tiefen Ausschnitt zeigten.
       
       Anlass war eine Äußerung eines kanadischen Polizisten im April, der
       Jurastudentinnen in Toronto riet, sie sollten sich nicht wie "Schlampen"
       kleiden, wollten sie nicht vergewaltigt werden. Eine beschämende Aussage,
       die man nach rund 40 Jahren, nachdem amerikanische Feministinnen anfingen,
       gegen Vergewaltigungsmythen zu protestieren, noch immer hört.
       
       ## Ausgangspunkt Toronto
       
       So gehört denn auch die überzogene Betonung des Körperlichen bei dem
       Protest, gepaart mit dem wortgewaltigen "Nein" in verschiedenen
       Plakatierungen, zum Kern des "Slutwalks", der zum ersten Mal am 3. April in
       Toronto stattfand.
       
       Diana Drechsel, 29, organisiert mit etwa 20 anderen Menschen den Slutwalk
       in Berlin und kümmert sich um die bundesweite Koordinierung. Zunächst war
       ein Termin Ende Juni angedacht, aber nach einigem Für und Wider verschoben
       sie die Demonstration. "Wir wissen, dass wir damit ein Risiko eingehen,"
       erklärt die Gender- und Geschichtsstudentin, "aber wir wollen den Protest
       auf eine möglichst breite Basis stellen, und das braucht Zeit."
       
       Der erste Schritt: dass möglichst viele Proteste in Deutschland am selben
       Tag stattfinden. In London marschierten am 11. Juni etwa 5.000 Frauen –
       aber auch Männer – in knapper Kleidung, in Bikinis und hochhackigen Schuhen
       den Piccadilly herunter, am Green Park vorbei bis zum Trafalgar Square.
       
       Möglich, dass auch in Berlin genug Menschen zusammengekommen wären, um kurz
       Aufmerksamkeit zu generieren. Doch die erste Wut und Euphorie,
       diagnostiziert Drechsel, sei nun vorüber, und es folge die Zeit, die ganze
       Sache so zu organisieren, dass aus dem Slutwalk eine langlebige Protestform
       wird, bei der alle mitmachen können, die sich angesprochen fühlen.
       
       "Vielleicht liegt hier auch der Erfolg der Slutwalks", antwortete sie auf
       die Frage, weshalb diese Märsche so viel Zulauf erleben. "Auf die eine oder
       andere Art hat doch jede Frau schon einmal Angst gehabt, Opfer zu werden.
       Und die Argumentation, dass du dann als Frau selber schuld bist, ist
       einfach noch immer allgegenwärtig."
       
       Auch Veit Schuhmann vom Opferverband Weißer Ring kritisiert die Empfehlung
       des kanadischen Polizisten. Sich so zu äußern, zeige fehlende Sensibilität.
       Auf der Website der Organisation gibt es Handlungsempfehlungen für Frauen.
       So sollen sie, um sich vor Übergriffen zu schützen, aufrecht gehen, Ruhe
       ausstrahlen, zur Not sich aktiv Hilfe holen oder auch mit den Händen
       gezielt in das Gesicht des Angreifers schlagen.
       
       ## Ein Schleier schützt nicht
       
       Der Weiße Ring schreibt aber bei den Präventionsmaßnahmen nicht vor, wie
       die Frau sich kleiden solle. "Es ist egal, ob der Rock einer Frau kurz ist
       oder lang, schuld ist immer der Täter", sagt Schuhmann. Auch bedeckte oder
       gar voll verschleierte Frauen werden vergewaltigt.
       
       Tatsächlich kommen in Ländern wie Pakistan oder Indien Vergewaltigungen
       viel häufiger vor als in Deutschland. Oft werden Frauen im öffentlichen
       Raum betatscht, was mit dem Begriff "eve teasing" verniedlicht wird. Aber
       auch dort formieren sich Slutwalks. Demnächst möchten Inderinnen in Delhi
       protestieren, danach in Bombay.
       
       Meistens funktioniert die Organisation der Märsche online. Frauen in einer
       Stadt haben davon gehört und möchten den Slutwalk in ihrer Stadt gründen.
       Alles, was es dazu braucht, ist eine Facebook-Gruppe. Es gibt Regeln, die
       das "Original" in Kanada zu befolgen bittet, daran ist allerdings niemand
       gebunden. So soll es beispielsweise nicht nur um Vergewaltigung gehen,
       sondern generell um sexuelle Übergriffe. Es soll eine friedliche
       Veranstaltung bleiben, und es soll bedacht werden, dass alle Geschlechter
       mitmachen dürfen.
       
       Inzwischen hat die Bewegung durch die Onlinevernetzung so viel Fahrt
       aufgenommen, dass sie ein Eigenleben entwickelt hat. Der Slutwalk
       verzichtet jedoch freiwillig auf einen Markencharakter und stellt sich in
       den Dienst der Sache. Und das ist noch immer dringend nötig.
       
       "Sexuelle Übergriffe passieren freizügig gekleideten Frauen nicht häufiger
       als anderen", erklärt die Diplomsoziologin Carola Klein, Beraterin bei
       Lara, einem Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell
       belästigte Frauen in Berlin, alles andere sei ein Mythos. Behauptungen wie
       die des Polizisten dämonisieren die Opfer. Auch wenn eine Frau nackt
       herumliefe, sei ihre Entscheidung bezüglich der Kleidung kein Grund für
       eine Attacke, sondern Geschmackssache.
       
       "Zwei Drittel der Übergriffe passieren im Nahbereich", erklärt sie. Dabei
       spielt nicht die Aufmachung des Opfers eine Rolle, sondern es seien
       Machtstrukturen, denen die Frau unterworfen werden soll. Einem "Slutwalk"
       steht Klein positiv gegenüber und findet die Idee dahinter auch in ihrer
       eigenen Arbeit wieder.
       
       ## Sexismus ist zeitlos
       
       Beim Missy Magazin in Berlin freut man sich auf den Marsch und sein
       Erscheinen in Berlin, spiegelt der doch auch das Anliegen der
       Blattmacherinnen wider. Die Redakteurin Stefanie Lohaus: "Ich finde es
       toll, dass es eine feministische Straßenaktion gibt, die so erfolgreich
       ist."
       
       Susanne Dietzel, Direktorin des Women's Center der Universität von Ohio,
       kennt sich mit feministischen Protestkulturen aus. "Das ist eine tolle
       Antwort auf die Ursprungssituation", sagt sie. "Sie zeigt erstens, dass
       viele Frauen wirklich die Nase voll haben und wir zweitens noch immer nicht
       da sind, wo wir längst sein wollten." Vielleicht ergebe sich aus den
       Slutwalks eine ganz neue Welle des Frauenprotests. Entscheidend für den
       Erfolg sei, dass die Veranstaltungen so offen wie möglich seien.
       
       Den gleichen Gedanken äußert auch die Genderstudentin Drechsel. Sie hat
       schon mehrere Demonstrationen mitorganisiert und weiß, worauf es jetzt
       ankommt: Es sollen alle mitmachen dürfen, selbst Männer. Besonderes
       Augenmerk richten die Veranstalterinnen nicht nur auf Kleidung, sondern
       auch auf Slogans und Plakate.
       
       Bleibt der Slutwalk nun eine kurze Phase, oder entwickelt er sich wirklich
       zu einer langlebigen Massenbewegung? Mitte August ist es in Deutschland
       jedenfalls so weit, bis dahin werden sich Drechsel und ihre
       Mitstreiterinnen jede Woche zur Vorbereitung treffen und zum Beispiel
       klären, wo die Route verlaufen wird oder wie man das Interesse der Medien
       aufrechterhält.
       
       Angst, dass ihr die Puste ausgehen könnte, hat sie nicht: "Der Sexismus
       wird bis dahin nicht ausgestorben sein", sagt sie mit einem Lachen in der
       Stimme. Der Polizist in Toronto hat sein Urteil inzwischen revidiert.
       Angeblich. Bis diese Einstellung ganz verschwunden ist, wird noch ein
       weiter Weg zurückgelegt werden müssen.
       
       28 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Natalie Tenberg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ortstermin auf dem Schlampenmarsch: Die Macht über Frauen brechen
       
       In mehreren Großstädten demonstrierten am Samstag Tausende auf
       "Schlampenmärschen" für selbstbestimmte Kleidungswahl. Das ist nicht immer
       ganz leicht.
       
 (DIR) Demo gegen sexuelle Übergriffe: Schlamperei bei den Schlampen
       
       Mit Slutwalks soll der Begriff Schlampe zu einem Protestschlagwort
       umgewandelt werden. Doch wer alltäglich als solche beschimpft wird, tut
       sich schwer mit der hippen Neudefinition.
       
 (DIR) Die Großmütter der Slutwalks: Slits und Sluts
       
       Am Samstag ist der Tag des Slutwalks. Den Unsinn, Frauen provozierten mit
       ihrem Outfit sexuelle Gewalt, konterten schon die Riot Grrrls lustvoll
       obszön.
       
 (DIR) Kampf gegen Sexismus: "Schlampen-Marsch" in Neu-Delhi
       
       Was in Toronto oder Boston für Aufmerksamkeit gesorgt hat, geht auch in
       Indiens Hauptstadt. Hunderte AktivistInnen beteiligten sich an einem
       "Schlampen-Marsch" gegen sexuelle Belästigung.
       
 (DIR) Kolumne Die Farbe Lila: Frauen gegen Frauen
       
       Feministin zu sein ist anstrengend, nervig, frustrierend. Die schlimmsten
       Kritikerinnen sind Feministinnen selber.
       
 (DIR) Kommentar Schutz von Vergewaltigten: Befreiung von der Scham
       
       Viele behaupten, das Kachelmann-Urteil entmutige Opfer von Vergewaltigung.
       Das ist falsch: Es geht vielmehr darum, den Opfern aus der Scham-Falle zu
       helfen.