# taz.de -- Kommentar Wulff und seine Geisteshaltung: Unter Krähen
       
       > "Das steht uns doch zu." Dieser Satz fasst das Normensystem der Wulffs,
       > Guttenbergs und di Lorenzos zusammen. Es bemächtigt sich dieses Staates –
       > ganz allmählich.
       
 (IMG) Bild: Er versteht nicht, was er falsch gemacht hat: Christian Wulff.
       
       Die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten hätte als notwendige Rede
       gegen Fremdenhass eine gewisse Wirkung erzielen können. Gäbe es nicht die
       Geldgeschäfte von Christian Wulff. Ohne die Affäre hätte sich aber niemand
       für die Ansprache interessiert, und deshalb wäre es mit der Wirkung wohl
       doch nicht so weit her gewesen. In gewisser Hinsicht ist also alles beim
       Alten und wie immer.
       
       Auch das entlarvt die Behauptung von Sigmar Gabriel, ein zweiter Rücktritt
       eines Staatsoberhauptes innerhalb von zwei Jahren wäre "verheerend und nahe
       an einer echten Staatskrise", als das, was sie ist: als aufgeblasen. Hat es
       der SPD-Vorsitzende nicht ein bisschen kleiner?
       
       Die Bevölkerung dieses Landes akzeptiert die Kooperation staatlicher
       Stellen mit Rechtsextremisten und nimmt die drohende Vernichtung ihrer
       privaten Altersrücklagen weitgehend klaglos zur Kenntnis. Da würde sie den
       Rücktritt eines weiteren Bundespräsidenten wohl eben noch verkraften
       können.
       
       So ernst dürfte Gabriel es auch gar nicht gemeint haben, aber er konnte ja
       nicht gut offen sagen, was ohnehin alle wissen: dass es nämlich für die SPD
       viel netter ist, wenn der unionsgestützte Präsident einige weitere Jahre
       von Peinlichkeit zu Peinlichkeit stolpert, als wenn sich Regierung und
       Opposition auf einen neuen, gemeinsamen Kandidaten einigen. Was sie
       angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung tun
       müssten, wollten sie nicht aus der Wahl eines neuen Präsidenten eine
       Groteske machen.
       
       ## Es wird noch einiges herauskommen
       
       Derzeit stimmen die meisten Leitartikler darin überein, dass Wulff im Amt
       bleiben kann, wenn nichts Neues mehr herauskommt. Dann könnten sie
       allerdings auch gleich seinen Rücktritt fordern, denn natürlich wird noch
       einiges herauskommen. Der Mann war lange Ministerpräsident. Da werden sich
       schon noch weitere unappetitliche Vorgänge finden lassen. Zumal ihm
       inzwischen ja sogar manches zur Last gelegt wird, was eigentlich zum Alltag
       der Republik gehört.
       
       Seit vielen Jahren werden Bürgerinnen und Bürger bei den Sommerfesten des
       Bundespräsidenten im Park des Schlosses Bellevue von Werbeplakaten der
       Sponsoren angeschrien, die das Fest ausrichten. Wenn das Staatsoberhaupt
       das Volk zu Tisch bittet, dann werden nämlich Sekt, Selters und andere
       Köstlichkeiten von Firmen bezahlt, nicht aus dem öffentlichen Etat. Kommt
       billiger. Und jetzt wird Christian Wulff ein Vorwurf daraus gemacht, dass
       er als Ministerpräsident gemeinsam mit seiner Frau an einem Sponsoren-Essen
       teilgenommen hat? Man kann es mit der Scheinheiligkeit auch übertreiben.
       
       Aber einiges von dem, was Wulff getan hat, gehört sich ja tatsächlich
       nicht. Auch da wird noch manches Neue ans Licht kommen. Nicht etwa deshalb,
       weil der Präsident ein verkappter Wolf im Schafspelz wäre oder ungewöhnlich
       gierig. Im Gegenteil. Bis heute versteht er erkennbar nicht, was er
       eigentlich falsch gemacht hat. Er hat doch nur getan, was er tat, weil er
       sich mit seiner Haltung - wenn man denn sein Weltbild mit diesem noblen
       Wort umreißen möchte - völlig im Einklang mit dem geltenden Normensystem
       derjenigen glaubte, die in diesem Land über Einfluss verfügen.
       
       "Das steht uns doch zu." Mit diesem Satz lässt sich jenes Normensystem
       zusammenfassen. Was "uns" zusteht: das Gedankengut anderer ohne
       Quellenangabe für die eigene Doktorarbeit zu nutzen. Die Zeitung, deren
       Chefredakteur man ist, zur Werbung für ein - zu Recht umstrittenes -
       eigenes Buch zu missbrauchen. Das Vermögen reicherer Freunde zum eigenen
       Vorteil einzusetzen. Anders ausgedrückt: eine Krähe unter anderen zu sein.
       
       Wer all das unanständig findet, ist ein neiderfüllter Kleingeist, ist ein
       Spießer, ist - der schlimmste aller vorstellbaren Vorwürfe - ein
       "Gutmensch". Der oder die gehört nicht "zu uns". Zwischen Bundespräsident
       Christian Wulff, dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und dem neuen
       EU-Ratgeber Karl-Theodor zu Guttenberg verläuft eine gerade Linie.
       Auffallend ist übrigens, dass ihnen allen stets vor allem daran gelegen
       war, persönliche "Steherqualitäten" nachzuweisen. Als ginge es nur und
       ausschließlich um sie persönlich, als könne es um gar nichts anderes gehen.
       
       Es besteht die Gefahr, dass sich die Geisteshaltung der Wulffs, der
       Guttenbergs und der Lorenzos dieses Staates bemächtigt. Ganz allmählich.
       Unabwendbar ist diese Gefahr nicht.
       
       26 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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