# taz.de -- Interview mit Verlegerin Schoeller: "Die Tasse ist bei mir"
       
       > Der Verlag S. Fischer feiert sein 125-jähriges Bestehen. Monika Schoeller
       > führte ihn erfolgreich ins neue Jahrtausend und übergab die Leitung dann
       > einer Gruppe junger Leute.
       
 (IMG) Bild: Verlegerin Monika Schoeller: "Ich habe versucht, dem Publikum neue Werte zu vermitteln."
       
       taz: Frau Schoeller, Sie sind 1974 Verlegerin des S. Fischer Verlages
       geworden. In welchem Zustand haben Sie den Verlag vorgefunden? 
       
       Monika Schoeller: Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht als
       Verlegerin betrachtet. Ich kam dorthin, weil das Erbe in meiner Familie
       war, weil ich Literaturwissenschaft studiert hatte und meinem Vater immer
       sehr nahe war. Ich wusste, dass das eines Tages auf mich zukommen würde.
       Meinem Vater ging es zu dieser Zeit gesundheitlich nicht gut.
       
       Im Verlag gab es durch den Weggang von Peter Härtling eine Vakanz. Auch die
       finanzielle Situation war angespannt. Als ich anfing, wollte ich alles erst
       einmal kennenlernen, das war mein Wunsch und eine Verpflichtung zugleich.
       Ich habe mir zu Beginn oft jemanden an meiner Seite gewünscht, der mich
       gestärkt hätte, so dass ich ein wenig im Hintergrund hätte bleiben können.
       Aber das sollte nicht sein. Und mit der Zeit habe ich Lebenslinien erkannt,
       die von meinen frühen kindlichen Leseinteressen über das Studium in den
       Verlag geführt haben.
       
       War es nicht ungeheuer schwierig, als Literaturwissenschaftlerin den Verlag
       Kafkas und Thomas Manns zu übernehmen? Und als die junge Tochter eines
       Verlegers in einen gestandenen Betrieb zu kommen? 
       
       Selbstverständlich. Das kam mir wie eine Anmaßung vor. An meinem ersten Tag
       fand ich auf dem Schreibtisch ein großes Pappschild vor, auf dem in
       Frakturbuchstaben geschrieben stand: "Hütet euch vor den
       Buchgemeinschaften!" Das war auf das von meinem Vater gegründete
       Unternehmen gemünzt und durchaus einschüchternd gemeint. Aber ich habe
       durchgehalten, oft am Rande meiner Kräfte. Und es hat mir sogar viel Freude
       gemacht - bis heute.
       
       Samuel Fischer hat gesagt: "Dem Publikum neue Werte aufdrängen, die es
       nicht will, ist die schönste Aufgabe des Verlegers." 
       
       Das ist ein gutes Glaubensbekenntnis. Auch ich habe versucht, dem Publikum
       neue Werte zu vermitteln. Eines der ersten Bücher meiner Zeit bei S.
       Fischer war Herbert Gruhls "Ein Planet wird geplündert", ein Bestseller,
       der vielen Lesern erstmals die ungeheure Tragweite der ökologischen Fragen
       ins Bewusstsein brachte. Die Gründung der "grünen" Taschenbuchreihe
       "Fischer alternativ" folgte. Von besonderer Bedeutung ist die "Schwarze
       Reihe", die sich seit 1977 bis heute mit der historischen Aufarbeitung des
       Nationalsozialismus beschäftigt. Es folgte die Reihe "Die Frau in der
       Gesellschaft". Ohne Feministin zu sein, waren mir diese Themen wichtig,
       wobei ich sprachlich schon einige Bauchschmerzen hatte, als wir 1975 Alices
       Schwarzers "Der kleine Unterschied und seine Folgen" herausbrachten.
       
       Der S. Fischer Verlag hat von Beginn an eine bestimmte Politik verfolgt,
       nämlich die Pflege des Gesamtwerks der Hausautoren. 
       
       Ja, wir wünschen uns nach wie vor gerade bei unseren literarischen Autoren
       Werkausgaben. So hat Samuel Fischer es angefangen. Die Werke großer Autoren
       sind nie wirklich abgeschlossen - immer neue Aspekte treten hervor. Das
       gilt zum Beispiel für Thomas Mann und Franz Kafka. Und so ist es auch bei
       anderen Autoren: Die große kritische Hofmannsthal-Edition steht noch vor
       ihrer Vollendung. Gerade ist der erste Band der "Brautbriefe" zwischen
       Sigmund Freud und Martha Bernays erschienen. Diese Editionen zeigen, dass
       wir die Beschäftigung mit unseren Hausautoren lebendig halten. Und für die
       lebenden Autoren ist der Werkgedanke enorm wichtig, fordernd und stärkend.
       Er gibt ihnen das Gefühl, hier zu Hause zu sein.
       
       Der S. Fischer Verlag hat einen Spagat zu leisten zwischen seiner
       imponierenden Backlist und der aktuellen Titelproduktion, die ebenfalls
       beachtlich ist. Strengt Sie das an? 
       
       Ich glaube, dass das vor allem meine Mitarbeiter anstrengt. Darauf
       aufmerksam zu machen, was jetzt gerade geschieht, was es Neues gibt, in den
       unterschiedlichsten Genres. Sowie sich den Werken zu widmen, die so
       unendlich viel Geduld und langen Atem brauchen. Das sind Anstrengungen, die
       gar nicht messbar sind.
       
       Sie sagen, man dürfe nicht allein auf die Bilanzen schauen. Trotzdem hat
       der S. Fischer Verlag seit der Jahrtausendwende einen ungeheuren
       wirtschaftlichen Erfolg erzielt. Wie erklären Sie sich den? 
       
       Wir haben uns vor etwa zehn Jahren innerhalb des Hauses neu geordnet, haben
       Mauern innerhalb der Abteilungen eingerissen. Das hat uns sehr gutgetan.
       Wir haben neue Programmstrukturen geschaffen. Das war ein entscheidender
       Schritt. Die Anziehungskraft für Autoren ist nochmals sehr gewachsen.
       
       Sie haben sich 1999 die Unternehmensberatung McKinsey ins Haus geholt.
       Diese Entscheidung hat auch Befremden ausgelöst. Hat sich die Maßnahme
       ausgezahlt? 
       
       Das Lektorat, die Programmbereiche hatten wir bereits vor McKinsey
       umstrukturiert. Im Bereich Vertrieb und Marketing haben wir gute Ratschläge
       bekommen, die bis heute nachwirken. Man darf aber auch nicht verschweigen,
       dass die Umstrukturierung mit einem schmerzhaften Personalabbau verbunden
       war.
       
       Es fällt immer wieder das unfreundlich gemeinte Wort vom "Konzernverlag".
       Wie reagieren Sie auf solche Vorwürfe? 
       
       Am liebsten gar nicht. Es greift daneben. So etwas können nur Menschen
       sagen, die unser Haus nicht kennen. Ich habe hier immer arbeiten können,
       als hätte ich diesen Verlag gegründet. Da war als Grundlage das Vertrauen
       meines Vaters und später Rückhalt und Freiheit von Seiten meiner Brüder, so
       dass ich in meiner Arbeit hier immer selbstbestimmt war. Das Wort
       "Konzernverlag" ist ein politischer Begriff, der gern in bestimmter
       politischer Absicht benutzt wird.
       
       Sie haben sich als Verlegerin nie in den Vordergrund gestellt. Silvia
       Bovenschen hat anlässlich Ihres 70. Geburtstages gesagt, es sei ihr
       schleierhaft, wie es Ihnen gelingen konnte, den Gravitationsgesetzen des
       Kulturbetriebs jahrzehntelang zu widerstehen. Wie haben Sie das gemacht? 
       
       Das liegt an meinem Naturell. Der eine geht lieber auf die Bühne, der
       andere betrachtet sich die Dinge lieber aus der Distanz. Gesellschaftliche
       Anlässe, Partys, öffentliche Auftritte habe ich lange gemieden, wenn es
       sich irgendwie machen ließ. Ich muss mir meine Reserven erhalten. Ab und zu
       muss ich in die Wüste gehen, um mich zu erholen.
       
       Silvia Bovenschen sagte auch, Sie seien eine mächtige Frau. Fühlen Sie sich
       so? 
       
       Das mit der Macht und dem Haben ist so eine Sache. Die Übersetzerin
       Svetlana Geier hat mir gesagt, dass es im Russischen die Konstruktion "Ich
       habe eine Tasse" nicht gibt. Dort heißt es: "Die Tasse ist bei mir." So
       empfinde ich das auch. Der Verlag ist bei mir. Ich bin seine Treuhänderin.
       Ich habe den Verlag ja auch nicht gegründet. Samuel Fischer durfte sagen:
       "Ich habe den Verlag." Ich habe die Verantwortung, mit meinem Erbe etwas
       Sinnvolles zu tun. Ganz davon abgesehen, dass ein Verlag wie S. Fischer
       sich nicht allein von der Spitze herab leiten lässt. Es ist wie in der
       Musik die Leistung eines Ensembles.
       
       Sie haben vor gut einem Jahrzehnt eine auch im Nachhinein betrachtet mutige
       Entscheidung getroffen. Sie haben einem Team von seinerzeit sehr jungen
       Leuten, darunter Jörg Bong, Peter Sillem, Hans Jürgen Balmes und Oliver
       Vogel, die Verantwortung übertragen. Was hat Sie dazu bewogen? 
       
       Ich wusste seit langem, dass die hierarchische Struktur, die wir hatten,
       nicht mehr zeitgemäß war. Der Wunsch nach Veränderungen begleitete mich.
       Dann habe ich Jörg Bong getroffen, der seinerzeit noch an der Universität
       war. Ich hatte das Gefühl, mit ihm zusammen Neues entwickeln zu können. Und
       auf einmal waren diese jungen Menschen um mich. Sie gefielen mir alle sehr
       gut. Wir konnten miteinander reden, jenseits einer Chef-Angestellten-Ebene.
       Das war wie eine Fügung und hat mir das Vertrauen gegeben, einen
       Generationswechsel zu vollziehen.
       
       Sie selbst haben sich 2002 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.
       Inwieweit beschäftigen Sie sich noch mit dem Tagesgeschäft? 
       
       Ich bin nicht mehr bei den Konferenzen dabei, aber was wichtige
       Programmfragen, Marketingstrategien und Vertriebsangelegenheiten betrifft,
       bin ich noch immer sehr nahe am Verlag. Ich versuche nach wie vor, alle
       Mitarbeiter des Verlags mit Namen zu kennen.
       
       Als Gottfried Bermann Fischer 1987 gefragt wurde, wie er auf den Suhrkamp
       Verlag blicke, antwortete er: "Im Zorn, nach wie vor." Nun ist Suhrkamp
       zurück zu seinen Wurzeln und nach Berlin gegangen. Gab oder gibt es bei
       Ihnen ähnliche Überlegungen? 
       
       S. Fischer ist jetzt mehr als 60 Jahre in Frankfurt. Länger, als der Verlag
       je in Berlin war. Frankfurt am Main ist unsere Stadt, eine gute Stadt. S.
       Fischer ist ein Frankfurter Verlag und ein internationaler Verlag - mit
       Berliner Wurzeln.
       
       31 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
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