# taz.de -- Auftragsvergabe im öffentlichen Dienst: Mindestlohn auf dem Vormarsch
       
       > In acht Bundesländern gibt es Mindestlöhne bei der Auftragsvergabe im
       > öffentlichen Dienst. Und es werden mehr. Bald will auch NRW dazugehören.
       
 (IMG) Bild: Aufträge der öffentlichen Hand - wie hier bei Bauvorhaben - werden nicht überall mit Mindestlöhnen entlohnt.
       
       BERLIN taz | Thorsten Schulten, Experte für europäische Tarifpolitik am
       sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung, spricht noch
       immer vom "Rüffert-Schock", wenn er den 3. April 2008 beschreibt. An diesem
       Tag gab der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Klage eines deutschen
       Bauunternehmens, vertreten durch Dirk Rüffert, gegen das Land Niedersachsen
       recht.
       
       Niedersachsen hatte die Vergabe eines Auftrags an das Bauunternehmen an die
       Auflage geknüpft, es müsse ortsübliche Tariflöhne bezahlen. Das
       Bauunternehmen wiederum heuerte ein polnisches Subunternehmen an, das sich
       nicht daran hielt. Das Land kündigte den Vertrag und pochte auf eine
       Vertragsstrafe. Rüffert zog dagegen vor Gericht - und gewann. Die sechs
       Bundesländer, die im April 2008 Tariftreuegesetze oder Vergabegesetze
       besaßen, setzten diese daraufhin außer Kraft. Die Gewerkschaften waren
       entsetzt.
       
       Doch Lohnvorschriften durch die öffentliche Hand boomen wieder: Acht
       Bundesländer wenden sie heute an. Nordrhein-Westfalen will das neunte sein:
       Dort bringt Rot-Grün heute sein Tariftreue- und Vergabegesetz in den
       Landtag ein. Schulten ist zuversichtlich: Bald werde das Lohndumping der
       Unternehmer und Subunternehmer im Wettbewerb um öffentliche Aufträge sogar
       in mehr Bundesländern bekämpft als vor dem Rüffert-Urteil.
       
       "2008 ging wirklich niemand davon aus, dass der EuGH im Sinne Rüfferts
       entscheiden würde. Selbst die deutsche Regierung und der Generalanwalt am
       EuGH hatten in seiner Stellungnahme die niedersächsische Praxis
       befürwortet", sagt Schulten. Doch die Richter sagten: Die Vorgabe, örtliche
       Tariflöhne zu zahlen, verstoße gegen die EU-Dienstleistungsfreiheit und die
       EU-Entsenderichtlinie für Arbeitnehmer.
       
       ## Mindestlöhne bisher nur in Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz
       
       Die Länder haben darauf reagiert: Sie verankern ihre Lohnvorschriften heute
       rechtlich anders, um nicht erneut in Konflikt mit EU-Normen zu kommen. Die
       EU-Entsenderichtlinie lässt zwar keinen Verweis auf ortsübliche Tariflöhne
       zu, wohl aber Mindestlöhne per Rechtsvorschrift. Genau diesen Spielraum
       nutzen die Bundesländer aus. "Das ist für mich eines der seltenen positiven
       Beispiele, in denen die Länder eine Dynamik zur sozialen Reregulierung
       anstoßen", sagt Schulten.
       
       An Rhein und Weser sollen Unternehmen, auch Subunternehmer aus anderen
       EU-Ländern, künftig ihren Arbeitnehmern ab einem Auftragsvolumen von 20.000
       Euro mindestens 8,62 Euro Stundenlohn zahlen. Das soll auch für angeheuerte
       Leiharbeiter gelten. "Wir preschen vor, was soziale Inhalte angeht", sagt
       Rainer Schmeltzer, SPD-Fraktionsvize im Landtag, stolz.
       
       Bisher schreiben nur Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz einen solchen
       vergabespezifischen Mindestlohn vor. Er liegt zwischen 7,50 Euro (Berlin)
       und 8,50 Euro (Bremen und Rheinland-Pfalz).
       
       Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, das Saarland und Thüringen
       pochen zumindest darauf, dass in den zehn Branchen Mindestlöhne bezahlt
       werden, in denen ein Tarifvertrag samt Mindestlohn per
       Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) für allgemein verbindlich erklärt wurde:
       etwa im Bau, im Müllsektor oder in der Pflege.
       
       Vorgaben treffen die meisten Länder auch für den Verkehrssektor: Die vor
       Ort repräsentativen Tarifstandards müssen eingehalten werden. "Das ist
       möglich, weil der Verkehrssektor europaweit eine Sonderstellung hat",
       erklärt Schulten - das Rüffert-Urteil gilt dort nicht.
       
       ## FDP schmeckt der Vorstoß nicht
       
       Die neuen vergabespezifischen Mindestlöhne, wie NRW sie nun will, hält
       Schulten ebenfalls für wasserdicht. "Es gibt bisher keine Anzeichen, dass
       gegen die drei Länder, die ihn haben, wieder geklagt wird."
       
       Der FDP in NRW schmeckt der Vorstoß trotzdem nicht. Generalsekretär Joachim
       Stamp beklagt: "Die Kontrolle des Gesetzes ist gerade bei umfangreichen
       Projekten mit mehreren Subunternehmen kaum möglich, und der erzeugte
       Verwaltungsaufwand macht jeden öffentlichen Auftrag deutlich teurer."
       Klamme Kommunen könnten mit ihren knappen Mitteln noch weniger gestalten
       als vorher.
       
       Schulten hält das für einen Trugschluss: "Es gibt viel Evidenz, dass das
       billigste Angebot nicht das billigste bleibt." Oft käme es in den Kommunen
       zu Qualitätsmängeln, Nachforderungen oder juristischen Streitereien mit den
       beauftragten Unternehmen. Auch das koste Geld.
       
       Fakt ist: Die Zahl der Vergabegesetze wird weiter wachsen. Neben NRW planen
       Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt solche Vorschriften.
       
       22 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
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