# taz.de -- Ex-UN-Klimarat-Chef de Boer: "Das Kioto-Protokoll ist tot"
       
       > Der Geist des Kioto-Protokolls sei verschwunden, sagt der ehemalige
       > UN-Klima-Generalsekretär Yvo de Boer. Für die Zukunft schlägt er eine
       > neue Institution vor: eine Art Klima-WTO.
       
 (IMG) Bild: Yvo de Boer beim Klimagipfel in Kopenhagen. Da gab's in der Tat wenig zu lachen.
       
       taz: Herr de Boer, die Klimakonferenz ringt wieder mal um einen Kompromiss.
       Sie haben diese Verhandlungen lange geleitet. Wie sehen Sie die Lage? 
       
       Yvo de Boer: Der Geist des Kioto-Protokolls ist verschwunden. Der Körper
       wird zwar noch künstlich am Leben erhalten und vielleicht werden einige der
       Organe verpflanzt. Aber wir müssen sehen, dass das Kioto-Protokoll tot ist.
       
       Warum? 
       
       Weil es keinen politischen Willen gibt, es mit Leben zu füllen. Ein
       Klimaabkommen, das die USA, Russland, Japan und Kanada nicht bindet, ergibt
       keinen Sinn. Europa hält sich an die Regeln, aber es ist allein. Heute
       stehen die verbleibenden Kioto-Länder für keine 20 Prozent der globalen
       Emissionen. Als wir Kioto ratifziert haben, waren das 55 Prozent. Wir
       müssen den Leuten endlich sagen, dass das nicht so funktioniert, wie es
       geplant war.
       
       Was heißt das für die nächste Klimakonferenz in Durban? 
       
       Ich habe hier mit einigen erfahrenen Verhandlern geredet. Sie sagen, dass
       wir in Durban einen Fahrplan brauchen, der uns ins nächste Jahr bringt. Das
       bezweifle ich. Wir hatten in Rio 1992 einen Fahrplan, in Kioto, in
       Kopenhagen, in Cancun. Wie viele Fahrpläne brauchen wir denn noch?
       
       Was ist Ihre Alternative? 
       
       Die Märkte sollten eine viel wichtigere Rolle spielen. Wir haben einen
       wachsenden internationalen Markt für Kohlenstoff und dazu Länder und
       Unternehmen, die sehr interessiert daran sind, in die grüne Wirtschaft
       einzusteigen und ihre Wirtschaft vom Kohlenstoff wegzubringen. Wir brauchen
       ein System, das viel mehr auf Anreize setzt.
       
       Also wollen Sie Emissionsgrenzen abschaffen? 
       
       Nein, es muss natürlich Emissionsgrenzen geben. Aber man muss den
       politischen Willen organisieren, um sie zu erreichen. Man sollte die
       Ergebnisse des Cancun-Gipfels nehmen - Emissionsreduzierung, Prüfmethoden,
       Anpassungsmaßnahmen, der Grüne Fonds für Klimaschutz - und den politischen
       Willen suchen, um sie umzusetzen. Ich würde so etwas wie die
       Welthandelsorganisation WTO bevorzugen. Ein solches Gremium könnte den
       Ländern Vorteile beim Zugang zu grüner Technologie und beim Handel
       einräumen. Die Länder sollten ihm nicht aus Zwang, sondern eigenem Antrieb
       beitreten.
       
       Aber Schwellenländer wie China hängen am Kioto-Protokoll, weil es das
       einzige Abkommen ist, das die Industrieländer bindet. Wäre das Ende von
       Kioto nicht auch das Ende der Klimaverhandlungen? 
       
       In gewisser Weise ja. Aber China etwa hat ein riesiges Interesse an
       internationalen Standards für seine Produkte. Sie mögen die Standards der
       UN-Organisation für Arbeit, weil sie damit beweisen können, dass ihre
       Produkte okay sind. Das Gleiche würde für Klimastandards gelten.
       
       Und der andere große Blockierer, die USA? 
       
       Die USA könnten einer Klima-WTO beitreten, um ihren Kontrahenten China und
       Indien auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Die Sicht der Wirtschaft ist für
       die meisten Amerikaner viel sinnvoller als ein juristisch bindendes
       Abkommen, das nicht alle Verschmutzer einschließt.
       
       16 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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