# taz.de -- Regisseur über Ägypten: "Die Unsicherheit hier ist unfassbar"
> Niemand weiß in Ägypten, was morgen passiert. Die Wirtschaft liegt am
> Boden, die Filmindustrie auch. Das Wichtigste sei, die Geduld nicht zu
> verlieren, meint Marwan Hamed.
(IMG) Bild: Wie weiter? Demonstranten in Kairo.
taz: Herr Hamed, in zwei Wochen finden in Ägypten die ersten demokratischen
Wahlen statt. Wie demokratisch werden sie sein?
Marwan Hamed: Um ehrlich zu sein, wie viele andere begreife auch ich nicht
mehr, was in Ägypten gerade passiert. Nicht nur in Bezug auf die Wahlen,
sondern allgemein. Jeden Tag kommt ein großes Fragezeichen dazu.
Werden Sie trotzdem wählen gehen?
Wenn die Wahlen tatsächlich stattfinden, dann werde ich wählen gehen.
Der Wahltermin ist gefährdet?
Natürlich. Niemand in Ägypten kann noch sagen, was auch nur am nächsten Tag
passieren wird. Die Gewaltausbrüche der letzten Zeit kamen aus dem Nichts,
keiner hatte damit gerechnet. Wir müssen uns darauf einrichten, dass das
mit den Wahlen sehr schiefgehen kann.
Das heißt?
Das Militär verspricht uns saubere, sichere Wahlen, dabei hat die Polizei
schon Probleme, auch nur mit irgendwelchen Fußballspielen klarzukommen. Wir
haben hier fast jeden Tag gewalttätige Zusammenstöße zwischen
Protestierenden und der Polizei. Uns muss klar sein, dass die Wahlen
richtig blutig werden können. Das ist die große Angst.
Der Kairoer Schriftsteller Khaled al-Khamissi sagte jüngst in Berlin, dass
ihm die westlichen Medien mit ihrer Fixierung auf die Wahlen total auf die
Nerven gingen. Noch wären die Parteien und Politiker in Ägypten nicht ernst
zu nehmen, es handele sich meistens um irgendwelche Clowns und deren
Cousins - doch die Revolution, die würde weitergehen, egal wer nun gewählt
werde. Teilen Sie diese Kritik?
Ich denke auch, dass westliche Medien zu sehr in Headlines denken. Im
Frühjahr noch haben sie uns angebetet, jetzt erklären sie die Revolution
sofort für gescheitert, sobald irgendetwas Schlechtes passiert. Die Wahlen
sind Teil der Revolution, aber sie sind nicht alles. Wir sind in einem
Prozess - und der dauert. Vielleicht sechs Jahre, vielleicht zehn, wer
weiß. Das Schwierige jetzt ist ja, die Mentalität im Land zu verändern. Im
Vergleich dazu war der Sturz von Mubarak einfach. Es braucht bestimmt eine
ganze Generation, um Ägypten in das Land zu verwandeln, von dem wir alle
träumen.
Was ist das größte Problem?
Die soziale Ungerechtigkeit. Wegen ihr hat ja alles angefangen. Wer in
Ägypten kein Geld hat, existiert schlicht nicht. Der geht nicht in die
Schule, nicht ins Krankenhaus, der wird nicht als menschliches Wesen
behandelt. Hier macht dich nur Geld zum Menschen. Und das wurde in den
letzten zehn Jahren immer schlimmer.
Die Revolution hat nichts geändert?
Überhaupt nicht. Deshalb gehen ja noch so viele Menschen auf die Straße.
Ihr größter Film war "The Yacoubian Building". Eine erfolgreiche
Sozialkomödie, die stark das Verhältnis Arm/Reich kritisiert und offen von
Homosexualität und der ständigen sexuellen Gewalt gegen Frauen spricht. Wie
wirkt sich der Sturz Mubaraks auf Ihre Arbeit aus?
Nicht so gut. Die Wirtschaft ist ja am Boden - und aufgrund der prekären
Sicherheitslage halten sich die Investoren zurück. Es werden deutlich
weniger Filme produziert als vorher. Andererseits, und darüber bin ich
natürlich glücklich, hilft das dem Independent-Film.
Weil es in der Industrie kein Geld mehr zu holen gibt?
Genau. Es gibt kein Geld mehr, aber es gibt ja immer eine Lösung. Also
machen wir jetzt Low-Budget-Produktionen. "18 Days", mein letzter Film, war
eine Kooperation von zehn verschiedenen Filmemachern, die Videofilme zur
Revolution gedreht haben. Das hat überhaupt nichts gekostet - und der Film
hat es immerhin auf die Filmfestivals in Cannes und Dubai geschafft.
Ist es leichter geworden, ausländische Sponsoren aufzutreiben, jetzt
nachdem alle den Arabischen Frühling feiern?
Nein. Die Stereotype vom "Araber" und welche Filme er machen sollte, sind
nach wie vor intakt. Und Sie sehen ja, wie schnell gesagt wird, dass die
Ägypter die Revolution "verspielen". Aber ich muss dazu sagen, dass ich
selbst in diesem Jahr noch keinem Produzenten etwas angeboten habe. Mit
gelingt es im Moment nicht, klare Visionen zu entwickeln. Am Anfang war es
ganz anders: Wir waren alle vereinigt - gegen den Feind Mubarak. Das waren
fantastische 18 Tage - darüber haben wir dann auch einen Film gemacht. Das
ist vorbei. Jetzt erscheint alles vage, offen. Unser Land verändert sich
wahnwitzig schnell. Das muss man erst mal verkraften.
Orientieren Sie sich an Tunesien?
Natürlich, da fing ja alles an. Die Wahlen dort haben etwas ganz Wichtiges
gemacht. Die Antrittsrede von Rachid Ghannouchi war so liberal - und damit
wurde endlich das Klischee konterkariert, das von den ehemaligen Diktaturen
wie von den westlichen Regierungen hochgehalten wurde: dass es nichts
Schlimmeres gibt als einen Islamisten - oder den Islam.
Ein Sieg der Muslimbrüder in Ägypten wird Sie also nicht weiter
beunruhigen?
So würde ich das nicht sagen. Aber die Muslimbrüder nach der Revolution
sind alles andere als eine homogene Gruppe. Da gibt es ganz
unterschiedliche Stimmen. Abdelmunim Abulfutuh, dem
Präsidentschaftskandidaten und Ex-Mitglied der Muslimbrüder, folge ich auf
Twitter und finde ihn spannend. Und sehr moderat.
Das Problem ist doch auch, dass Islamisten meist keine Wirtschaftskonzepte
entwickeln - daher auch nichts nachhaltig gegen Armut tun.
Islamist ist aber nicht gleich Islamist. Generell haben Sie recht, den
meisten Islamisten fehlt jedes ökonomische Konzept. Aber Abulfutuh traue
ich die wirtschaftliche Erneuerung Ägyptens zumindest zu, zumindest eher
als den anderen Kandidaten.
Was erwarten Sie sich "vom Westen"?
Nichts. Bislang gab es, wenn überhaupt, nur moralische Unterstützung, aber
kein Geld. Im Gegenteil, der Westen hat Investitionen nach der Revolution
abgezogen. Für uns ist es Zeit, wirklich unabhängig zu werden.
13 Nov 2011
## AUTOREN
(DIR) Ines Kappert
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