# taz.de -- Debatte Neonaziterror: Unfassbare Mörder
       
       > Nicht nur die Behörden haben gegenüber dem braunen Terror versagt - auch
       > Journalisten und Politiker. Per Gesetz Pannen zu verbieten, wäre ein
       > falscher Ansatz.
       
 (IMG) Bild: Von Pech und Unfähigkeit verfolgt? Polizisten bei der Fahndung zum NSU-Trio.
       
       Die quälende Frage ist noch nicht beantwortet: Wie konnte es geschehen,
       dass das rechte Terrortrio NSU dreizehn Jahre lang unerkannt in Deutschland
       leben und dabei zehn Menschen ermorden konnte? Warum haben die
       Sicherheitsbehörden hier so offensichtlich versagt? Voraussichtlich am
       Donnerstag wird der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einsetzen.
       
       Eigentlich sind die Bedingungen für die Aufklärung gut - gerade weil die
       entscheidenden Phasen schon lange zurückliegen. Viele Verantwortliche sind
       nicht mehr im Amt. Mancherorts hat sogar die Regierung gewechselt. Man kann
       also offen über Versäumnisse in Bund und Ländern reden.
       
       Günstig ist auch das Klima, um über strukturelle Fragen zu sprechen. Müssen
       Verfassungsschutzämter zusammengelegt werden? Ist die Trennung von Polizei
       und Verfassungsschutz überholt? Schon im Dezember wurde ein gemeinsames
       "Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" gegründet. Eine Neonazidatei soll
       folgen. Sogar Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will diesmal an
       einem Sicherheitsgesetz mitarbeiten. Die linksliberale Presse steht
       ebenfalls hinter den Vorhaben.
       
       Fragt sich nur, ob die Fahndung nach dem NSU-Trio überhaupt an
       strukturellen Problemen scheiterte. Pannen gab es zwar reichlich: Da wurden
       in der einen Stadt die falschen Telefonzellen überwacht und in der anderen
       Stadt überwachte man die richtigen Zellen zum falschen Zeitpunkt. Da konnte
       man die Personen auf Observationsfotos nicht sicher identifizieren. Und als
       die Polizei im September 2000 - noch vor dem ersten Mord - Teile der Gruppe
       hätte verhaften können, kam sie einen Tag zu spät. Es wirkt wie eine Serie
       von Pech und/oder Unfähigkeit. Doch mit welchen Gesetzen will man das
       verhindern?
       
       ## Keine Kumpanei erkennbar
       
       Der anfangs oft gehörte Vorwurf der Kumpanei zwischen Sicherheitsbehörden
       und Nazis hat sich bisher auch nicht ansatzweise bestätigt. Polizei wie
       Verfassungsschutz haben von 1998 bis 2001 intensiv nach den drei
       untergetauchten Nazis gesucht. In die pannenreiche Suche waren auch zu
       viele Behörden verwickelt, Absicht kann deshalb ausgeschlossen werden.
       Selbst die viel gescholtenen V-Leute aus dem braunen Milieu lieferten
       durchaus brauchbare Informationen. Dank ihrer Hilfe waren die Ermittler
       zeitweise einem Erfolg recht nahe.
       
       Auch die übergeordnete Politik war keineswegs blind auf dem rechten Auge.
       In Thüringen war von 1994 bis 1999 mit Richard Dewes ein SPD-Politiker als
       Innenminister verantwortlich. Im Bund regierte ab 1998 Rot-Grün. Im Oktober
       2000 rief Kanzler Schröder den "Aufstand der Anständigen" gegen rechte
       Gewalt aus. Im Januar 2001 beantragte die SPD ein NPD-Verbot. Eine
       Nazimordserie hätte da nur allzu gut gepasst. Die Fixierung auf den
       Islamismus als neue Gefahr erfolgte erst nach den Al-Qaida-Anschlägen vom
       11. 9. 2001.
       
       Dass die Fahndung nach dem Trio ab 2001 weitgehend eingestellt wurde, hatte
       profane Gründe. Die NSU-Gruppe hatte sich in der Illegalität eingerichtet
       und wurde nur noch von sehr wenigen Vertrauten unterstützt. Die Behörden
       hatten jetzt einfach keine neuen Hinweise und Ermittlungsansätze mehr. Ab
       2003 waren auch die bis dahin bekannten ihnen vorgeworfenen Taten verjährt.
       Nun wurden die drei auch offiziell nicht mehr gesucht.
       
       ## Unglaublich peinlich und rassistisch
       
       Doch warum kam niemand auf die Idee, dass das Trio hinter der Serie von
       Morden an migrantischen Kleingewerblern stecken könnte? Diese Frage sollten
       sich viele stellen. Blind waren ja nicht nur Polizei und Verfassungsschutz,
       sondern auch Journalisten und Politiker, die über die Mordserie schrieben.
       Keiner sagte: Das müssen Nazis gewesen sein. Der Spiegel schrieb noch
       Anfang 2011 von einer "Allianz türkischer Nationalisten, Gangster und
       Geheimdienstler".
       
       Dass Rechtsradikale in Deutschland herumfahren und Opfer per Gesichtsschuss
       liquidieren, das hat niemand diskutiert, das konnte sich niemand
       vorstellen. Organisierte Kriminalität, das kannte man. Und Ausländern
       traute man eh einiges zu.
       
       Aus heutiger Sicht wirkt das alles unglaublich peinlich und rassistisch.
       Für die Verdächtigung der Opfer, sie seien möglicherweise Teil der
       organisierten Kriminalität gewesen, muss sich die deutsche Gesellschaft
       kollektiv entschuldigen.
       
       Doch auch als im Sommer 2006 -endlich - ein Polizei-Profiler erkannte, dass
       hinter der Mordserie auch ein rassistischer Einzeltäter oder eine
       entsprechende Kleinstgruppe stecken könnte, half dies nicht weiter. Die
       Ermittlungen blieben weitere fünf Jahre lang erfolglos wie zuvor. Die
       richtige These allein führte also auch nicht zur Entdeckung der Täter.
       
       ## Völlig anonymer Terror
       
       Es ist dem NSU-Trio leider gelungen, einen völlig anonymen Terror zu
       verbreiten. Auch als ganz Deutschland von Fememorden einer ominösen
       türkischen Mafia ausging, gaben sich die Nazis nicht als Urheber zu
       erkennen. Das Verschicken von Bekennervideos hoben sie sich als letzten
       Triumph bis zu ihrem Ende im November 2011 auf. Sie arbeiteten so
       abgeschottet, dass möglicherweise nicht einmal ihre engsten Unterstützer
       wussten, dass die drei hinter den Ceska-Morden stecken.
       
       Es scheint, als hätte das NSU-Trio nur in einem echten Überwachungsstaat
       sicher gefasst werden können. In einem Staat, in dem niemand unerkannt
       untertauchen kann, in dem niemand mit fremden Pässen durch den Alltag
       kommt, in dem alle Reisen registriert und Bewegungsbilder noch nach Jahren
       erstellt werden können. Deutschland ist weit davon entfernt, ein solcher
       Überwachungsstaat zu sein. Zum Glück.
       
       Der Untersuchungsausschuss mag ergeben, dass Polizei und Verfassungsschutz
       besser kooperieren müssen - jedenfalls besser als in Thüringen zu jener
       Zeit. Dagegen ist nichts zu sagen. Ein Rechtsstaat muss Behördenegoismus
       nicht zum Prinzip erklären. Wer aber fordert, dass eine derartige Mordserie
       in Zukunft "nie wieder" passieren kann, der verlangt faktisch die
       Abschaffung des freiheitlichen Gemeinwesens und den Aufbau eines
       totalitären Sicherheitsstaats.
       
       24 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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