# taz.de -- Kommentar Plünderungen: Power Shopping
> Der chinesische Künstler Ai Wei Wei beschreibt einen Aufruhr in der
> Provinz, an den die Unruhen in England erinnern. Hier wie dort geht es um
> ein Gefühl der Ohnmacht.
(IMG) Bild: Plünderung in London.
Am 28. Juni 2008 verwüsteten einige tausend Bürger im Kreis Wenigan im
Südwesten der Provinz Guihou Regierungsgebäude und setzten Polizeiautos in
Brand. Anlass des Protestes war der Vorwurf an die Polizei, den Tod der
16-jährigen Li Shufen vertuschen zu wollen, die am 22. Juni aus dem Fluss
geborgen worden war. Die Familie der Schülerin beschuldigte die Polizei der
Schlamperei und Korruption. Aus Furcht, die Polizei könnte Beweismaterial
verschwinden lassen, halfen hunderte Freiwillige der Familie, die Leiche zu
bewachen.
Gleichzeitig protestierten am Tag nach der Auffindung der Leiche etwa 500
Schüler vor der Polizeiwache, wo sie gewaltsam vertrieben wurden. Auch Li
Shufens Onkel soll geschlagen worden sein. Am 28. Juni stürzte schließlich
eine aufgebrachte Menge Autos um und zündete Regierungsgebäude an, auch die
lokale Parteizentrale.
Berichte und Fotos über die Unruhen im Internet wurden sofort gelöscht.
Associated Press berichtete von 30.000 aufgebrachten Bürger, die sieben
Stunden lang durch die Straßen zogen. Es soll 150 Verletzte gegeben haben,
über 100 beschädigte Regierungsgebäude und fast 50 abgefackelte
Polizeiautos.
Von diesem Vorfall liest man in der Fußnote zu Ai Weiweis Blog "Gewalt und
Brandschatzung" , den er am 1. Juli 2008 gepostet hat und der nun in
deutscher Übersetzung vorliegt, veröffentlicht in "Macht euch keine
Illusionen über mich. Ai Weiwei. Der Verbotene Blog". Interessanterweise
wähnt man sich bei der Lektüre der Blogs gar nicht in China, sondern fühlt
sich ganz in Europa zu Hause, wenn man Ais Anmerkungen über Korruption,
Umweltverschmutzung, die Arroganz der Mächtigen und den Reichtum weniger
liest, über dessen Zustandekommen niemand redet, geschweige denn über den
Zusammenhang zwischen diesem Reichtum und der Armut vieler.
## "Randalierer", "Mob"
Vielleicht liegt es daran, dass die Dinge hier und dort derart anders
gelagert sind, dass wenige, aber grundsätzliche Ähnlichkeiten umso
deutlicher ins Auge fallen. Die chinesischen Bauern im Kreis Wenigan
trennen Welten von den Jugendlichen, die zuerst in London und nun auch
Manchester, Birmingham und Liverpool brandschatzten und plünderten. Aber
was die Polizei betrifft, die kein Interesse daran haben kann oder darf,
den Tod eines jungen Menschen aufzuklären, leben die Bauern und die
Jugendlichen aus Tottenham in genau der gleichen Welt.
Wie gefälschte Wahlen gern am Anfang der politischen Rebellion stehen - von
der DDR bis zu Tunesien -, so steht Fehlverhalten der Polizei gern am
Anfang des Aufruhrs. Ihm fehlen, hier wie dort, das politische Programm,
die Pamphlete und Forderungen. Ja und? Der Aufruhr entspringt lang
angestauter Frustration, die sich in eine recht zielgenau artikulierte
Gewalt gegen Institutionen und Personengruppen verwandelt, von denen die
Frustration ausgeht.
Wenn es darum geht, wer sie kujoniert und schikaniert, wenden sich die
Leute von Wenigan und die Jugendlichen aus den trostlosen Wohnblocks
britischer Großstädte gegen diejenigen, denen sie dabei an vorderster Front
begegnen: die Polizei, die Partei oder die Geschäftemacher. Die Leute von
Wenigan und die britischen Jugendlichen aus den trostlosen Wohnblocks leben
übrigens auch dort in der gleichen Welt, wo ihre jeweiligen Regierungen und
Medien sie nicht als "aufgebrachte Bürger" kennen, sondern als
"Randalierer" und "Mob" denunzieren.
## Einkaufen ist eine Prüfung
Die Plünderungen und die Zerstörungswut scheinen die Rede von der
kriminellen Energie zu bestätigen. - Als ob nicht in den harmlosen kleinen
Ladenzeilen die tagtäglich erste Prüfung auf einen wartete. Auch der kleine
Ladenbesitzer, bei dem man seine Milch kauft, kann einen mies behandeln.
Wie existenziell vernichtet oder gut gelaunt man in den Alltag zieht, das
entscheidet sich durchaus dort, wo es "nur" um Konsum geht. "Power
Shopping" ist dafür ein sehr schöner, weil treffender Begriff, der das
Vergnügen einer kaufkräftigen Mittelschicht benennt.
Jetzt wollen offensichtlich mal die anderen wissen, wie es sich anfühlt,
das Power Shoppen. Denn beim Shoppen - wie in der Begegnung mit Polizei und
sonstiger staatlicher Bürokratie - erfährt man nun mal in unserer
Gesellschaft, ob man zählt oder nicht.
10 Aug 2011
## AUTOREN
(DIR) Brigitte Werneburg
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