# taz.de -- Milde Urteile: Alles im Namen der "Ehre"
> Wenn Töchter oder Schwestern aus vermeintlichen Ehrmotiven umgebracht
> werden, urteilen Gerichte oft zu mild. Das zeigt die bisher aufwändigste
> Studie dazu.
(IMG) Bild: Hatun Sürücü wurde im Februar 2005 in Berlin von ihren Brüdern getötet.
FREIBURG taz | Pro Jahr kommt es in Deutschland durchschnittlich zu drei
sogenannten Ehrenmorden in Migrantenfamilien. Zu diesem Ergebnis kommt eine
Studie des Freiburger Max-Planck-Instituts (MPI) für Strafrecht, die im
Auftrag des Bundeskriminalamtes erstellt wurde. Als "Ehrenmord im engeren
Sinn" definieren die Forscher dabei die Tötung eigener Familienangehöriger
- meist der Tochter oder der Schwester - zur "Wiederherstellung der
Familienehre".
Auf höhere Zahlen kommen die MPI-Forscher, wenn sie auch Partnertötungen
und Fälle von Blutrache innerhalb der Verwandschaft einbeziehen. So
gerechnet gibt es im Schnitt pro Jahr zwölf "Ehrenmorde im weiteren Sinne",
davon vierzig Prozent Partnertötungen.
Autoren der Studie sind die Kriminologen Dietrich Oberwittler und Julia
Kasselt. Ausgehend von Polizeiangaben und nach Recherchen im Archiv der
Nachrichtenagentur dpa erfassten die Forscher in den Jahren 1996 bis 2005
rund 100 "Ehrenmorde im weiteren Sinne". Enthalten sind dabei auch die
Fälle, bei denen das Opfer überlebte (29 Prozent).
In 78 Tötungsfällen konnten von den Wissenschaftlern die Prozessakten
ausgewertet werden. Auf diesen Informationen beruht die 250-seitige Studie,
die die bisherige Forschung zu diesem Thema an Gründlichkeit weit
übertrifft.
## Fast alle Taten werden aufgeklärt
So konnten die Kriminologen feststellen, dass es bei den "klassischen
Ehrenmorden" in 80 Prozent der Fälle um konkrete unerwünschte Beziehungen
der Frau ging. Ein allgemein "westlicher Lebenswandel" wurde also eher
selten tödlich sanktioniert.
Der Partnertötung "zur Wiederherstellung der Ehre" ging meist eine
(vermutete) Untreue oder die Trennung der Frau voraus. Solche Verbrechen
gibt es zwar nicht nur in migrantischen Milieus, betonen die Autoren,
türkische Männer griffen jedoch drei Mal häufiger zu derartigen Mitteln als
deutsche.
Als blutracheähnliche Fälle wurden Tötungen erfasst, bei denen nicht die
eigene Tochter oder Schwester getötet wird, sondern deren Freund.
Selbstjustiz nach Vergewaltigungen in Großfamilien wird ebenfalls hierzu
gezählt. Auch deshalb sind in rund vierzig Prozent der "Ehrenmorde im
weiteren Sinne" Männer die Opfer.
Fast alle Taten wurden aufgeklärt. Von den 87 verurteilten (Mit-)Tätern
wurden 37 Prozent wegen Mordes verurteilt, 48 Prozent wegen Totschlags und
15 Prozent wegen Körperverletzung (wenn das Opfer überlebte).
Der Bundesgerichtshof fordert bei Tötungen "zur Wiederherstellung der Ehre"
grundsätzlich eine Bestrafung wegen Mordes. Wer die eigene oder
Familienehre über das Leben eines anderen stelle, handele aus "niedrigen
Beweggründen" und erfülle damit ein Mordmerkmal. Nur ausnahmsweise könne
eine solche Tat als Totschlag gewertet werden, wenn der Täter noch
besonders stark in den Wertvorstellungen seiner Herkunftsregion verwurzelt
ist und deshalb die besondere Verwerflichkeit seines Tuns nicht erkennen
kann.
In der gerichtlichen Praxis sind diese Vorgaben nur bedingt angekommen. Nur
in einem Viertel der Verurteilungen wurden "niedrige Beweggründe"
angenommen, teilweise wurde der Mordvorwurf auch nur auf Heimtücke
gestützt. In rund vierzig Prozent der Fälle wurde das Ehrmotiv vom Gericht
überhaupt nicht thematisiert, in einem Viertel der Verurteilungen wurde es
sogar ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt. "Die untersuchten Urteile
fielen in der Tendenz milder aus, als die BGH-Rechtsprechung dies erwarten
ließ", erklärten die Kriminologen.
2 Aug 2011
## AUTOREN
(DIR) Christian Rath
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