# taz.de -- Debatte Arabische Revolutionen: Revolutionen blühen nicht
       
       > Nun verlieren auch freudige Beobachter des Arabischen Frühlings die
       > Geduld mit den harten Kämpfen für Demokratie. Warum nur?
       
 (IMG) Bild: In Ägypten ging die Revolution so schön schnell: Tahrirplatz im Februar 2011.
       
       So haben wir uns das nicht vorgestellt, mit dem arabischen Frühling. Kaum
       gibt es Wahlen in Tunesien und Ägypten gewinnen die Islamisten. Libyen ist
       vom Frieden weit entfernt und in Syrien werden die Kämpfe immer brutaler.
       Und auch wenn Ben Ali und Hosni Mubarak von freiheitswilligen Ägyptern und
       Tunesiern weggefegt wurden, die Wirtschaft haben die Proteste in allen
       betroffenen Ländern gleich mit erledigt.
       
       Ernüchterung, ja Unwillen macht sich breit. Es war ja auch ein bisschen
       unsere Revolution. Immerhin haben wir das Bild vom Araber, neudeutsch
       Muslim, als potenziellen Terroristen revidiert oder zumindest relativiert,
       haben zehn Jahre nach 9/11 unser bis dahin beliebtestes Feindbild wieder
       eingepackt und der arabischen Straße applaudiert. Wir waren offen. Und nun?
       
       Nun muss man schleunigst anfangen, für die sehr unterschiedlichen Protest-
       und Demokratiebewegungen in den sehr unterschiedlich verfassten Ländern in
       Nordafrika und im Nahen Osten einen stärker analytischen Zugang und damit
       eine von Naturbildern entschlackte Sprache zu finden.
       
       Wer den Protestierenden in Kairo oder Tunis von Ferne zugejubelt hat, jetzt
       aber enttäuscht das Interesse für die schwierigen und in jeder Richtung
       offenen Aushandlungen auf der Ebene verliert, unterschätzt, dass
       demokratische Wahlen und gar ein Rechtsstaat überall auf der Welt ein hart
       erkämpftes Gut waren und sind. Mit Photosynthese, mit Blühen und Verblühen
       hat das nichts zu tun, aber auch gar nichts. Das neuerdings häufiger
       verwandte Label "arabischer Herbst" taugt nicht.
       
       ## Das Feindbild hat sich überholt
       
       Die schnelle Ermüdung der Beobachter im fernen Ausland - die Diktatoren in
       Tunesien und Ägypten wurden gerade mal vor einem Jahr abgesetzt - zeigt
       somit vor allem: Das Feindbild vom Araber als Terroristen ist zwar gut zehn
       Jahre nach 9/11 nicht mehr zeitgemäß.
       
       Doch das Klischee vom "Araber an und für sich", es sitzt noch fest in
       unseren Köpfen. Zum besseren Verständnis, was die hiesige Wahrnehmung
       trübt, hilft es, das gute alte Standardwerk von Edward Said "Orientalismus"
       hervorzukramen.
       
       Laut Said repräsentiert "der Orientale" im westlichen Weltbild das ewige
       Andere, mithin den absoluten Gegensatz zum Abendländler. Diese im Zuge des
       Kolonialismus sehr populäre Ideologie zeichnet den Morgenländler als
       unveränderbar defizitär, als grundlegend irrational und entsprechend
       unberechenbar.
       
       Will man trotz dieser über gesellschaftliche Verhältnisse erhabenen
       Mentalität des Orientalen Stabilität, muss man ihn vom aufgeklärten
       Nichtorientalen, also vom Westler oder zumindest einem seiner Statthalter
       beherrschen lassen.
       
       ## Ausgerechnet die USA
       
       Auch heute noch wird "der Westen" häufig pauschal gegen "die arabische
       Welt" gesetzt. Unter der Hand verklärt diese Herangehensweise das
       zerstrittene Europa zu einer rationalen Einheit und lässt die kulturellen
       wie politischen Differenzen intern sowie zwischen den USA und Europa in den
       Hintergrund treten. Interessenskonflikte sind dann kein Thema mehr, sie
       werden "dethematisiert". Wie entlastend!
       
       Just diese mehr oder weniger bewusste Entlastungssehnsucht speist auch den
       bei Lichte betrachtet so abwegigen Ansatz, hoch ambivalente und politisch
       und militärisch umkämpfte Übergangsprozesse von einer Jahrzehnte währenden
       Diktatur zur Demokratie als Naturereignis, als Frühling oder Herbst zu
       beschreiben.
       
       Erfreulicherweise hält ausgerechnet die US-amerikanische Außenpolitik gegen
       diesen Trend. So konservativ sie zunächst auf die Aufstände gerade in
       Ägypten reagierte, jetzt signalisiert sie Bereitschaft, die Wahlergebnisse
       anzuerkennen und schickte im vergangenen Dezember den US-Senator John Keyne
       nach Kairo, um mit Vertretern der Muslimbrüder ins Gespräch zu kommen.
       Demokratie und Islam(ismus) werden offenbar nicht mehr als unversöhnliche
       Gegensätze gehandelt. Dieser außenpolitische Schwenk ist nicht zu
       unterschätzen.
       
       Doch auch er ist keine Garantie dafür, dass demnächst belastbare
       Demokratien in Ägypten, Tunesien, gar im Jemen, in Libyen oder Syrien
       vorzufinden sein werden. Genauso wenig aber sind länger andauernde Kämpfe
       und soziale Turbulenzen Beweis dafür, dass Demokratie in diesen Ländern
       unmöglich ist. Erinnern wir uns kurz daran, wie lange die Deutschen
       brauchten, um sich zu entnazifizieren und ihre Vergangenheit aufzuarbeiten
       - trotz der massiven finanziellen und logistischen Hilfe von außen. Oder
       wie lange es gedauert hat, bis die zumindest im Vergleich weitaus
       harmlosere Trennung zwischen Ost und West an politischer Relevanz verlor.
       Unwichtig ist sie knapp fünfzwanzig Jahre später immer noch nicht.
       
       ## Touristen aller Länder …
       
       Was also tun? Tickets kaufen und nach Tunesien oder Ägypten reisen? Warum
       nicht. Vor Ort zu sein, hilft ja oft, um Verhältnisse und
       Interessenkonflikte besser in den Blick nehmen zu können. Zumal, wenn so
       viele Klischees ihr Unwesen treiben.
       
       Und selbst wenn das mit dem Erkenntnisgewinn nicht klappen sollte, jede
       Reise in die von ihren Exdiktatoren mit Hilfe des Westens ausgesaugten
       Länder bringt wertvolle Devisen. In den Touristenorten ist die Lage so
       sicher wie vor der Arabellion, selbst in Kairo kann sich jeder Tourist
       jenseits vom Tahrirplatz unbehelligt bewegen, ohne um seine Unversehrtheit
       fürchten zu müssen. Auch hier gilt es zu differenzieren: Westliche
       Journalisten sind sehr wohl gefährdet, Touristen hingegen wurden bislang
       weder in Tunesien noch Ägypten von den kämpfenden Parteien auch nur
       behelligt.
       
       Auf dem politischen Feld indes bleibt die Ungewissheit: Ob Ägypten in
       Richtung Iran driftet oder in Richtung Türkei geht oder Demokratie und
       Islam(ismus) auf eine dritte Weise verbindet - wer weiß das schon zum
       jetzigen Zeitpunkt? Ob es den Syrern gelingt, den unfassbar grausamen
       Baschar al-Assad zu besiegen: auch hier Fragezeichen.
       
       Fraglos ist: Um die Gefahren, die Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten
       benennen und damit begreifen zu können, braucht die internationale Presse
       und brauchen ihre Leser einen langen Atem und also ein Einsehen darin, dass
       Demokratisierung ein umkämpfter Prozess ist und kein Event auf dem
       Tahrirplatz.
       
       13 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) tazlab 2012: „Das gute Leben“
       
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