# taz.de -- Debatte Grundsatzprogramm Linkspartei: Verhangen in Arbeiterschweiß-Rhetorik
       
       > Die Linkspartei kann sich nicht der digitalen Boheme öffnen, sondern
       > verharrt in ihrer traditionellen Ansprache. Trotzdem funktioniert die
       > interne Machtbalance.
       
 (IMG) Bild: Hielt das Grundsatzprogramm eng an linker Tradition: Oskar Lafontaine am Freitag in Erfurt.
       
       Im März 2010 stellten Lothar Bisky und Oskar Lafontaine, damals beide noch
       Parteichefs, den ersten Entwurf für das Grundsatzprogramm der Linkspartei
       vor. Bisky mahnte damals, dass die Partei ohne Gewerkschaftsscheuklappen
       auf die bundesdeutsche Wirklichkeit schauen soll. Die Linkspartei müsse
       eine Ansprache für die digitale Boheme finden, für jene Milieus, in denen
       Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung verfließen. Mit
       Arbeiterschweiß-Rhetorik komme man da nicht weit.
       
       Die Linkspartei hat keine Sensoren für diese Milieus entwickelt. Biskys
       Aufruf verhallte ungehört, die Partei folgte Lafontaine, der all das für
       eine neoliberale Verirrung hält. Klug war das nicht, wie der Erfolg der
       Piraten in Berlin zeigte. Die spiegeln dieses Milieu, das irgendwie links,
       sehr basisdemokratisch und taub für Klassenkampfrhetorik ist, die man für
       ein Relikt der analogen Welt hält.
       
       Das Grundsatzprogramm, das nun der Parteitag der Linke seinen Mitgliedern
       zur Urabstimmung vorlegen will, ist ziemlich blind für die Widersprüche des
       Post-Rheinischen-Kapitalismus. Dass neue soziale Unsicherheiten manchen als
       neue Freiheiten erscheinen, ist im entschlossenen Kampf gegen den
       Neoliberalismus nicht vorgesehen. Dieses Programm müffelt noch immer nach
       den 70er Jahren, als die Gewerkschaften noch stark waren, der Mann jeden
       Tag um fünf aus dem Büro kam und die Frau das Abendessen machte. Es ist
       zwar auch viel von Emanzipation die Rede, aber diese Passagen wirken nur
       wie das Verpackungspapier, das den Inhalt hübscher macht.
       
       Der Ton des Programms ist seit dem März 2010 etwas weicher geworden. Aber
       gleich im dritten Satz der Präambel wird Beton angerührt: "Wir werden nicht
       wie jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen
       unterwerfen." Die Linkspartei kritisiert zu Recht, dass Unternehmen
       Parteien Geld spenden. Aber rechtfertigt das so wuchtige Formeln, in denen
       alle anderen zu Bütteln des Kapitals schrumpfen?
       
       So fokussiert dieses Programm vor allem, wie schrecklich eine Welt ist, in
       der Kapital und Imperialismus ihr Unwesen treiben. Der Markt kommt nur als
       etwas vor, das gebändigt und reguliert werden muss. Daran ist viel
       Richtiges. Vieles von dem, was Lafontaine über die Finanzmärkte gesagt hat,
       wirkt im Rückblick hellsichtig.
       
       Aber welches Wirtschaftssystem die Linkspartei will, bleibt vage. Sie ist
       gegen Konzerne und Privatbanken, eine Planwirtschaft, eine DDR light, lehnt
       sie ab. Am ehesten scheint sie eine nach strikten, ordoliberalen Regeln
       organisierte Marktwirtschaft mit viel Staat zu wollen. Das könnte durchaus
       ein Konzept mit Strahlkraft sein.
       
       ## Die gemütliche "Robin Hood"-Pose
       
       Doch um dies überzeugend zu formulieren, müsste sich die Linkspartei zu
       einem positiven Begriff von Marktwirtschaft durchringen – zu einem
       politisch gelenkten Kapitalismus. Dazu fehlt ihr der Mut, weil dies das
       gemütliche "Wir gegen alle" und die Robin-Hood-Pose zerstören würde.
       Deshalb erscheinen die Märkte in diesem Programm nicht wie ein rationales,
       effektives Instrument, das man richtig benutzten muss, sondern wie ein
       Raubtier, das man gar nicht hart genug an die Kandare nehmen kann.
       
       So bleibt alles in der Schwebe zwischen einer Art Hardcore-Ordoliberalismus
       und einem mit marxistischen Soundbites orchestrierten Misstrauen gegen
       alles, was mit Markt und Kapital zu tun hat. All das trägt die Handschrift
       von Lafontaine und Wagenknecht.
       
       Aber deren Stärke ist nur die andere Seite der Schwäche der Reformer. Die
       Ostpragmatiker haben zwar eine differenzierte Beschreibung der Gesellschaft
       zu bieten, auch gute, praktikable Ideen wie öffentlich geförderte
       Beschäftigung. Was ihnen fehlt, ist ein zündendes identitätstiftendes
       Symbol. Zur Finanzmarktkrise haben sie bislang nichts Wesentliches
       beigetragen und freundlich für Sahra Wagenknecht das Feld geräumt.
       
       Das Erfurter Programm zeigt in der Tat, dass die Linkspartei noch
       kompromissfähig ist. Die internen Deals funktionieren. Zu
       Bundeswehreinsätzen im Ausland bekommen die Fundis ein gesinnungsfestes und
       intellektuell klägliches Nein, dafür dürfen die Pragmatiker im Osten in den
       Ländern Realpolitik machen.
       
       Das bildet die Machtbalance in der Linkspartei ab, die stabiler ist, als
       viele Medien meinen. Für die Zukunft ist das zu wenig. Dafür braucht sie
       mehr Bisky und weniger Lafontaine, mehr Offenheit für die bundesdeutsche
       Wirklichkeit, weniger Parolen.
       
       21 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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