# taz.de -- Debatte Fluggastüberwachung: Der Verdacht fliegt mit
       
       > Seit zehn Jahren wehrt sich das EU-Parlament gegen die Überwachung aller
       > Fluggäste in Europa. Jetzt soll sie auch hier salonfähig werden.
       
 (IMG) Bild: Wohin geht die Reise? Und was interessiert das den Staat?
       
       Das Europäische Parlament kippelt: Konservative, Sozialdemokraten und
       Liberale haben das Abkommen der EU mit Australien angenommen, das die
       Weitergabe europäischer Fluggastdaten ermöglicht.
       
       Fast zehn Jahre lang haben sich die Abgeordneten im EU-Parlament dagegen
       gewehrt, dass personenbezogene Daten anlasslos gespeichert und verarbeitet
       werden, nun haben sie Muffensausen bekommen und stellen rechtsstaatliche
       Grundsätze in Frage.
       
       Die Bundesregierung kneift: sie hat sich bei der Abstimmung im Rat
       enthalten, obwohl das Abkommen klar gegen Vorgaben des
       Bundesverfassungsgerichts verstößt. Das könnte ein gefährlicher Einstieg in
       noch weiter gehende Vorhaben werden.
       
       Wenn es nach der liberalen EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström und einer
       großen Mehrheit im Innenministerrat geht, sollen künftig sämtliche Daten
       von Fluggästen ausgewertet werden, die in die EU einreisen oder sie auf dem
       Luftwege verlassen. Die Briten fordern gar die Überwachung aller Flugreisen
       auch innerhalb der EU. Erklärtes Ziel ist es, Terroristen und
       Drogenschmuggler aufzuspüren. Doch diese anlasslose Vorratsdatenspeicherung
       macht alle EU-Reisenden zu Verdächtigen.
       
       Nach Meinung der meisten Abgeordneten des Innenausschusses im Europäischen
       Parlament widerspricht eine solche Massenauswertung der
       verfassungsrechtlichen Datenschutzrechtsprechung in den EU-Staaten und
       bedroht rechtsstaatliche Prinzipien. Ob sie bei ihrer Meinung bleiben, ist
       aber offensichtlich keineswegs ausgemacht.
       
       ## 11. September, Vorbild USA
       
       Welche Auswirkungen das europäische Überwachungsvorhaben auf die
       Grundrechte jeder einzelnen Person haben wird, zeigt das Beispiel der
       Vereinigten Staaten. Dort gehört die Fluggastdatenüberwachung seit den
       Anschlägen vom 11. September 2001 zu den zentralen Antiterrormaßnahmen.
       Unter strengster Geheimhaltung werden in einem Abwehrzentrum des
       US-Heimatschutzministeriums im Bundesstaat Virginia die Informationen aller
       Fluggäste, die in die USA einreisen oder diese verlassen, analysiert und
       mit anderen Ermittlungsinformationen verknüpft.
       
       Für die Reisenden bleibt völlig unklar, welche Datensätze miteinander
       verknüpft und welche weiteren Überwachungsmaßnahmen daraufhin angeordnet
       werden. Zahlreiche Beispiele belegen, dass bereits ungewöhnliche Namen,
       Zusatzgepäck oder auffällige Menüwünsche im Flugzeug verdächtig wirken und
       sogar zum dauerhaften Einreiseverbot führen können.
       
       Für die Verarbeitung der Daten von EU-Bürgern gab es anfangs nicht einmal
       eine Rechtsgrundlage. Erst auf den jahrelangen Druck des EU-Parlaments
       handelten USA und EU ein Abkommen aus. Doch statt das Ergebnis der
       Verhandlungen zu bestätigen, forderten die durch den Lissabonvertrag
       gestärkten Abgeordneten des EU-Parlaments die Kommission bereits im Mai
       2010 einhellig auf, restriktivere Regeln auszuhandeln.
       
       Ungeachtet dessen will die US-Regierung die Fluggastdatenüberwachung eher
       ausweiten als begrenzen. In den nächsten Monaten könnte es zum Showdown
       kommen, falls Ministerrat und EU-Parlament das neu verhandelte Abkommen
       ablehnen und damit den Datentransfer beenden. Washington droht für diesen
       Fall bereits mit nicht weniger, als europäischen Fluglinien dauerhaft die
       Landeerlaubnis zu entziehen.
       
       ## Entwürfe werden verharmlost
       
       Die Befürworter ausgeweiteter Überwachungsmaßnahmen wittern ihre Chance,
       die Auswertung der Fluggastdaten auch in der EU salonfähig zu machen.
       EU-Kommissarin Cecilia Malmström hatte als liberale EU-Parlamentarierin
       noch vor wenigen Jahren gegen das Vorgehen der US-Behörden argumentiert.
       Nun legt sie selbst einen Vorschlag für ein europäisches Programm vor, um
       Fluggastdaten auszuwerten, das dem US-amerikanischen Herangehen in
       zentralen Punkten ähnelt.
       
       Zugleich verharmlost Malmström die Dimension des Vorhabens und bewirbt es,
       als handle es sich um ein Datenschutzgesetz: Die erfassten Vorratsdaten
       würden nach 30 Tagen pseudonymisiert, danach gelte eine
       Zugriffsbeschränkung, die allein für Verdachtsfälle aufgehoben werde.
       Malmström verschweigt aber, dass diese Zugriffsbeschränkung nach geltendem
       Recht ohnehin für jede Form der Datenspeicherung gilt.
       
       Die Kommissarin will den Eindruck vermeiden, die Vorratsdatenspeicherung
       diene der Rasterfahndung oder gar dem so genannten Profiling, das
       Informationen zu "Gefährderprofilen" zusammenführt - eine Praxis, die auf
       Grund der technischen Möglichkeiten nichts anderes als ein
       Früherkennungssystem für vermeintlich seltsames Verhalten ist.
       
       Auch Beamten in der EU-Kommission und im juristischen Dienst des Rates
       dämmert inzwischen, dass die geplante Richtlinie nicht mit den
       Einschätzungen der höchsten Gerichte in Straßburg, Luxemburg und Karlsruhe
       in Einklang zu bringen sein dürfte. So fordert der Europäische Gerichtshof
       den Nachweis, dass jede Überwachungsmaßnahme "notwendig und
       verhältnismäßig" sein muss. Diesen Nachweis bleiben die Befürworter
       schuldig. Selbst in streng geheimen Berichten führen sie nur Einzelfälle
       an, die eine Fluggastdatenüberwachung angeblich notwendig machen.
       
       ## Absehbare Ausweitung
       
       Noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Es geht längst nicht mehr allein
       um die Überwachung des Luftverkehrs: Schon fordert die italienische
       Regierung eine Ausweitung der Datenerfassung auf sämtliche europäische
       Fährverbindungen. Es wird nicht lange dauern, bis auch die Überwachung des
       gesamten Zugverkehrs in Europa gefordert wird.
       
       Kurzum: Inzwischen droht die vollständige Erfassung und Analyse von
       Informationen über die Bewegungen der rund 500 Millionen EU-Bürgerinnen und
       -Bürger - in der Luft, zu Wasser und auf dem Lande.
       
       Wenn sich die Europäische Kommission und die Innenministermehrheit
       durchsetzen, kopieren sie nicht nur die Überwachungspraktiken der USA,
       sondern drohen diese noch weit zu übertreffen. Die Abgeordneten im
       EU-Parlament sollten gemeinsam mit einer breiten kritischen Öffentlichkeit
       den Anfängen dieser Praxis schnell und entschieden einen Riegel
       vorschieben.
       
       28 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Philipp Albrecht
       
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