# taz.de -- Klimaexperte de Boer zum Durban-Gipfel: "Klarheit und Sicherheit"
       
       > Der ehemalige Chef des UN-Klimarats, Yvo de Boer, über Politiker, die
       > ihren Job nicht machen, die Bedeutung von Unternehmen beim Klimaschutz
       > und die Fortschritte der Chinesen.
       
 (IMG) Bild: Die globale Erwärmung macht auch vor den Malediven nicht Halt.
       
       taz: Herr de Boer, Sie wollen die Klimaverhandlungen von einem "Ort der
       Schmerzen" zu einem "Ort des Gewinns" machen. Was heißt das? 
       
       Yvo de Boer: Die Verhandlungen gehen so langsam voran, weil die Beteiligten
       dabei eine große Angst umtreibt. Tief in ihrem Herzen sind die meisten
       Verhandler, auch die Umweltminister, nicht davon überzeugt, dass es so
       etwas wie grünes Wachstum gibt: Klimawandel bekämpfen, das Energiesystem
       umbauen und trotzdem Wirtschaftswachstum haben. Die meisten Leute verstehen
       nicht, dass entschiedenes Handeln beim Klimaschutz gut und nicht schlecht
       für ihre Wirtschaft wäre.
       
       Wie sieht denn das grüne Wachstum aus, das die Klimaverhandlungen retten
       soll? 
       
       Die europäischen Staatschefs haben 2005 beschlossen, ihre Emissionen bis
       2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Diese Ziele kommen nicht nur vom
       Klimaschutz, sondern aus der Einsicht, dass wir die europäische Wirtschaft
       neu ausrichten müssen. Diese Vision ist in der aktuellen Wirtschaftskrise
       vergessen worden.
       
       Noch mal: Was muss geschehen? 
       
       Wir brauchen eine grundlegende Umgestaltung der Ökonomie überall auf der
       Welt. Energieproduktion ohne fossile Brennstoffe und mit erneuerbaren
       Energien, nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch wegen der
       Energiepreise und der Energiesicherheit. Wir brauchen eine grundlegende
       Veränderung unserer Industrien, nicht nur wegen des Klimawandels, sondern
       auch wegen der Knappheit von Ressourcen. Und wir müssen etwas daran ändern,
       wie wir unsere Städte planen und bauen.
       
       Solche Veränderungen machen Angst. Wie wollen Sie die besiegen? 
       
       Im Moment starren wir bei den Klimaverhandlungen auf Quoten und
       Verpflichtungen, die als Bremsen für das Wirtschaftswachstum gelten. Kein
       Wunder, dass dabei niemand mitmachen will. Ich schlage hingegen vor, die
       Verhandlungen auf Modelle zu konzentrieren, die ein grüneres Wachstum und
       eine stärkere Einbindung der Wirtschaft ermöglichen. Zum Beispiel sollten
       sich die Finanzhilfen für Entwicklungsländer, die in Kopenhagen versprochen
       wurden, mehr auf Investitionen der Wirtschaft und nicht nur auf staatliche
       Hilfen konzentrieren.
       
       Viele Entwicklungsländer sind sehr kritisch bei Privatinvestitionen aus dem
       Ausland. 
       
       Ja, sie haben Angst, dass die Industrieländer dann ihren finanziellen
       Zusagen nicht mehr nachkommen. Aber in der Realität sind bereits heute 85
       Prozent aller Investitionen im Bereich Energie und Industrie privates
       Kapital. Zu denken, wir könnten die Herausforderung Klimawandel nur mit
       staatlichen Geldern lösen, ist eine Illusion. Aber wir brauchen
       öffentliches Geld für ein anderes wichtiges Feld: Um privatem Geld die
       Sicherheit zu geben, dorthin zu gehen, wo es von allein nicht hingeht -
       etwa durch gemeinsame öffentliche und private Finanzierungen.
       
       Die Politiker sollten also besser eine Umgebung schaffen, in der privates
       Kapital fließen kann, als über Emissionsreduzierungen zu entscheiden? 
       
       Internationale Verträge sind wichtig, weil sie eine Perspektive und eine
       Klarheit schaffen, die auch nationale Wahlen überleben. Die
       Kioto-Verpflichtungen sind in Europa von Wahlen unberührt, weil es sich bei
       ihnen um ein internationales Abkommen handelt. Ziele und Verpflichtungen
       sind wichtig, weil sie der Wirtschaft die Richtung zeigen, in die es gehen
       soll. Wenn ich mit Unternehmen auf der ganzen Welt rede, fragen sie nach
       Klarheit und Sicherheit und nicht nach Subventionen.
       
       Vielleicht fragen sie nicht danach, weil sie die Subventionen ja schon
       bekommen. Die internationale Energieagentur IEA hat gerade festgestellt,
       dass Öl, Kohle und Gas jedes Jahr mit mehr als 400 Milliarden Dollar
       subventioniert werden. 
       
       Viele Volkswirtschaften sind eben noch stark im fossilen Modell verankert.
       Viele Weltregionen sehen noch nicht, wie eine solche Transformation zu
       bewältigen ist. Und die Unternehmen glauben nicht daran, dass es die
       Regierungen ernst meinen mit langfristigem Wandel.
       
       Also müssen zuerst die Politiker sagen, wohin die Reise gehen soll? 
       
       Auf jeden Fall. Politische Führer werden gewählt, um zu führen. Wenn sie
       das nicht tun, machen sie einfach nicht ihren Job.
       
       Vielleicht können sie sich nicht gegen die Lobbys durchsetzen. 
       
       Die Wirtschaft, auch der Sektor der fossilen Brennstoffe, erkennt
       inzwischen an, dass der Klimawandel ein ernstes Problem ist. Sie stimmen
       auch zu, dass wir einen Übergang zu einer grüneren Wirtschaftsweise
       brauchen. Natürlich will die fossile Industrie lieber ein Teil der Lösung
       als ein Teil des Problems sein. So gibt es in der Ölindustrie keinen
       fundamentalen Widerstand gegen eine Gesellschaft, die auf niedrigen
       Verbrauch von Kohlenstoff setzt.
       
       Aber wenn mein Geschäft daraus besteht, Kohlenstoff zu verkaufen, ist eine
       kohlenstofffreie Welt eine Bedrohung. 
       
       Das glaube ich nicht. Die Ölindustrie sieht Nachfrage und Preise selbst bei
       ambitioniertem Klimaschutz weiter ansteigen. Das kommt vom
       Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern. Ölstaaten haben oft auch
       Gasreserven, die wir für den Übergang brauchen. Viele Ölgesellschaften
       wandeln sich in Energieunternehmen und investieren in Biotreibstoffe oder
       Windanlagen, sie diversifizieren ihr Portfolio.
       
       In der Finanzkrise ist die Idee stark geworden, dass die Politik sich die
       Entscheidungsmacht von der Wirtschaft zurückholen muss. Ist es bei den
       Klimaverhandlungen ähnlich? 
       
       Nein. Beim Klimawandel und beim grünen Wachstum geht die private Wirtschaft
       voran. Es gibt viele Unternehmen, die ihr Wirtschaftsmodell verändert
       haben, die mehr auf globale Trends achten und auf Nachhaltigkeit. Aber die
       Wirtschaft kann nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen. Sie braucht
       Klarheit und Führung der Politik.
       
       Warum ist es für Staaten dann trotzdem so schwer, den ersten Schritt zu
       machen? 
       
       Ein Grund ist: Viele Staaten verstehen nicht, wie grünes Wachstum bei ihnen
       funktionieren könnte. Der zweite: Die Länder sind gelähmt, weil sie auf
       andere Länder schauen statt daran zu denken, was das Beste für ihr Land
       ist, und zu handeln.
       
       Sehen Sie vor dem Gipfel in Durban solchen Realismus? 
       
       Der wichtigste Realismus ist zu sehen, dass wir momentan nicht genug tun,
       um den Klimawandel unter zwei Grad Celsius zu halten. Zweitens müssen wir
       sehen, dass sich die Welt seit 1992 verändert hat, als die
       Klimarahmenkonvention unterzeichnet wurde. Heute sind manche Länder, die
       sich damals zum Klimaschutz verpflichtet haben, deutlich ärmer als andere,
       die sich nicht verpflichtet haben. Dann müssen wir den Entwicklungsländern
       helfen, Strategien für grünes Wachstum zu entwickeln und öffentliches Geld
       so einsetzen, dass privates Kapital dieses grüne Wachstum stützt. Und ein
       Fahrplan bis 2015 wäre ein exzellentes Ergebnis für Durban.
       
       Aber China und die USA bewegen sich immer noch nicht. 
       
       China bewegt sich zwar nicht in den Verhandlungen. Doch anders als die USA
       handelt es zu Hause. China ist weltweit die Nummer eins bei der
       Transformation zur grünen Wirtschaft. Das Land ist der größte Investor in
       erneuerbare Energien, in Solar- und Batterietechnik, und ist dabei, seine
       Städte grün zu machen, saubere Treibstoffe und Sparautos zu entwickeln.
       
       Können Sie bei Ihrer neuen Position bei KPMG mehr für den Klimaschutz
       erreichen denn als Generalsekretär der UN-Verhandlungen? 
       
       Sicher haben die Veränderungen bei den Unternehmen auf der ganzen Welt eine
       größeren Wirkung als das, was im politischen Prozess geschieht. Aber das
       liegt nicht an mir, sondern an der Führungsrolle der Unternehmen.
       
       29 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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