# taz.de -- Neue Landebahn am Frankfurter Flughafen: Rebellion des Speckgürtels
       
       > Im Rhein-Main-Gebiet wächst der Bürgerprotest gegen Fluglärm. Der
       > hessische Ministerpräsident Bouffier sitzt deswegen in der Klemme.
       
 (IMG) Bild: Ein neues Stuttgart 21? Bügerprotest am Frankfurter Flughafen (im Dezember 2011).
       
       FRANKFURT taz | Alle werden sie wieder kommen am Montag, Mama, Papa, Oma,
       Opa. Und die Enkel auch. So wie schon im vergangenen Jahr, als ab Mitte
       November die erbosten Bürger erst zu Hunderten, dann zu Tausenden das
       Terminal 1, Abflughalle B des Rhein-Main-Flughafens füllten. Immer am
       Montagabend ab 18 Uhr.
       
       Seit der Eröffnung der neuen Nordwestlandebahn Ende Oktober donnern die
       Flugzeuge im Landeanflug auch über den Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen
       und andere Regionen im Speckgürtel Frankfurts, in denen Besserverdienende
       wohnen. Deswegen demonstrieren die Bewohner gegen den Flughafenbetreiber
       Fraport.
       
       Menschen aus romantischen Urlaubsgebieten, dem Kinzigtal, dem Taunus und
       Rheinhessen, befürchten die Verödung ihrer Heimat, weil auch über ihr Land
       nun Flugzeuge in niedriger Höhe fliegen. Hausbesitzer beklagen die
       Wertminderung ihrer Immobilien. Der Fluglärm sei Terror, Folter, mache
       krank. 70 Bürgerinitiativen haben sich zu einem Bündnis
       zusammengeschlossen, das rund 150.000 Anwohner repräsentieren soll.
       Politikfrei wollen sie sein, unabhängig von Kommunen und den
       Wahlkampfversprechen der Parteien und Bürgermeister.
       
       "Wutbürger" nennen die Demonstranten sich selbst auf Transparenten,
       skandieren "Wir sind das Volk" und werfen der Fraport Raffgier und Arroganz
       vor. Es sieht so aus, als entwickele sich hier ein Protest, der dem Protest
       gegen den neuen Tiefbahnhof in der baden-württembergischen Landeshauptstadt
       ähnelt. Ein neues Stuttgart 21.
       
       ## Bouffier laviert herum
       
       Mit ihrem andauernden Protest haben die Bürger inzwischen Ministerpräsident
       Volker Bouffier (CDU) in eine Zwickmühle gebracht. Der laviert seit Wochen
       zwischen allen Stühlen. Sein Amtsvorgänger Roland Koch hinterließ ihm ein
       Planfeststellungsverfahren, das die Mediationsergebnisse zum
       Nachtflugverbot ausgehebelt hatte, die vor Eröffnung der Landebahn mit
       Anwohnern und Gemeinden ausgehandelt wurden.
       
       Bis zu 17 Ausnahmenachtflüge sollten zwischen 23 und 5 Uhr erlaubt sein.
       Der Hessische Verwaltungsgerichtshof erklärte das im Oktober für
       rechtswidrig. Das Land klagte beim Bundesverwaltungsgerichtshof dagegen.
       Das Revisionsverfahren wird im März entschieden. So steht Bouffier nun
       einerseits hinter der Klage, andererseits liegt ihm als Landesvater auch
       etwas an Bürgernähe, und so signalisiert er Verständnis.
       
       Dem Fluglärm müssten Grenzen gesetzt werden, sagte er Mitte der Woche in
       einem Interview. Nicht alles dürfe "nach dem technisch und wirtschaftlich
       Machbaren definiert" werden. Er stehe hinter dem Mediationsergebnis. Die
       Landesklage sei lediglich dazu da, Rechtssicherheit zu schaffen. Wenn die
       Leipziger Verwaltungsrichter nun ebenfalls zu dem Ergebnis kämen, dass das
       Nachtflugverbot eingehalten und Ausnahmen auf "annähernd null" reduziert
       werden müssen, dann, so Bouffier, "bleibt es bei null".
       
       Ambivalente Töne sind auch von Bouffiers Parteifreund, dem hessischen
       Innenminister Boris Rhein, zu hören. Einerseits sei der Flughafen wichtiger
       Wirtschaftsfaktor, der Ausbau zwingend, andererseits aber gehe das alles
       auch viel leiser. Rhein kandidiert am 11. März bei der
       Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt. Der Fluglärm ist zum zentralen
       Wahlkampfthema geworden.
       
       ## "Beruhigungspille für die Bevölkerung"
       
       Bouffiers Gesprächsangebot an nur 15 der Bürgerinitiativen für den
       kommenden Mittwoch allerdings geriet ganz und gar undiplomatisch. Das
       Bündnis lehnte die Einladung an einzelne Gruppierungen kategorisch ab.
       Bouffier ließ nachbessern, das Gespräch wird stattfinden.
       Bündnis-Sprecherin Ingrid Kopp reagierte gestern verwundert über die
       Kehrtwende des Ministerpräsidenten: "Ich kann gar nicht glauben, was er
       sagt." Möglicherweise habe der Widerstand ihn dazu bewegt, sagt sie. Sie
       vermutet "eine Art Beruhigungspille für die Bevölkerung": "Er hätte nur die
       Revision zurückziehen müssen."
       
       Die neue Landebahn hält sie für "eine absolute Fehlplanung", der Lärm sei
       auch ohne Ausbau schon die Hölle. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im
       Hessischen Landtag, Thorsten Schäfer-Gümbel, nannte Bouffier "durch und
       durch scheinheilig", sein Kollege von den Grünen, Tarek Al-Wazir erklärte:
       "Man könnte das auch als Heuchelei bezeichnen." Janine Wissler von der
       Linken konzedierte sportliche Fähigkeiten. Bouffier versuche einen Spagat.
       
       Das Bündnis will Bouffier jetzt seinen Forderungskatalog vorlegen:
       Stilllegung der neuen Landebahn, absolutes Nachtflugverbot von 22 bis 6
       Uhr, kein Ausbau der Flughäfen Frankfurt und Erbenheim, weniger Flüge, mehr
       Sicherheit. Fraport hat inzwischen mehr Geld für weiteren Schallschutz,
       geänderte Flugrouten und finanzielle Hilfe bei einer Umsiedlung
       versprochen. Sie will auch besonders belastete Häuser vor dem Ausbau zum
       Verkehrswert aufkaufen.
       
       Kleinere Widrigkeiten nimmt das Bündnis gelassen. Als das Frankfurter
       Ordnungsamt die Parole "Wir bringen den Lärm zurück" mit einem Verbot von
       Tröten, Hupen, Klingeln und Vuvuzelas ahndete, reagierte es mit Gesang.
       Viele sangen aus voller Kehle ein Weihnachtslied mit neuem Text: "Stille
       Nacht, fünf nach acht, Deutschland schläft, wir sind wach."
       
       13 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Platen
       
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