# taz.de -- Dresdner Handydaten-Affäre: "Wir brauchen umfassende Aufklärung"
       
       > Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) ist von der Sammelwut
       > der Dresdner Behörden betroffen. Sachsens Regierung müsse Rechenschaft
       > ablegen, fordert er.
       
 (IMG) Bild: "Hier geht es um Grundrechtseingriffe": Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse.
       
       taz: Herr Thierse, Sie sind Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Die
       Dresdner Staatsanwaltschaft dürfte auch Ihre Handydaten abgeschöpft haben,
       als Sie im Februar gegen Neonazis demonstriert haben. Gehören Sie einer
       kriminellen Vereinigung an? 
       
       Wolfgang Thierse: Ich hoffe nicht, dass der Bundestag schon unter die
       Rubrik kriminelle Vereinigung fällt. Also: ein klares Nein.
       
       Die Dresdner Ermittler suchen nach extremistischen Gruppen. Beweisen Sie
       erst mal, dass Sie nicht dazugehören. 
       
       Im Rechtsstaat ist einer der elementarsten Grundsätze: Nicht Unschuld,
       sondern Schuld ist zu beweisen. Ich bin im Februar mit friedlichen Menschen
       zusammen gewesen, habe mich freundlich mit Polizisten unterhalten, habe
       niemanden beschimpft. Ich habe nur von meinem demokratischen Recht Gebrauch
       gemacht, mein Gesicht im Protest gegen Neonazis zu zeigen. Fürs
       Demonstrieren will ich mich nicht schämen müssen, im Gegenteil.
       
       Am Rande der Demonstrationen wurden auch Polizisten attackiert und
       Barrikaden errichtet. Gehört das auch zur Demonstrationsfreiheit? 
       
       Die Demonstrationsfreiheit hört auf, wo Gewalt beginnt. Deshalb ist
       natürlich die Polizei zu unterstützen, wo sie Gewaltausbrüche zu verhindern
       oder im Nachhinein aufzuklären versucht.
       
       Dann ist es okay, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft mindestens eine
       Million Telefondaten und über 40.000 Personendaten von Menschen erhoben
       hat, die im Umfeld der Demonstrationen telefoniert haben? 
       
       Natürlich ist das nicht in Ordnung. Denn hier geht es um
       Grundrechtseingriffe. Es ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, dass die
       Mittel, mit denen der Staat agiert, verhältnismäßig sein müssen. Es kann
       aber nicht verhältnismäßig sein, in die Grundrechte von zehntausenden
       Menschen einzugreifen, um 10, 20 oder 50 Täter zu ermitteln. Wenn so etwas
       geschieht, müssen in einem Rechtsstaat die Verantwortlichen, in dem Fall
       der sächsische Innenminister, öffentlich Rechenschaft ablegen. Und das tut
       er bisher nicht.
       
       Sie haben Sachsens Innenminister Markus Ulbig, CDU, einen offenen Brief
       geschrieben. Tenor: Sachsens Vorgehen könne zu einer Bedrohung für
       Bürgerrechte, Demokratie und Rechtsstaat werden. Welche Antwort erwarten
       Sie vom sächsischen Innenminister? 
       
       Wir brauchen endlich eine umfassende Aufklärung. Was haben Polizei und
       Staatsanwaltschaft getan? Ist hier uferlos vorgegangen worden? Gab es
       angemessene Entscheidungen? Welche Personen verantworten das? Das
       interessiert die Öffentlichkeit. Denn wir wissen doch noch gar nicht genug.
       Ich möchte auch erfahren, wann die betroffenen Personen, die in
       Mitleidenschaft gezogen worden sind, obwohl sie keinerlei Straftaten
       begangen haben, informiert werden. Diese Fragen muss der Minister endlich
       beantworten.
       
       Die sächsischen Behörden finden nichts Schlimmes an ihrem Vorgehen. 
       
       Und genau das ist doch bedenklich. Wenn ich es richtig sehe, gibt es in
       anderen Bundesländern keine vergleichbaren Vorgänge. Das zeigt sich auch an
       anderen Beispielen. Es scheint mir in Sachsen schon eine besonders
       bedenkliche Geisteshaltung vorzuherrschen. Diese Geisteshaltung muss
       kritisch und öffentlich debattiert werden.
       
       Welche anderen Beispiele meinen Sie? 
       
       Als ich am 19. Februar in Dresden war, gehörte es zu meinen wirklich
       erschreckenden Eindrücken, dass dort die gesamte Innenstadt menschenleer
       war, weil sie abgesperrt war. Selbst eine Kundgebung des Deutschen
       Gewerkschaftsbundes vor dem eigenen Gewerkschaftshaus, weit weg von den
       Neonazis, wurde verboten. Die Grundüberzeugung dort war: Wir müssen die
       ganze Innenstadt freihalten, damit die Neonazis ungestört demonstrieren
       können. Es gibt aber nicht nur für Neonazis ein Grundrecht auf
       Demonstrationsfreiheit. Ich kenne solche Beobachtungen von anderen Orten in
       Deutschland nicht.
       
       Die sächsischen Behörden sehen kein Problem, die sächsischen Medien auch
       nicht. Was müssen Sie sich da eigentlich einmischen, wenn die Sachsen
       glücklich sind? 
       
       Es geht hier ja nicht um mich, sondern um Grundfragen des demokratischen
       Rechtsstaates. In Sachsen wird scheinbar nach dem Motto vorgegangen: "Wir
       werten erst mal massenhaft Daten aus, dann werden wir schon ein paar
       Verdächtige finden." Dass die Mehrheit der sächsischen Bevölkerung das
       nicht interessiert, hoffe ich nicht. Aber ich weiß auch aus eigener
       Erfahrung: Rechtsstaatliche Verfahrensweisen müssen auch von betroffenen
       Minderheiten verteidigt werden.
       
       Die Dresdner Staatsanwaltschaft sagt: Wer sich nichts zuschulden kommen
       lässt, hat auch nichts zu befürchten. 
       
       Entschuldigung, das ist doch wohl selbstverständlich. Alles andere wäre ja
       auch noch schöner. Aber dieser Satz kann doch nicht die Grundlage dafür
       sein, alle und jeden einer Verdächtigungsüberprüfung zu unterziehen und
       keine vernünftigen polizeilichen Grenzen zu beachten. Der Staat darf sich
       nicht einfach alles erlauben. Selbstbeschränkung bei der Anwendung der
       Mittel gehört zu den Grundprinzipien eines Rechtsstaates. Das könnten auch
       sächsische Polizisten, Staatsanwälte und Minister wissen. In der restlichen
       Bundesrepublik gilt das doch auch.
       
       4 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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 (DIR) Handydaten
       
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