# taz.de -- Die Zukunft des insolventen Eichborn Verlags: Das blanke Überleben
       
       > Er war der Sponti-Verlag. Jetzt sagt der Insolvenzverwalter: "Eichborn
       > muss möglicherweise unter das Dach eines starken Partners."
       
 (IMG) Bild: Das Tischfußballspiel steht nicht mehr im Eingangsbereich; der leicht anarchische Geist ist geblieben.
       
       FRANKFURT taz | Wer die Räume des Eichborn Verlags betritt, landet
       unweigerlich bei Gaby Bekink. Sie sitzt am Empfang, seit 21 Jahren. Hier
       gehen die Telefongespräche ein. Hier trifft man sich zwischendurch auf
       einen Kaffee und einen kleinen Schwatz. Gaby Bekink hat seit 1990 viele
       Leute kommen und gehen sehen; hat bessere und schlechtere Zeiten erlebt.
       Und sie sagt ganz selbstverständlich einen Satz, der an anderer Stelle
       möglicherweise als reines Lippenbekenntnis erscheinen könnte: "Wir alle
       lieben diesen Verlag." Wir alle, das sind die Mitarbeiter, die noch da
       sind. Das sind weit weniger als noch vor einigen Monaten, aber immerhin
       noch 38. Und höchstwahrscheinlich trifft der Satz auch noch auf den einen
       oder anderen zu, der nicht mehr täglich seinen Arbeitsplatz im Eichborn
       Verlag in der Frankfurter Kaiserstraße aufsucht. Vorbei an Dr. Müllers
       Sexshop im Erdgeschoss, vorbei am Gaykino im ersten Stock, nach oben in die
       Verlagsräume mit der etwas abgenutzten Auslegware und dem noch immer
       provisorischen Ikea-Sperrholzregal-Charme.
       
       Es ist nicht nur ein Produkt geschickter Marketingmaßnahmen, dass Eichborn
       als ein Verlag galt und gilt, in dem alles ein wenig anders war und ist als
       bei anderen. Das hat mit der Gründungsgeschichte zu tun und mit dem
       turbulenten Werdegang, den Eichborn in den 31 Jahren genommen hat. Vom
       Sponti-Verlag war die Rede; von einem Unternehmen, in dem alles ausprobiert
       werden kann. Wie selbstverständlich kam Mitarbeitern der Begriff von der
       "unentfremdeten Arbeit" über die Lippen. Legendär ist das Tischfußballspiel
       im Eingangsbereich, an dem die Eichbornler, wenn es spannend wurde, die
       Mittagspause auch gerne einmal in den Nachmittag hinein verlängert haben
       sollen, um dann bis spät in die Nacht hinein weiterzuarbeiten. Geschlossene
       Türen gab es im Verlag nicht; das "Du" war unter den Kollegen
       selbstverständlich, mit einer Ausnahme.
       
       ## Erfolgloser Sparkurs
       
       Das Tischfußballspiel steht nicht mehr im Eingangsbereich; der leicht
       anarchische Geist ist geblieben. Als zu Beginn des Jahres der Umzug von
       Eichborn nach Berlin verkündet wurde, herrschte in den Verlagsräumen eine
       Mischung aus Niedergeschlagenheit und Aggression. An den Wänden hingen
       Kritzeleien und Zettel mit Karikaturen, die sich gegen die eigene
       Abschaffung wehrten. Auf die Frage, ob man in diesem oder jenem Zimmer ein
       Foto machen dürfe, bekam man zur Antwort: "Ja ja, fotografieren Sie, wo Sie
       wollen. Und nehmen Sie alles mit, was Ihnen gefällt." Endzeitstimmung.
       Davon sei, sagt Gaby Bekink, nichts mehr zu spüren, seit der vorläufige
       Insolvenzantrag gestellt worden ist: "Alle hier haben die Hoffnung, dass es
       weitergeht. Jeder tut dazu, was er kann. Die Stimmung hier hat sich in den
       vergangenen Tagen gebessert." Das liegt unter anderem an Matthias Wolf, der
       im April zum Vorstand berufen wurde. "Er wird", sagt Gaby Bekink, "von
       allen hier sehr geschätzt. Er sieht nicht nur Zahlen. Er sieht auch die
       Menschen." Wolfs Vorgänger Stephan Gallenkamp mochte man im Verlag nicht
       sonderlich. Der war Geschäftsmann und hatte Eichborn auf einen knallharten
       Sparkurs gesetzt. Erfolglos.
       
       Paradoxerweise hängt der wirtschaftliche Niedergang von Eichborn eng mit
       seinem Selbstverständnis, das gleichzeitig auch Erfolgsrezept war,
       zusammen: alles ausprobieren, alles mitnehmen, vor nichts zurückschrecken,
       auch nicht vor fröhlichem Dilettantismus. Gegründet wurde Eichborn von Vito
       von Eichborn, zuvor Lektor im S. Fischer Verlag, einem erfindungsreichen
       Selfmade-Zampano, und von Matthias Kierzek, jenem Mann, bei dem das "Sie"
       bis zum Ende Bestand hatte. Vito von Eichborn schied nach Querelen und
       Intrigen Mitte der 90er Jahre aus; sein Name und Kierzek blieben. Da war
       der Eichborn Verlag, dessen Programm in seiner Bandbreite von Walter Moers'
       "Kleinem Arschloch" bis zu Enzensbergers "Anderer Bibliothek" für Furore
       gesorgt hatte, schon ins Schlingern geraten. Denn das Ausprobieren nach
       allen Richtungen hatte zu einem schwer überschaubaren Wildwuchs geführt.
       Der Verlag war gewachsen, auch personell; es gab Non-Books und
       Managementratgeber; man handelte mit Filmrechten und
       Harry-Potter-Fanartikeln. Schließlich, in einem Befreiungsschlag und
       getragen von der Euphorie der New Economy, brachte Kierzek den Verlag 2000
       an die Börse. Ein florierendes Unternehmen war Eichborn nie; die
       Gewinnjahre glichen die Verlustjahre aus.
       
       ## Autoren werden zu Gläubigern
       
       Nun, im Juli 2011, ist der Verlag nicht an einem End- aber an einem
       Nullpunkt. Das Zepter schwingt jetzt kein Verleger mehr, sondern der
       Insolvenzverwalter und sein Team. Der Insolvenzverwalter trägt den schönen
       literarischen Namen Lessing, und wenn man ihn am Telefon spricht, macht er
       nicht nur einen ruhigen, sondern noch dazu einen sympathischen Eindruck.
       Und noch wichtiger: Er glaubt an die Zukunft des Eichborn Verlages nicht
       aus purem Idealismus, sondern als Bilanz des ersten Überblicks, den er sich
       in den vergangenen Tagen verschafft hat. Das Insolvenzverfahren, so erklärt
       Holger Lessing, sei bislang nur vorläufig eröffnet worden. In der
       Zwischenzeit prüft er, ob überhaupt ausreichend Masse vorhanden ist, um das
       Insolvenzverfahren zu eröffnen. Dass das der Fall sei, so Lessing, sei
       bereits jetzt absehbar. Bis zur endgültigen Eröffnung des Verfahrens
       übernimmt die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Gehälter der
       Mitarbeiter. Die bis Mitte Juni aufgelaufenen Forderungen werden in eine
       Insolvenztabelle übertragen und dann nach einer Quotierung, die abhängig
       ist von der Größe des vorhandenen Vermögens, an die Gläubiger ausbezahlt.
       
       Was sich juristisch so sauber und klar liest, hat wiederum Konsequenzen im
       Außerjuristischen: Auch die Autoren der nun erscheinenden Herbstbücher
       werden zu Gläubigern des Verlages. Honorare, die vor dem vorläufigen
       Insolvenzantrag noch nicht bezahlt wurden, werden allenfalls zu einem
       bestimmten Anteil ausgegeben, und das auch erst irgendwann. Der Fall der
       Autorin Katja Kullmann, die in ihrem vor wenigen Tagen erschienenen Buch
       "Echtleben" von ihrer geheimen Existenz als Hartz-IV-Empfängerin berichtet
       und die nun erst einmal auf den Rest ihres Honorars warten muss, erscheint
       in diesem Zusammenhang wie eine bittere Zuspitzung der Gesamtsituation. Der
       Behauptung, dass der Großteil des Herbstprogramms aus finanziellen Gründen
       erst gar nicht in Druck gehen könnte, widerspricht Holger Lessing
       energisch: "Selbstverständlich prüfen wir jeden einzelnen Titel. Und
       wahrscheinlich wird nicht jedes angekündigte Buch erscheinen können."
       Dennoch wird es auch in diesem Bücherherbst Eichborn-Titel in den
       Buchhandlungen geben.
       
       ## Der Konzern als Retter in der Not
       
       Darauf ist der Verlag auch angewiesen. Denn zur Rettung des Verlages gehört
       ein neuer Investor, der bereits in die Planung des Frühjahrsprogramms
       involviert sein soll, wie Lessing sagt. Die Interessen des
       Hauptanteilseigners Matthias Koch, der die enge Zusammenarbeit von Eichborn
       mit dem Aufbau-Verlag und den Umzug nach Berlin zunächst forciert hatte, um
       ihn dann, wie eine Mitteilung des Eichborn-Betriebsrates klarstellt, nicht
       finanzieren zu wollen, sind im Insolvenzverfahren zweitrangig. Holger
       Lessing jedenfalls stellt klar: "Eichborn muss möglicherweise unter das
       Dach eines starken Partners. Man muss Synergieeffekte schaffen." Das klingt
       stark nach einer Zusammenarbeit mit einem Konzern wie Randomhouse - eine
       Option, die noch vor wenigen Monaten verworfen wurde, weil man die
       programmatische Eigenständigkeit des Verlages in Gefahr sah. Nun geht es
       also nur noch ums blanke Überleben; daran allerdings geht man mit Verve und
       Zuversicht.
       
       Insolvenzverwalter Lessing lobt das Engagement der Belegschaft. Fast
       scheint es, als täte dem Verlag nach all dem Chaos der vergangenen
       Jahrzehnte eine feste Struktur gut - und sei es auch nur die des
       Insolvenzrechts. Das Interesse des Buchhandels und der Presse am
       Herbstprogramm jedenfalls, so heißt es, sei überraschend groß. Daran, dass
       es auch noch Inhalte gibt, muss hin und wieder erinnert werden. "Wir
       haben", sagt Gaby Bekink, "unter all diesen Schwierigkeiten ein ganz tolles
       Herbstprogramm auf die Beine gestellt. Und darauf sind wir stolz." Das
       Programm wird jetzt verschlankt. Das abgenudelte Wort von der Krise als
       Chance - möglicherweise trifft es in diesem Fall tatsächlich zu. Es dürfte
       allerdings die letzte sein, die Eichborn hat.
       
       4 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Schröder
       
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       Interessenten".