# taz.de -- Inflationsangst in Deutschland: Soll ich noch schnell ein Auto kaufen?
       
       > Die spürbare Panik vor einer Entwertung des Euro ist unbegründet. Anders
       > als 1923 und 1948 sind die Ersparnisse auf der Bank sicher - wenn auch
       > bei Minizinsen.
       
 (IMG) Bild: Man kauft viel in Deutschland – aus Angst vor der Vernichtung des Ersparten.
       
       Ist mein Geld noch sicher? Oder wird es in der Eurokrise vernichtet? Diese
       Frage wird inzwischen auf fast jeder Party debattiert. Manche Gäste sind
       schon so besorgt, dass sie zur Selbsthilfe greifen. Regina erzählt, dass
       sie täglich 500 Euro von ihrem Konto abhebt und zu Hause in einem Lexikon
       versteckt. Gern würde sie ihr Geld noch schneller von der Bank abziehen -
       aber mehr als 500 Euro gibt ihre EC-Karte pro Tag nicht her.
       
       Regina ist keineswegs die einzige, die fürchtet, dass ihre Bank demnächst
       zusammenbricht. "Soll ich mir vielleicht noch schnell ein Auto kaufen?",
       fragt Susanne, die bisher gespart hat, weil ihre Tochter nächstes Jahr ein
       Studium beginnt. Aber jetzt zweifelt sie, ob ihre Kontogroschen bis dahin
       noch sicher sind.
       
       Diese Panik ist unbegründet. Trotz der Eurokrise ist nicht zu sehen, warum
       die deutschen Banken plötzlich zusammenbrechen sollten. Denn sie sind
       doppelt geschützt: Da ist zum einen die Europäische Zentralbank (EZB), die
       in Notfällen unbegrenzt Geld leiht. Und da ist zum anderen der deutsche
       Staat, der in der Finanzkrise bisher noch jede Bank gerettet hat.
       
       Doch diese Aussichten beruhigen Regina und Susanne überhaupt nicht. Sobald
       sie die Worte "EZB" oder "Staat" hören, entsteht eine neue Sorge: "Aber
       dann kommt es zur Inflation!"
       
       Eine Geldentwertung fürchten die beiden sogar noch mehr als einen
       Bankenkollaps. Denn bei einer Inflation nutzt es ja nichts mehr, wenn das
       Geld zu Hause im Lexikon lagert. Es ist dann trotzdem futsch und nur noch
       ein wertloser Lappen.
       
       ## Der entscheidende Unterschied
       
       Die Angst vor der Inflation ist in den Deutschen tief verwurzelt. Die
       Geldentwertungen von 1923 und von 1948 haben nicht nur die Zeitgenossen
       geprägt, sondern auch ihre Enkel und Urenkel. Sobald Deutsche das Wort
       "Inflation" hören, ist für sie die Hyperinflation nicht mehr weit. Und
       stets, das hat sich ihnen tief eingebrannt, war der Staat schuld, der
       ungehemmt Geld druckte, um den jeweiligen Weltkrieg zu finanzieren.
       
       Die Angst vor der Inflation sitzt so tief, dass der entscheidende
       Unterschied nicht wahrgenommen wird: Europa befindet sich momentan nicht in
       einem Weltkrieg.
       
       Warum diese etwas triviale Feststellung wichtig ist? Bei einer Inflation
       müssen zwei Entwicklungen zusammenkommen: Es muss viel Geld umlaufen - dem
       gleichzeitig ein begrenztes Warenangebot gegenübersteht. Nach den
       Weltkriegen fehlte es natürlich an Konsumgütern: Viele Fabriken hatten
       zuletzt Waffen produziert - oder waren gleich ganz zerstört.
       
       Genau dieser Warenmangel ist derzeit nirgends zu beobachten. Stattdessen
       leiden die meisten Fabriken an Überkapazitäten und könnten mühelos ihre
       Produktion aufstocken. Wenn Susanne tatsächlich "noch schnell ein Auto
       kaufen" wollte, würde sie von jedem Händler freudig begrüßt. Aber eine
       Inflation würde sie damit weder erzeugen noch vermeiden.
       
       Wie geräuschlos der Kapitalismus steigende Geldmengen absorbiert, zeigte
       sich nach der Wende: Als die D-Mark auch im Osten eingeführt wurde, legte
       die deutsche Geldmenge schlagartig um etwa 30 Prozent zu. Doch es kam zu
       keiner Inflation: Die Fabriken im Westen konnten die plötzliche Nachfrage
       aus den neuen Bundesländern problemlos bedienen, indem schlicht mehr
       Videorekorder und Haushaltsgeräte produziert wurden.
       
       Momentan liegt die Inflation übrigens bei harmlosen 2,5 Prozent. Bier
       bleibt also billig, aber das beruhigt Regina überhaupt nicht. Sie will
       trotzdem jeden Tag 500 Euro bei ihrer Bank abziehen. Denn sie traut lieber
       ihrem Instinkt, der ihr zuflüstert, dass ihr Vermögen vernichtet wird.
       
       Darin irrt sich Regina übrigens nicht: Momentan wird tatsächlich Kapital
       vernichtet. Doch ist nicht die Geldentwertung schuld - sondern die Renditen
       fallen so mager aus, dass sie noch nicht einmal die geringe Inflation
       kompensieren. Jeder Kleinsparer erfährt leidvoll, dass er kaum noch Zinsen
       erhält.
       
       Dieses Phänomen hat sogar mit der Geldschwemme zu tun, die Regina und
       Susanne fürchten. Nur äußert sie sich anders, als die beiden denken. Bei
       einem Überangebot an Geld ist Geld als Geldanlage nichts mehr wert. Nicht
       der Preis für die Konsumgüter steigt, sondern der Preis für das Geld - die
       Rendite - sinkt.
       
       Um auf Regina zurückzukommen: Es nützt zwar nichts, dass sie ihr Geld in
       Büchern versteckt. Doch es schadet auch nichts. Ihr Lexikon zahlt zwar
       keine Zinsen - aber die Bank ja neuerdings auch nicht.
       
       4 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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