# taz.de -- Menschenrechtsverletzungen in Indien: Windpark im Regenwald
       
       > Im Wildschutzgebiet Bhimashankar entspringen fast alle großen Flüsse
       > Südindiens, die Artenvielfalt ist riesig. Jetzt wird Regenwald zerstört –
       > für Windenergie.
       
 (IMG) Bild: Blick von Karpud auf den Bergrücken.
       
       KUDE taz | Es ist kühl unter dem dichten Blätterdach, große Steine in einem
       trockenen Flussbett laden zur Rast ein. Die dichte Krone der Bäume bieten
       Schutz vor der sengenden Sonne.
       
       Die abgeholzte, kahle Berglandschaft, die sich meilenweit um diesen Wald
       ausbreitet, heizt sich dagegen wie ein Backofen immer mehr auf, die meisten
       Pflanzen verdorren. Dieser von armdicken Lianen durchzogene, immergrüne
       Wald aber ist eine Insel voll Leben: Grillen zirpen, Vögel rufen, lautes
       Rascheln und Schreie verraten eine Horde Affen im Kronendach.
       
       Das 130 Quadratkilometer große Wildschutzgebiet Bhimashankar ist rund 100
       Kilometer nördlich von Mumbai fast 1.000 Meter hoch in den
       Western-Ghats-Bergen gelegen, ein Refugium für die seltenen
       Rieseneichhörnchen, Pfauen, Affen und Leoparden. Von einer Anhöhe schweift
       der Blick kilometerweit über eine braune, mit grünen Waldstücken gescheckte
       Berglandschaft. In der Ferne blitzen Dutzende Windkrafträder, die sich über
       die bewaldeten Bergkuppen erheben, in der Sonne.
       
       ## "Ein ausgewachsener Skandal"
       
       "Was von weitem so schön aussieht, ist bei näherem Hinsehen ein
       ausgewachsener Skandal", sagt Atul Kale, Grundbesitzer und engagierter
       Journalist. "Die lokale Bevölkerung war von Anfang an gegen das
       Windkraftwerk. Sie haben verstanden, dass das Projekt ihre Lebensgrundlagen
       bedroht, ohne dass sie irgendeinen Vorteil aus dem Projekt ziehen könnten.
       Die sind ganz schön wütend. Während die Forstbehörde strikt darüber wacht,
       dass die Dorfbewohner keine Bäume fällen, zerstört die Windkraftfirma den
       Wald in großem Stil!"
       
       Das Dorf Kude, nur wenige Kilometer außerhalb der Grenzen des
       Wildschutzgebietes, wird von 15 schlanken Windkraftanlagen gekrönt, die
       entlang der Kuppe eines nahen Berges stehen. Hier lebt die Hausfrau Suman
       Kanaskar. Stolz erzählt sie, dass wegen der Nähe zum Schutzgebiet häufig
       Pfauen und Rehe den Ort besuchten, manchmal sogar ein Leopard. "Aber
       seitdem hier dieser Windpark gebaut wird, sehen wir kaum noch wilde Tiere.
       Und die Vögel sind verstummt."
       
       ## Mit Dynamit und Bulldozern
       
       Kude ist einer von drei Standorten des Andhra-Lake-Windparks bei
       Bhimashankar. Die Firma Enercon India stellt hier 142 Windkraftanlagen auf.
       18 Bergdörfer sind von dem Projekt betroffen. Im März 2010 begannen die
       Bauarbeiten: Mit Dynamit und Bulldozern werden Zufahrtsstraßen in die
       Berghänge getrieben und Fundamente für die Windräder ausgehoben. Damit die
       riesigen Rotorblätter und Generatoren an entlegene Orte gelangen können,
       mussten die Straßen für Schwertransporter verbreitert werden.
       
       Die Bauarbeiten machen der Bevölkerung das Leben schwer. "Der
       Straßenverkehr ist sprunghaft gewachsen", klagt Bäuerin Suman Kanaskar.
       "Tieflader, Betonmischer und Lastwagen brausen durch unser Dorf. Der Staub,
       den sie aufwirbeln, setzt sich auf den Feldern ab, behindert die
       Befruchtung und verdirbt die Ernte. Normalerweise kann ich fünf Säcke Hirse
       ernten, aber in diesem Jahr habe ich nicht einmal einen Sack bekommen!"
       
       ## Protest erstickt
       
       Die Bauern von Kude protestierten gegen die Zerstörung ihrer Umwelt, aber
       der Bauherr habe den Protest erstickt, meint Atul Kale. Lokale Politiker
       betätigten sich als Handlanger der Firma Enercon India und würden
       Opponenten bestechen und bedrohen. Gegen einige der Aktivisten habe man
       Klagen vor Gericht eingereicht, um sie zum Schweigen zu zwingen. "Der
       Abgeordnete, der die Region im Landesparlament vertritt, trat zunächst
       vehement gegen die Windfarm auf, heute ist er ein glühender Befürworter.
       Regierung und Opposition, alle Parteien unterstützen hier das Windprojekt.
       Vielleicht werden sie von der Firma bezahlt?"
       
       Über fast 2.000 Kilometer erstrecken sich die Western-Ghats-Berge entlang
       der ganzen indischen Westküste. Hier entspringen fast alle großen Flüsse
       Südindiens. Wissenschaftler stufen den Gebirgszug als einen der
       artenreichsten Lebensräume Indiens ein. Die UNO hat ihn als "biodiversity
       hotspot" klassifiziert, als einen von 18 Regionen der Welt, die nicht nur
       besonders artenreich sind, sondern auch unter hohem Druck durch menschliche
       Aktivitäten stehen. "Die Western Ghats sind einer der weltweit wichtigsten
       Lebensräume für wilde Verwandte unserer Nutzpflanzen", meint der
       renommierte Ökologe Madhav Gadgil. "Sie bilden ein genetisches Reservoir
       für Mango, Brotfrucht, Pfeffer, Kardamom und viele andere Gewürze."
       
       Doch dieser einzigartige Lebensraum ist akut bedroht. Zwischen Mumbai und
       Goa sollen 16 große Kohlekraftwerke entstehen, neue Eisenbergwerke, mehrere
       Häfen sowie bei Jaitapur der mit 9.900 Megawatt größte Atomkraftwerkkomplex
       der Welt. "Kein Zweifel, die große Anzahl großer Industrieprojekte wird
       einen schädlichen Effekt auf die Ökologie der Region haben", meint Madhav
       Gadgil, der im Auftrag des Umweltministeriums die ökologischen Folgen
       untersucht. Dorfbewohner protestieren gegen die Großprojekte, weil sie sich
       um ihre Fischgründe, ihre Ackerböden, das Grundwasser, also um die
       Grundlagen ihrer Existenz sorgen.
       
       ## Lebenswichtige Ressource
       
       Etwa zehn Kilometer von Kude entfernt liegt die 500-Seelen-Gemeinde Karpud
       auf einem windigen Hochplateau. Die Bevölkerung besteht fast ausschließlich
       aus Nachfahren indischer Ureinwohner, hier Adivasi genannt. Für sie stellt
       der nahe Wald eine lebenswichtige Resource dar, sagt Ganpat Madage, ein
       Dorfältester: "Unsere Frauen gehen täglich zum Feuerholz-Sammeln in den
       Wald. Dort finden wir auch Heilkräuter, Wildfrüchte und Honig für den
       Eigenbedarf und zum Verkauf."
       
       Ganpat Magade läuft zehn Minuten lang über abgeerntete Reisfelder zur
       Grenze des Gemeindelandes, dann steht er vor einer grünen Wand, der Grenze
       zum Wildschutzgebiet Bhimashankar. Saftiges Grün erstreckt sich von hier
       einen benachbarten Hang hinauf. Doch dort oben hüllen Staubwolken die Bäume
       ein. Auf einer neu angelegten, ungepflasterten Straße kriechen Betonmischer
       und schwere Lastwagen bergauf. An vielen Stellen liegt die Vegetation unter
       Geröllhalden begraben, der Wald lässt sich nur noch erahnen. "Die Firma
       baut Windkraftanlagen auf diesem Bergrücken", erklärt Ganpat Magade. "Sie
       hat bereits sehr, sehr viele Bäume gefällt. Seitdem können wir diesen Wald
       nicht mehr betreten. Die Wachleute der Firma verweigern uns den Zutritt."
       
       Die Frauen von Karpud müssten statt früher einen Kilometer nun fünf
       Kilometer zurücklegen, um im Wald Feuerholz zu sammeln. Neben dem Verlust
       des Waldes sorgen sich die Bewohner vor allem um die riesigen Geröllhalden,
       die nun den Hang bedecken, sagt Ganpat Madage: "Am Fuße dieses Hanges
       liegen unsere Reisfelder. Bald wird der Monsun einsetzen, und hier in den
       Bergen regnet es sehr heftig. Wir befürchten, dass das lose Gestein dann
       bergab gespült wird und unsere Felder begräbt."
       
       Die meisten der vom Windpark betroffenen Dorfbewohner sind Analphabeten,
       kennen kaum ihre Rechte, können nicht auf Augenhöhe mit der einflussreichen
       Windkraftfirma verhandeln. Die Firma macht sich diesen Umstand zunutze, um
       den Widerstand zu brechen, meint der Aktivist Atul Kale: "Wer Einwände und
       Proteste gegen das Windkraftwerk vorbringt, wird zum Schweigen gebracht.
       Lokale Politiker spielen dabei eine tragende Rolle. Wahrscheinlich sind sie
       in irgendeiner Form an dem Projekt beteiligt."
       
       ## Wirkungsloser Baustopp
       
       Atul Kale organisiert den Widerstand gegen das Kraftwerk, gibt den
       Dorfbewohnern eine Stimme. Im vergangenen Jahr reichte er Klage beim Hohen
       Gericht in Mumbai ein. Die Richter ordneten im Dezember 2010 einen Baustopp
       an, doch die Bauarbeiten gehen weiter, die Firma Enercon India schafft
       Tatsachen.
       
       Wenn die indische Wirtschaft weiter wachsen soll, benötigt sie vor allem
       viel Energie. Heute wird das Gros der Stromproduktion aus Kohle gewonnen.
       Aber auch bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen mischt Indien ganz
       vorne mit. Bei der Nutzung von Windenergie beispielsweise liegt Indien
       weltweit auf Rang fünf. Aber ist es sinnvoll, schützenswerten Regenwald
       abzuholzen, um umweltschonende Windkraftanlagen aufzustellen? Atul Kale:
       "Ich bin natürlich auch für umweltschonende Energiegewinnung wie
       beispielsweise durch Windkraftanlagen. Aber warum muss man sie ausgerechnet
       hier, im dichten Regenwald aufstellen? Warum baut man sie nicht dort, wo
       das Land sowieso brach liegt?"
       
       22 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rainer Hörig
       
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