# taz.de -- Renate Künast zur Berlin-Wahl: "Verträge sollten im Netz lesbar sein"
       
       > Die Grünen-Spitzenkandidatin in Berlin, Renate Künast, will Bürger mehr
       > mitreden lassen. Um zentrale Streitpunkte wie die A 100 aber dürfe man
       > sich in einem Koalitionsvertrag nicht drücken.
       
 (IMG) Bild: "Die Wahl wird nicht um die Frage gehen, wer gelassener im Stuhl sitzt": Renate Künast.
       
       taz: Frau Künast, kennen Sie eigentlich Danni Lowinski? Die hat nämlich
       etwas mit Ihnen gemeinsam. 
       
       Renate Künast: Nee, kenne ich nicht. Das ist wieder eine der berühmten
       Fragen, bei denen man keine Chance hat. 
       
       Jedenfalls, wenn man wenig fernsieht: Das ist eine fiktive Anwältin, also
       Kollegin von Ihnen, in einer Sat.1-Serie, die mit einem Klapptisch in einem
       Einkaufszentrum sitzt und Probleme löst. Auch Sie haben jüngst gesagt: "Ich
       gehe mit Tisch und Stuhl durch die Stadt." 
       
       Also die Idee, mich mit Tisch und Stuhl ins Einkaufszentrum zu setzen, ist
       eine gute. Wir brauchen eine neue politische Kultur, denn es gibt einen
       Überdruss in Berlin, der sich zum Beispiel in den aktuellen Volksbegehren
       ausdrückt. "Mit uns redet keiner", höre ich immer wieder. "Ich komme mit
       Tisch und Stuhl" soll heißen, ich will mich mit den Leuten zusammensetzen
       und Lösungen finden. Wahrscheinlich kann man nicht wie bei einer Anwältin
       das Problem sofort lösen, einen Brief an einen Vermieter schreiben oder
       Ähnliches, aber ich kann da Dinge aufnehmen. Deshalb haben wir ja auch im
       Grünen-Wahlprogramm stehen: "regelmäßige Bürgersprechstunde der Regierenden
       Bürgermeisterin".
       
       Wie sieht Ihr Tisch aus? Ist das der Campingtisch wie bei Danni Lowinski?
       Oder ist das der Kommune-1-Tisch, an den möglichst viele Leute passen? 
       
       Weder noch, denn jeder dieser Tische hat eine ganz andere Ausrichtung und
       seine Grenzen, nicht nur von der Größe her. Ich stelle mir den Tisch so
       vor, dass er entweder im Roten Rathaus bei der Bürgersprechstunde steht
       oder die Bürgersprechstunde bei den Leuten stattfindet, je nachdem, wer
       sich meldet.
       
       Es ist ja jetzt nicht so, dass Wowereit nur aus dem Fenster geguckt hätte.
       Wo ist der Unterschied im Politikstil? 
       
       Mit Verlaub - wenn es so ist, wie Sie sagen: Wie kommt es dann, dass sich
       in dieser Stadt alle beklagen, dass man nicht mit ihnen redet und es keine
       Anlaufstellen gibt. Egal, ob es Einzelpersonen oder mittelständische
       Unternehmen sind.
       
       Vielleicht weil die Stadt zu groß ist für einen Politikstil, wie Sie ihn
       fordern? Weil ein derart intensives Am-Tisch-Sitzen schon einen
       Kleinstadt-Bürgermeister überfordern kann? 
       
       Der taz hätte ich diese Sichtweise nun gar nicht zugetraut.
       
       Immer diese Denkverbote. 
       
       Im Ernst: Es geht doch gar nicht darum, mit 3,4 Millionen Einwohnern
       einzeln zu reden, sondern darum, gemeinsam zu planen. Es geht um klare
       Aussagen: Über welches Problem denken wir nach, dazu brauchen wir jetzt
       Meinungen und Fakten. Und das soll nicht im Verborgenen, sondern offen
       passieren - und vor allem rechtzeitig. Nicht wie jetzt beim Volksbegehren
       Grundschule. Sich auf den letzten Drücker mit den Initiatoren
       zusammenzusetzen, war schon falsch. Wichtig ist, immer offen darzustellen:
       Was überlegt sich Berlin, wo soll die Reise hingehen?
       
       Dazu hat Rot-Rot ja genug sogenannte Masterpläne beschlossen - Industrie,
       Verkehr, Stadtentwicklung. Die zeigen doch alle eine Richtung auf. 
       
       Das nur aufzuschreiben und zu beschließen, ist mir aber zu wenig. Da muss
       auch etwas passieren. Und dieser Masterplan Industrie ist eher
       oppositionelles Gehabe von Klaus Wowereit. Der hat vor ein paar Jahren
       gesagt: Wir brauchen keine Industrie. Und jetzt entdeckt er sie auf Druck
       der Wirtschaft plötzlich doch wieder.
       
       Kommen wir mal wieder auf Ihren Tisch zurück. In den letzten Monaten saß
       die Fluglärmkommission zusammen. Ist das ein Beispiel für ihren
       Politikstil? 
       
       Ja, na ja. Der Verfahrensablauf war in Ordnung, aber die Transparenz kam
       viel zu spät. Man hätte den gesamten Flughafenbau beim BBI zu einem
       Modellprojekt mit Tranparency International machen sollen.
       
       Wie weit geht diese Transparenz? Stünden unter einer Regierungschefin
       Künast alle Verträge im Internet? 
       
       Ich finde das im Prinzip richtig. Bei den engeren Betriebsgeheimnissen wird
       es nicht immer möglich sein, aber prinzipiell sollten die Daten tatsächlich
       im Internet nachlesbar sein. Ich bin immer gut damit gefahren zu sagen, was
       warum geht und was nicht. Im Übrigen sichern wir so auch die Akzeptanz für
       Großprojekte.
       
       Warum sollen die Leute den Grünen einen solch offenen Regierungsstil
       zutrauen, wenn es in Pankow den grünen Stadtrat Kirchner gibt, der
       Bürgerengagement beim Umbau der Kastanienallee abbügelt? 
       
       Ich nehme das anders wahr. Es ist ja beliebt, diese Straße als Beispiel
       dafür zu nehmen, was alles schlecht läuft bei Bürgerbeteiligung. Aber wenn
       ich mich mit Nilson Kirchner unterhalte, glaube ich, man hätte einfach viel
       früher viel mehr Protokolle schreiben müssen, um festzuhalten, wer wann
       eigentlich wo dabei war. Dann würde auch der SPD-Bürgermeister von Pankow
       anders reden. Das ist vielleicht auch ein treffendes Beispiel dafür, dass
       "zusammen hinsetzen" nicht automatisch heißt, dass für jeden, der dabei
       sitzt, auch 100 Prozent herauskommen. Ich weiß, dass da eine Menge
       Gespräche geführt worden sind.
       
       Die haben nur wenig verändert. 
       
       Stellen Sie sich mal vor, jemand möchte etwas erreichen, was Sie selbst für
       falsch halten. Dann könnte ich Ihnen nichts vorwerfen, wenn Sie am Ende
       eines ehrlich und aufrichtig geführten Gesprächs sagen: Tut mir leid, ich
       bleibe bei meiner Meinung. Bessere Kommunikation heißt Strukturen zu
       verändern - das ist aber nicht der Automatismus, sich durchzusetzen. Von
       den Radfahrern über die Tram, Menschen mit Behinderungen bis zum Gewerbe
       gibt es halt viele Interessen.
       
       Diese Beteiligungsprozesse haben etwas Langatmiges an sich. Sie hingegen
       gelten als entscheidungsfreudig und als eine, die den Hang hat, irgendwann
       zu Potte zu kommen. 
       
       Was heißt hier "den Hang haben"? Ich will ein Ziel wirklich erreichen. Das
       gehört zu den Aufgaben dazu, das gehört zum Amt.
       
       Ja, eben. 
       
       Diskussionen führen immer dann zu Verzögerungen, wenn sie zu spät anfangen.
       Es hat sich auch etwas verändert zwischen Regierung und Bevölkerung: Wir
       sehen anhand der vielen Proteste, dass man neue Verfahren finden muss - das
       muss einfach sein. Sonst haben die Leute am Ende zum Bremsen nur noch die
       Möglichkeit, sich aus der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere
       eines herauszusuchen, um zu dessen Wohl einen Bau zu stoppen …
       
       … wie etwa in Dresden bei der Planung einer hoch umstrittenen
       Waldschlösschenbrücke die "Kleine Hufeisennase". 
       
       Eben. Es gibt ja schon längst rechtlich verankerte Beteiligungsverfahren.
       Damit muss man nur rechtzeitig anfangen. In anderen Bereichen geht es um
       politische Diskussionsprozesse, die man offen führen muss, bei denen man
       eine Debatte in der Stadt entfachen muss. Zum Beispiel für die weitere
       Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft zwecks neuer Jobs.
       
       Wenn Sie das alles verwirklichen wollen, müssen Sie einen Partner an den
       Tisch holen … 
       
       … ins Boot holen, ich will ja das Ruder.
       
       Aber wie soll das gehen, wenn die möglichen Partner SPD oder CDU heißen,
       bislang beide nicht die großen Garanten für Bürgerbeteiligung? 
       
       Deshalb will ich ja ans Steuer. Ich weiß, dass man an einem Kabinettstisch
       eine solche Arbeitsweise verabreden kann. Die Agenda eines Senates macht
       der Chef oder die Chefin. Backen kann ich mir keinen Koalitionspartner, die
       größte Schnittmenge sehe ich mit der SPD, auch wenn es sehr, sehr gute
       Gründe gab, die Grünen zu gründen, und es täglich neue Gründe dafür gibt,
       eigenständig politische Ziele zu verfolgen.
       
       Wie nehmen Sie die Versuche der CDU Richtung neuer Stil wahr?
       Spitzenkandidat Henkel wollte eine Volksbefragung über die A 100, das
       Wahlprogramm ist unter Bürgerbeteiligung entstanden. Ist das Show oder
       ernst gemeint? 
       
       Ich nehme zur Kenntnis, dass für Teile der SPD die A 100 offensichtlich ein
       ideologisches Projekt ist, für Teile der CDU aber nicht. Ich bin auch
       überzeugt, dass man da nach Alternativen zur A 100 suchen muss. Man muss
       die Kreativität der Verkehrsplaner nutzen, um zu Lösungen zu kommen - denn
       ein Stück Entlastung braucht die Region. Man wird die
       Koalitionsverhandlungen hart führen müssen.
       
       Was halten Sie davon, Koalitionen als Projektgemeinschaften zu sehen, die
       strittige Punkte outsourcen und einem Volksentscheid überlassen? 
       
       Wir brauchen Bürgernähe und Transparenz. Ein Senat muss auch führen wollen
       und Dinge, die er sich vorgenommen hat, offensiv vertreten. Ich finde es in
       Ordnung, wenn es mehr Bürgerentscheide gibt, aber ich halte es für ein
       Sich-Drücken, wenn man zentrale Punkte nicht im Koalitionsvertrag klärt.
       
       Sie sprechen von einem neuen Politikstil, Klaus Wowereit sprach vor zehn
       Jahren von "Mentalitätswechsel". Am Ende ist nicht viel passiert. 
       
       Das mag ja bei Wowereit so sein, so bin ich aber nicht.
       
       In Umfragen schneidet Wowereit dennoch viel besser ab. Frustriert Sie das
       nicht? 
       
       Klaus Wowereit ist sehr beliebt, aber daraus wird für Berlin noch kein
       Programm für bessere Bildung und neue Jobs. Die Wahl wird nicht um die
       Frage gehen, wer gelassener im Stuhl sitzt. Ich will Berlin bewegen.
       
       Aber Sie wollen bei den Wählern ankommen, und laut Umfrage klappt das
       nicht. 
       
       Ja, natürlich will ich bei den Wählern ankommen. Ich finde, die
       Verdoppelung unseres letzten Wahlergebnisses ist schon mal eine starke
       Ansage. Und ich bin an dieser Stelle ganz gelassen, der Wahlkampf hat noch
       gar nicht richtig angefangen …
       
       … wir haben das Gefühl, er läuft schon seit 2010. 
       
       Ich sage: Er hat noch gar nicht richtig angefangen. Ich möchte gerne gut
       vorbereitet, kompetent und systematisch an Dingen arbeiten und am Ende des
       Jahres sagen können: Das haben wir in Bewegung gesetzt - und dann gehe ich
       feiern, nicht vorher.
       
       Vielleicht will das lebendige, bunte Berlin keine Arbeitsbiene, sondern den
       Partymeister. 
       
       Das sagt jetzt die taz? Ich glaube das nicht. Diese Stadt als Ganzes ist
       nicht Partystadt. Wir haben viel Popkultur und Kreatives, aber das ist nur
       ein Teil. Natürlich gibt es viele schöne Clubs …
       
       … deretwegen ja Leute aus aller Welt hierherkommen. 
       
       Ja, und das sollen sie auch weiter tun und die Popkultur mehr Wertschätzung
       erfahren. Ich nehme aber die ganze Stadt. Touristen sollen sich hier wohl
       fühlen, aber ebenso sollen die Leute, die hier wohnen, Arbeitsplätze
       suchen, gute Schulen und bezahlbare Mieten haben wollen, das Gefühl haben,
       dass sich einer - besser: eine - um sie kümmert.
       
       24 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
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