# taz.de -- Neues Grundsatzprogramm der Linken: "Ein akzeptabler Entwurf"
       
       > Die Linkspartei findet keine Antwort auf den Boom der Grünen. Immerhin
       > scheint sie sich auf ein Programm zu einigen, das auch den "Bruch mit dem
       > Stalinismus" enthält.
       
 (IMG) Bild: Ein Glas aufs neue Programm: Klaus Ernst und Gesine Lötzsch.
       
       BERLIN taz | Wolfgang Zimmermann steht am Sonntagabend im Hof des
       Karl-Liebknecht-Hauses, der Parteizentrale der Linkspartei in Berlin, und
       hat gute Laune. Das ist bemerkenswert, denn es gibt für
       Linkspartei-Politiker derzeit nicht viel Gründe dafür. Zimmermann,
       Gewerkschafter und gemütlicher 61-jähriger Rheinländer, ist Fraktionschef
       der NRW-Linkspartei. Er gehört zur Antikapitalistischen Linken (AKL), dem
       radikalen Flügel.
       
       Am Wochenende hat der 44-köpfige Parteivorstand den Programmentwurf
       überarbeitet. Er ist etwas diskursiver geworden, trägt aber immer noch
       stark Lafontaines und Wagenknechts Handschrift. Zimmermann hält den Text
       für "einen akzeptablen Entwurf ". Zudem hat es die Linkspartei in Bremen
       wieder in den Landtag geschafft. Ein weiterer Grund für Zimmermanns
       Optimismus ist: Die Linksfraktion in NRW hat sich kürzlich beim rot-grünen
       Haushalt enthalten und so die Kraft-Regierung gestützt. Die Parteispitze in
       NRW wollte hingegen ein Nein zum Haushalt. Das hätte eventuell Neuwahlen
       bedeutet - die Linkspartei hätte sich in NRW damit hoffnungslos isoliert.
       Es wäre Selbstmord auf offener Bühne gewesen. "Wir haben das in einer
       solidarischen Debatte im Landesrat geklärt", sagt Zimmermann. Auch beim
       linken Flügel wirkt offenbar die sanfte Macht des Parlamentarismus. Das ist
       eines der wenigen Hoffnungszeichen für die Partei.
       
       Ansonsten sucht die Linkspartei vergeblich nach Mitteln, auf den
       Grünen-Boom zu antworten. Sie will noch früher als die Grünen aus der
       Atomkraft aussteigen - was eher verbalradikal als kompetent wirkt. Außerdem
       ist das Führungsproblem ungelöst. Parteichef Klaus Ernst hat sich zwar in
       der Debatte über den Programmtext erstaunlich kooperativ gezeigt, aber dass
       Ernst und Gesine Lötzsch im Mai 2012 als Parteichefs wieder gewählt werden,
       glaubt niemand. Wer in der Partei nach denkbaren Alternativen zu Ernst und
       Lötzsch fragt, stößt auf Ratlosigkeit.
       
       ## Sozialer Protest als Gründungsimpuls
       
       Die Krise der Linkspartei hat mehrere Gesichter. Der soziale Protest, der
       ein Gründungsimpuls der Partei im Westen war, ist derzeit versiegt. Die
       aggressive Anti-SPD-Rhetorik wirkt vorgestrig, seit die SPD im Bund in der
       Opposition ist. Bei Wahlen im Westen gewinnt die Partei nicht mehr
       automatisch. Die Aussicht, bei den Wahlen im Herbst in Berlin Rot-Rot zu
       retten oder in Schwerin mit der SPD zu regieren, sind eher trübe - vom Bund
       ganz zu schweigen. Von Rot-Rot-Grün 2013 in Berlin reden derzeit sogar die
       Pragmatiker in der Fraktion kaum mehr. Alles deutet darauf hin, dass das
       Spiel 2013 zwischen Union, SPD und Grünen entschieden wird.
       
       Außerdem ist die innere Verfassung der Linkspartei instabiler, als es
       scheint. Horst Kahrs, Leiter der Grundsatzabteilung, hat in der Zeitschrift
       Disput den Spagat der Partei beschrieben. "Die Mehrheit der linken
       Wählerinnen und Wähler sieht sich in der sozialen Mitte, politisch sehen
       sich knapp zwei Drittel links. Mit einer politisch-strategischen
       Orientierung allein und vornehmlich auf Erwerbslose wäre kaum dauerhaft ein
       Parlamentseinzug möglich. Umgekehrt droht die Partei ohne sie überflüssig
       zu werden." So muss die Partei mehr bieten als Oppositionsrhetorik und klar
       machen, dass sie ihrer Klientel auch handfest nutzt. Die Partei braucht, so
       Kahrs' Resümee, eine einleuchtende Erzählung und eine "kollektive
       Identität, die den Menschen eine aufwertende Vorstellung ihrer selbst
       anbietet".
       
       Ob das Programm taugt, um diese Lücke zu füllen, ist zweifelhaft. Der vom
       Parteivorstand überarbeitete Entwurf ist thematisch weiter gefasst als der
       Ursprungstext (siehe unten), aber der Tonfall ist noch immer
       finster-klassenkämpferisch. Entscheidend wird sein, ob die Präambel, die
       ein Weltuntergangssound durchzieht, im Juli noch verändert wird. Immerhin
       ist es den Pragmatikern gelungen, die eisernen Haltelinien für
       Regierungsbeteiligungen rhetorisch etwas zu lockern. Zuvor hieß es
       kategorisch, dass man sich an "keiner Regierung beteilige, die
       Arbeitsplatzabbau betreibt".
       
       ## Pragmatiker haben einiges einstecken müssen
       
       Im Osten, wo der Bevölkerungsschwund gravierend ist und daher auch Stellen
       im öffentlichen Dienst wegfallen, müsste sich die Linkspartei demnach auf
       die Rolle als Dauer-Opposition einrichten. In der neuen Fassung wird
       betont, dass "die zuständigen Parteitage" über Regierungsbeteiligungen
       entscheiden und eine schlechtere "Aufgabenerfüllung des Öffentlichen
       Dienstes" mit der Partei nicht drin sei.
       
       Doch auch die Pragmatiker haben einiges einstecken müssen. Die dreizehn
       Enthaltungen und Neinstimmen im Parteivorstand zu dem Entwurf kamen von
       ihnen, nicht vom linken Flügel. Im Geschichtskapitel wollten sie die
       Formulierung sehen, dass man mit "dem Stalinismus als System" gebrochen
       hat. Im Text steht nun nur "Bruch mit dem Stalinismus". Vom Parteijargon
       ins Deutsche übersetzt bedeutet dies: Die Absage an den "Stalinismus als
       System" beinhaltet auch das Nein zu jedem autoritären Parteiverständnis.
       Das ist für viele Ex-PDSler aus historischen Gründen zentral - die
       IG-Metall-Fraktion aus dem Westen findet straff geführte Apparate gar nicht
       schlecht.
       
       Gescheitert sind die Pragmatiker auch mit dem Versuch, den innovativen
       Öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) als Ziel der Linkspartei zu
       fixieren. Der ÖBS verhilft Langzeitarbeitslosen zu Jobs, in denen
       mindestens 7,50 Euro die Stunde gezahlt werden. Es ist eines der wenigen
       Renommierprojekte der Linkspartei, die in Berlin regiert. Dass die
       Bundespartei davon nichts wissen will, ist "ein Affront", sagt Katina
       Schubert, Mitglied im Parteivorstand und Referentin des Berliner
       Landeschefs Klaus Lederer. "Wir erkennen unsere eigenen Erfolge nicht an,
       das ist absurd", so ein Pragmatiker. Dass man der Klientel konkrete
       Verbesserungen bieten muss, scheint sich beim etatistischen Flügel noch
       nicht herumgesprochen zu haben.
       
       24 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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