# taz.de -- Drohende Staatspleite in den USA: "Amerika ist nicht pleite"
       
       > Die Amerikaner haben vor allem ein ideologisches Problem mit der Rolle
       > des Staates, glaubt Ökonom Jeff Madrick. Die Schuld schiebt er den
       > Republikanern in die Schuhe.
       
 (IMG) Bild: Banger Blick nach oben: Arbeiten an der Wall Street in Zeiten der Krise.
       
       taz: Herr Madrick, sind die USA pleite? 
       
       Jeff Madrick: Amerika denkt, es wäre pleite. Es handelt, als wäre es
       pleite. Aber es ist es nicht im Entferntesten. Amerika wird die Steuern für
       die Reichen nicht erhöhen. Dabei sollte es das sofort tun. Und wenn wir aus
       dieser schlechten Lage heraus sind, sollten wir auch die Steuern für die
       Mittelschicht erhöhen. Wir sind ein Niedrigsteuerland. Ein Land, das
       glaubt, es brauche keine Regierung, um neue Straßen zu bauen, für gute
       Schulen zu sorgen, soziale Programme zu schaffen, die Benachteiligten
       helfen. Wir haben einen Punkt von enormer moralischer
       Verantwortungslosigkeit erreicht. Aber Amerika ist nicht pleite. Die
       Wirtschaft mag beschädigt sein, aber das Land hat Geld. Die Jobmaschine ist
       beschädigt.
       
       Wer ist verantwortlich für die Blockade in Washington? 
       
       Ohne jede Frage die Republikaner. Angeführt von Tea-Party-Extremisten sind
       sie extrem verantwortungslos geworden. Es ist, als ob sie Amerika ins
       Unglück stoßen wollten, um sich durchzusetzen. Was sie tun, ist sowohl
       kindisch als auch tragisch.
       
       Wieso ist der Sturm auf Steuern so populär in den USA? 
       
       Es geht in diesem Streit nicht um Wirtschaft, sondern um Ideologie. Die
       Tea-Party-Anhänger verstehen nicht, warum eine Regierung wichtig ist. Sie
       verstehen unsere Geschichte nicht. Und haben keine Ahnung von Wirtschaft.
       Sie haben Ideen, die nicht nur einfach sind, sondern simplifizierend. Aber
       wir leben nicht in einer einfachen Wirtschaft.
       
       Was ist Ihres Erachtens nötig? 
       
       Wir brauchen eine starke Regierung, die dafür sorgt, dass jeder fair
       behandelt wird, eine angemessene Erziehung bekommt und eine
       Gesundheitsversorgung.
       
       "Big Government" ist heute in den USA ein Schimpfwort. Können Sie
       abschätzen, seit wann das so ist? 
       
       Die Antiregierungshaltung breitete sich in den 70er Jahren aus. Heute hat
       "Big Government" quer durch Amerika einen schlechten Ruf. Und ich habe den
       Eindruck, selbst Präsident Obama hält es für eine schlechte Sache. Auch ihm
       fehlt das adäquate Verständnis für die Geschichte.
       
       Was hat den Wandel in den 70er Jahren ausgelöst? 
       
       Ein extremes wirtschaftliches Umfeld: hohe Inflation durch schlechte Ernten
       und die Anhebung der Ölpreise durch die Opec. Und dazu eine hohe
       Arbeitslosigkeit. Es gab aber keine scharf umrissene Politik, um die
       Wirtschaft zu korrigieren, und wir bekamen Haushaltsdefizite. Daneben gab
       es anderes: Watergate, den andauernden Groll über den Vietnamkrieg.
       Wahrscheinlich schwang auch Neid über soziale Programme mit, die vor allem
       Minderheiten zugute kamen. In dieses Vakuum stießen Leute wie Milton
       Friedman. Und Politiker, die jede Inflation als "Schuld der Regierung"
       bezeichneten.
       
       Hatten die USA zuvor ein positives Verhältnis zu Regierung und zu Steuern? 
       
       Ronald Reagan hat als Gouverneur von Kalifornien 1973 versucht, eine
       Verfassungsänderung im Bundesstaat durchzusetzen, um die Einkommensteuer zu
       senken. Die Mehrheit der Kalifornier haben dagegen gestimmt, ihre
       Einkommensteuern zu reduzieren. Damals war Amerika noch fortschrittlich und
       eine Pro-Government-Nation. Dann kam die Inflation, der wirtschaftliche
       Aufruhr. Und die Propaganda: Die Regierung ist an allem schuld. Fünf Jahre
       später haben die Kalifornier ganz überwältigend den Vorschlag 13
       angenommen, der ihre Einkommensteuern radikal beschnitt. Das löste eine
       Steuerrevolte quer durch das ganze Land aus.
       
       Bis es so weit war, dass die Tea Party in Washington die politische Agenda
       bestimmt, sind vier Jahrzehnte vergangen. War es vorhersehbar, dass das
       passieren würde? 
       
       Das politische Pendel ist immer weiter nach rechts gegangen. Die
       wirtschaftliche Lage ist vierzig Jahre lang nicht gut gewesen. Der
       Lebensstandard stagnierte. Die Arbeitslosigkeit war - mit Ausnahme weniger
       Jahre am Ende des letzten und am Anfang dieses Jahrhunderts - relativ hoch.
       Sogar das Produktivitätswachstum war die meiste Zeit niedrig. Dennoch
       erzählte man uns, dass unsere Probleme gelöst werden würden. Es ist nicht
       selten, dass permanente ökonomische Täuschung und Enttäuschung
       populistischen Rechtsaußen zunutze kommt.
       
       Sie sprechen von möglichen tragischen Konsequenzen der gegenwärtigen
       Situation. Was befürchten Sie? 
       
       Wir haben eine finanzielle Krise nach der anderen. Seit den 70er Jahren
       haben wir hunderte Milliarden Dollar in schlechte Investitionen gesteckt.
       Immer wieder. Am extremsten bei der Hypothekenkrise. Jetzt haben wir mehr
       als 9 Prozent Arbeitslose. Das ist sehr viel für Amerika. Und wenn es keine
       vertrauenswürdige Abmachung über die Schuldendecke gibt, ist es so gut wie
       sicher, dass wir erneut in eine Rezession gehen.
       
       Was meinen Sie mit vertrauenswürdig? 
       
       Wenn es nur ein kleines Pflaster wird und der nächste Streit über die
       Schuldenhöhe bereits absehbar sind, werden die Finanz- und die
       Rentenpapiermärkte das Vertrauen verlieren. Und das könnte dazu führen,
       dass die Ratingagenturen, die absurd viel Macht haben, die amerikanische
       Wirtschaft herabstufen. Selbst dann, wenn es eine vorübergehende Anhebung
       der Schuldendecke gibt.
       
       Wie viel hat denn die gegenwärtige Schuldenkrise der USA mit der
       Hypthekenkrise 2008 zu tun? 
       
       Viel. Zu der Finanzkrise von 2008 haben sehr hohe Schulden geführt, die auf
       aufgeblähten Immobilienwerten basierten. Das haben die
       Wirtschaftswissenschaftler unterschätzt. Und es führte in eine tiefe
       Rezession. Dank des Obama-Stimulus-Programms sind wir teilweise aus der
       Rezession herausgekommen. Aber nicht ganz. Viele Leute sind weiterhin so
       hoch verschuldet sind, dass sie nichts ausgeben können. Andere kommen nur
       knapp über die Runden. Wir schaffen keine Jobs. Und selbst wenn wir welche
       schaffen, steigen die Löhne nicht. Die Löhne bleiben auf dem Tiefstand. Wir
       stehen am Rand des Abgrunds, und Washington vergräbt sich in in
       Haushaltsausgleichen.
       
       Washington befasst sich mit dem falschen Thema? 
       
       Wir sollten nicht über Haushaltsausgleich reden. Wir sollten über Jobs in
       Amerika reden. Und über Löhne. Wenn wir wieder zurück zu einer normalen
       Wirtschaftslage kommen, können wir auch unsere Schulden bezahlen.
       
       Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Jobs zu schaffen? 
       
       Wir brauchen mehr Regierungsausgaben. Sozialprogramme. Schaffung von Jobs.
       Es gibt einen Präzedenzfall dafür in der Zeit der Großen Depression. Die
       Regierung selbst muss Jobs schaffen und direkt einstellen. Wir müssen
       vermutlich auch die Jobschaffung subventionieren. Und es könnte sein, dass
       wir bis zu einem gewissen Grad protektionistische Methoden brauchen, um
       unsere Jobs in der Fabrikation zu schützen. Das wird die EU nicht gern
       hören. Doch das ist ein ernstes Problem in Amerika. Es gibt Dinge, die wir
       tun können. Aber es sind keine kleinen Schritte.
       
       Glauben Sie, dass Präsident Obama dergleichen auch nur in Erwägung zieht? 
       
       Präsident Obama ist einige große Schritte gegangen. Die Gesundheitsreform
       war ein mäßig großer Schritt. Und er hat das Konjunkturprogramm (Stimulus)
       2009 durchgesetzt. Das war mutig. Eine echte Leistung. Aber er hätte ein
       weiteres Konjunkturpaket anschließen müssen. Wenn er das getan hätte,
       könnte er jetzt anders auftreten. Er könnte sagen, diese Wirtschaftslage
       wird sich nur verbessern, wenn wir einen neuen Stimulus für Arbeitsplätze
       geben, und ihr Republikaner verhindert das. Aber er hat es nicht getan. Und
       jetzt haben die Republikaner eine Menge Munition, um ihn verantwortlich zu
       machen.
       
       Hat Obama die Lage falsch eingeschätzt? 
       
       Seine wirtschaftlichen Berater waren zu optimistisch. Er hat nicht gedacht,
       dass diese Krise ernst sein würde. Und dass er mit einer sehr hohen
       Arbeitslosigkeit für eine Wiederwahl kandidieren würde. Es wird schwer für
       ihn, zu gewinnen. Die Wirtschaft muss eine Menge Wachstumsdynamik zeigen.
       Ab dem Herbst bleibt nur noch ein Jahr. Das ist nicht viel.
       
       Wie bewerten Sie die Verhandlungsführung von Obama? 
       
       Ein Fiasko. Er ist viel zu früh Kompromisse eingegangen. Er hat eine
       Kommission eingesetzt, die Vorschläge zum Ausgleich des Haushalts
       entwickeln sollte, und hat einen ziemlich konservativen Demokraten und
       einen sehr konservativen Republikaner an ihre Spitze benannt. Alle
       vorliegenden Haushaltsausgleichspläne sehen sehr viel mehr Einschnitte bei
       den Ausgaben als Steuererhöhungen vor. Unser linker und zentristischer
       Präsident - den unsere Rechtsaußen als "Sozialisten" bezeichnen - er will
       jetzt die Sozialversicherung und Medicare beschneiden. Das ist nicht schön,
       anzusehen.
       
       Ihre Prognose für den 2. August? Wird das Schuldendach erhöht? 
       
       Ich denke schon. Aber ich befürchte, dass es nicht ausreichend und
       langfristig genug sein wird, um den Märkten das nötige Vertrauen zu geben.
       Bei den Lösungen, die jetzt auf dem Tisch liegen, werden die Zinsen
       steigen, die Regierung wird ihre Ausgaben senken, und eine Rezession wird
       wahrscheinlich.
       
       Liegt dergleichen eigentlich im Interesse der Republikaner? 
       
       Sie sind die Partei der Unternehmen. Und die Ideologie ihrer Rechtsaußen
       ist so ideologisch und kompromissfeindlich, dass normalerweise die
       Unternehmen Lobbying bei ihren republikanischen Freunden machen müssten, um
       ein solides Schuldendach zu bekommen.
       
       Welche konkreten Spuren wird der Schuldenstreit hinterlassen? 
       
       Der Dollar wird wahrscheinlich fallen, weil Leute von China, über die
       arabischen Staaten, Europa bis nach Südamerika ihre Dollars verkaufen.
       Unsere Zinsen werden steigen. Der sinkende Dollar wird Exporte in die USA
       erschweren. Und darunter werden EU und China leiden. Und es wird eine
       weltweite Verlangsamung geben. Oder sogar eine Rezession. So fragil wie die
       europäischen Anleihen sind, könnte eine neue, ernste Finanzkrise kommen.
       Das sind ziemlich gefährliche Zeiten.
       
       20 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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