# taz.de -- Jungsozialisten-Camp in Österreich: Die kleinen Sozis und das Böse
       
       > Im Camp von Österreichs Jusos herrscht Trauer um die Freunde aus
       > Norwegen. Einschüchtern lässt man sich aber nicht: Der Wert der
       > politischen Gemeinschaft wird neu entdeckt.
       
 (IMG) Bild: Sigmar Gabriel bringt Junggenossen am Attersee zum Lachen.
       
       ATTERSEE taz | Rosa Luxemburgs Zelt steht zwischen denen von Antonio
       Gramsci und Aung San Suu Kyi. Hier finden Workshops statt. Gespeist wird am
       Olof-Palme-Buffet oder im Bruno-Kreisky-Zelt. "1999: Belgrade, 2011:
       Tripoli. Fuck off Nato", fordert ein Transparent, gezeichnet von der
       Sozialistischen Jugend Österreichs (Stamokap-Strömung). Die Zeltstadt der
       International Union of Socialist Youth (IUSY) erstreckt sich wenige Meter
       von den Gestaden des so notorisch kalten wie romantischen Attersees in
       Oberösterreich. Vor hundert Jahren hat hier Gustav Klimt einige seiner
       sanftesten Landschaftsbilder gemalt. Im Hintergrund erheben sich grimmig
       die kahlen Gipfel des Höllengebirges.
       
       Seit 1949 nutzen Österreichs Jusos dieses idyllische Gelände in Weißenbach
       an der Südspitze des Sees für Sommerlager und politische Schulungen. "Die
       Parallelen zur Insel Utøya drängen sich auf", sagt Boris Ginner,
       Pressesprecher der Sozialistischen Jugend (SJ) Österreichs, der Gastgeberin
       des internationalen Treffens. Rund 2.500 Jugendliche kamen hierher, um zu
       diskutieren, sich auszutauschen, Freunde aus anderen Ländern zu treffen und
       eine Woche lang Spaß zu haben. Der geplante Spaßfaktor erschließt sich
       schon aus dem Vokabular, das den Teilnehmern im Programmheft auf Englisch,
       Französisch, Spanisch und Hochdeutsch mitgegeben wird. Da kann man sich
       schlau machen, wie man im oberösterreichischen Dialekt ein Bier bestellt,
       Kopfwehpulver für den Kater einfordert ("Kint i wos gegn Übikeid haben?"),
       ein Kondom sucht oder sich unwillkommene Avancen vom Leibe hält: "Geh
       scheißn".
       
       Der Spaß wollte sich zumindest in den ersten Tagen nicht einstellen. Die
       sonst eher ausgelassene Eröffnungsfeier am Montag wurde kurzfristig zu
       einer Gedenkveranstaltung umfunktioniert, bei der Schmerz und Entrüstung
       über das Schicksal der Kolleginnen und Kollegen in Norwegen geäußert und
       geteilt werden konnten. Ein Lichtermeer sollte ein Zeichen setzen gegen
       Ausgrenzung und extremistische Gewalt. Auf dem Gelände wurde ein Zelt mit
       psychologischer Betreuung eingerichtet, wo man sich während der ganzen
       Woche ausweinen oder einfach darüber reden kann, wie nahe einem das
       Massaker von Utøya geht. Ein Kondolenzbuch, das vor diesem Zelt auflag, war
       nach zwei Tagen voll. Das zweite hat nur noch wenige weiße Seiten.
       
       ## Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen
       
       Marie Chris Cabreros aus den Philippinen musste ihrer Familie anfangs alle
       paar Stunden per SMS versichern, dass es ihr gut geht: "Bei uns denken
       viele, in Europa seien alle Länder nur eine kurze Busfahrt voneinander
       entfernt." Die stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen
       Ak-Bayan-Partei selbst hatte keine Bedenken, als sie wenige Stunden vor
       ihrem Abflug von Manila erfuhr, was sich in Norwegen zugetragen hatte.
       Außer der norwegischen Gruppe hat keine der über hundert Parteisektionen
       abgesagt. Natürlich wurden in letzter Minute zusätzliche
       Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Gegenüber dem Lagereingang, wo man nur mit
       Teilnehmerarmband durchgelassen wird, steht rund um die Uhr die Polizei. In
       der Zeltstadt patrouilliert ein privater Sicherheitsdienst, der durch einen
       von den Teilnehmern organisierten mehrsprachigen Wachdienst ergänzt wird.
       
       IUSY-Vorsitzende Viviana Piñeiro aus Uruguay gibt zu, in der ersten
       Schrecksekunde habe man sich gefragt, ob man das Lager nicht absagen solle.
       Doch die Antwort war einhellig: "Jetzt mehr als zuvor ist es wichtig, dass
       wir zusammenstehen." Die politische Tagesordnung sei hervorragend. Man
       müsse einfach dafür sorgen, dass sich alle sicher fühlen können. So sieht
       es auch Veith Lemmen, Landesvorsitzender der NRW-Jusos: "Wir stellten es
       den Leuten frei, ob sie mitkommen wollen." Das Blutbad von Utøya dürfe aber
       "kein Grund sein, dass wir uns von unseren Zielen abhalten lassen. Es
       ändert sich persönlich in einem sicherlich viel, aber nicht an den Zielen,
       für die man kämpft." Daher die klare Empfehlung, nicht abzusagen. Den
       Themen Sicherheit und Freiheit sowie Rechtsextremismus seien ja auf dem
       Camp mehrere Workshops und Seminare gewidmet gewesen. Die waren besonders
       gut besucht. Auf die Exkursion in die KZ-Gedenkstätte Mauthausen konnten
       gar nicht alle mitgenommen werden, die fahren wollten.
       
       Das Organisationskomitee habe sich sehr gut auf die Situation eingestellt,
       meint die 26-jährige Zita Schelekens von der niederländischen PvdA. Eine
       geplante Podiumsdiskussion mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner
       Faymann (SPÖ), mit Sigmar Gabriel und dem Vorsitzenden der schwedischen
       Arbeiterpartei Hakan Juholt über die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert
       wurde zur Gedenkveranstaltung. Die sozialdemokratischen Parteivorsitzenden
       sollten eigentlich die historische Achse Bruno Kreisky - Willy Brandt -
       Olof Palme aus den 1970er und 1980er Jahren wiederbeleben. Angesichts des
       Zustands der Sozialdemokratie und des Vormarsches der Rechtspopulisten
       ohnehin ein fragwürdiges Vorhaben, wie Zita Schelekens meint. Sie gibt
       dennoch die Hoffnung nicht auf, dass die Zukunft der Sozialdemokratie
       lichtvoller werde, als es die Gegenwart ist: "Das muss sie".
       
       ## Querverbindungen zur österreichischen Rechten
       
       Selbst da, wo die Sozialdemokraten regieren, machen sie heute keine linke
       Politik mehr, seufzt Fiona Kaiser von der Sozialistischen Jugend
       Oberösterreich. Sie macht auch ihre Mutterpartei mitverantwortlich für die
       hohen Umfragewerte der FPÖ, die in jüngsten Befragungen Kopf an Kopf mit
       der SPÖ liegt. Die Querverbindungen zur österreichischen Rechten, auf die
       Anders Behring Breivik in seinem krausen Manifest wiederholt anspielt,
       seien natürlich ein Thema in Workshops und Diskussionen gewesen.
       
       Stefan Hvenegaard aus Kopenhagen hat zwei schlaflose Nächte verbracht, bis
       er sicher war, dass keiner seiner engen Freunde aus Norwegen unter den
       Opfern war. Die Beziehungen zwischen den dänischen und norwegischen
       Jugendorganisationen sind traditionell eng. Der 25-jährige Politikstudent
       war selbst schon auf Utøya. "Da denkt man natürlich nach, bevor man auf ein
       solches Lager fährt." Aber: "Die Norweger zeigen, dass man nur damit fertig
       werden kann, wenn man weitermacht. Das ist auch die Botschaft, die wir von
       den Kollegen in Norwegen bekommen haben." Von dänischen Delegation mit 86
       Teilnehmern ist kein einziger abgesprungen. Das Massaker habe ihn letzten
       Endes in seinen Überzeugungen bestärkt: "Es ist wichtig, die Diskussionen
       jetzt auf die nächste Ebene zu heben." Und dafür sei ein Treffen, bei dem
       man mit Genossen aus Afrika oder Lateinamerika diskutieren kann, bestens
       geeignet.
       
       In Skandinavien liege es durchaus im Mainstream, wenn man gegen Muslime
       wettert, und rechte Parteien erfreuten sich starken Zulaufs. Stefan hält es
       auch für richtig, dass Rechte sich öffentlich zu ihren Überzeugungen
       bekennen können. Umso unerklärlicher findet er es, wie extremistische
       Fanatiker unentdeckt heranreifen. Dass der norwegische Attentäter im
       Internet über 6.000 Fans hat, die seine Tat befürworten, erschreckt ihn.
       
       Hvenegaard ist überzeugt, wenn Anders Behring Breivik solche
       Gruppenerfahrungen wie auf dem IUSY-Camp gemacht hätte, dann hätte er seine
       Wahnsinnstat nie begangen: "Er hätte hier mit uns diskutiert, Fußball
       gespielt, vielleicht ein Mädchen kennengelernt." Der Attentäter hätte, so
       glaubt der junge Däne, "das Böse, das er in unsere norwegischen Genossen
       projiziert hat, hier nicht gefunden". Trotzdem schließt er nicht aus, dass
       es Nachahmungstäter geben könnte: "Man kann immer zum Ziel werden."
       
       29 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Islamismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Norwegen nach den Attentaten: Sozis legen zu, Rechte stürzen ab
       
       Umfragen verzeichnen einen Stimmenzuwachs von 12 Prozent für die
       Sozialdemokraten. Rechtspopulisten und Konservative verlieren dagegen jeden
       vierten Wähler.
       
 (DIR) "Anonymous" in Österreich: Hacker-Angriff auf Parteien
       
       Website geknackt und Daten geklaut - In Österreich haben es die
       Anonymous-Hacker auf die Parteien abgesehen. Auf der FPÖ-Seite war
       stundenlang nur ein blaues Pony.
       
 (DIR) Norwegen nach den Attentaten: "Mich beeindruckt der Zusammenhalt"
       
       Die Wahlnorwegerin Rebekka Borsch über die plötzliche Emotionalität ihrer
       Landsleute, die politischen Folgen der Anschläge und die zunehmende
       Islamophobie.
       
 (DIR) FDP-Politikerin Piltz über Sicherheitsdebatte: "Die Hysterie ist unverständlich"
       
       Die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz warnt nach den Anschlägen in Norwegen
       vor voreiligen Forderungen zur Kontrolle des Internets. Und sie grenzt sich
       deutlich vom Extremismusbegriff der Union ab.
       
 (DIR) Niederländische Rechte und die Taten von Oslo: Wilders will damit nichts zu tun haben
       
       Geert Wilders und seine Antiislam-Partei setzen alles daran, nicht mit den
       Anschlägen von Norwegen in Verbindung gebracht zu werden. Doch eine Debatte
       gibt es längst.
       
 (DIR) Journalist Hannes Stein über seine Islamkritik: "Ich verteidige die offene Gesellschaft"
       
       Rechtsradikale Islamkritiker verfolgen ein Phantasma namens christliches
       Abendland, meint Hannes Stein. Ihm geht es aber um das Recht, sich über
       alle Religionen lustig machen zu dürfen.
       
 (DIR) Dänemark nach den Anschlägen in Oslo: Trubel am Waschbecken
       
       Der Attentäter von Oslo nennt Dänemark in seinem Manifest ein rühmliches
       Vorbild. Dort wird jetzt über eine Mitschuld an den Anschlägen gestritten.